Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

Nein zu den Abschiebungen aus Algerien nach Niger und Mali! Schluss mit Verfolgung und Gewalt gegen Migrant*innen!

Erklärung zum Aktionstag "Bewegungsfreiheit statt Abschiebungen"

Die folgende Erklärung stammt vom Koordinationskomitee des Alarme Phone Sahara in Agadez, Niger, und wurde im Rahmen des Aktionstags Bewegungsfreiheit statt Abschiebungen an die algerische Botschaft in Berlin übergeben.

Die französische Version befindet sich hier.

Ihre Exzellenz, sehr geehrter Herr Botschafter Nor-Eddine Aouam,

das Netzwerk Afrique-Europe Interact und Alarme Phone Sahara wenden sich an Sie wegen einer dringlichen Situation, in der sich die in Algerien lebenden Migrant*innencommunities befinden:

Seit Jahren sind die afrikanischen Communities aus Ländern des subsaharischen Afrika extremer Gewalt durch die algerischen Behörden ausgesetzt und leben unter äußerst prekären Bedingungen.

Trotz häufig geäußerter Kritik schiebt Algerien weiterhin massenhaft Migrant*innen an die Grenze des Nachbarlandes Niger ab. Die meisten von ihnen kommen aus Westafrika, hauptsächlich aus Niger, Guinea Conakry und Mali. Solche Massenabschiebungen finden regeläßig statt. Im Jahr 2020 belief sich die Gesamtzahl der Menschen, die von solchen Massenabschiebungen betroffen waren, auf 22.631. Allein im März 2021 wurden nach unseren Beobachtungen insgesamt 6.249 Menschen in offiziellen und inoffiziellen Konvois von Algerien über Assamaka (Niger) in den Niger abgeschoben. Am 12. April fand eine Abschiebung von 1.329 nigrischen Staatsbürger*innen an einem einzigen Tag statt, und am 10. Mai traf ein weiterer Konvoi mit 1.218 Personen ein, darunter 61 unbegleitete Kinder, die meisten von ihnen zwischen 10 und 11 Jahren alt, von denen viele Anzeichen von Misshandlung zeigten. Die Praxis, minderjährige Kinder von ihren Familien und Verwandten zu trennen und sie unter Bedingungen von Gewalt und Misshandlung abzuschieben, zeigt einmal mehr die Missachtung der Kinderrechte durch die algerischen Sicherheitskräfte.

Darüber hinaus haben sich bei diesen Abschiebekonvois tragische Unfälle ereignet, bei denen laut algerischen Quellen zahlreiche Menschen ihr Leben verloren haben und andere schwer verletzt wurden. Bis heute gibt es dazu keine Klarstellung seitens der algerischen Behörden:

Fall vom 12. März 2021:

Laut verschiedenen Quellen in Algerien seien mehr als 50 Menschen bei einem Busunfall getötet worden. Daher fordern wir vom algerischen Staat Aufklärung darüber, was bei diesem Abschiebekonvoi, der Algier am 12. März 2021 in Richtung der südlichen Grenze Algeriens verließ, wirklich geschah.

Fall vom 25. März 2021:

Anderen algerischen Quellen zufolge ereignete sich am 25. März irgendwo auf der Straße zwischen Algier und Tamanrasset (fast 2.000 km südlich von Algier gelegen) während der Abschiebung hunderter subsaharischer Migranten in 82 Reisebussen ein Unfall, bei dem es Dutzende von Schwerverletzten gab, viele von ihnen in einem lebensbedrohlichen Zustand.

Regelmäßig werden diejenigen, die in “inoffiziellen” Abschiebekonvois transportiert werden – meist Staatsangehörige anderer subsaharischer afrikanischer Länder südlich der Sahara außer Niger – im Grenzgebiet zwischen Algerien und Niger, mitten in der Wüste, zurückgelassen.  Mit dieser Praxis bringen die algerischen Sicherheitskräfte das Leben der Abgeschobenen immer wieder in Gefahr: Die Abgeschobenen müssen zwischen 15 und 20 Kilometer durch die Wüste laufen, um Assamaka, das erste nigrische Dorf nach der algerischen Grenze, zu erreichen. Hungrig, dehydriert, und es wird befürchtet, dass viele Menschen zurückbleiben, wenn sie sich in der Wüste verirren.

Um sie abzuschieben, werden Migrant*innen überall im Land angehalten, auf der Straße, an ihren Arbeitsplätzen, in ihren Häusern, in Geschäften… Sie werden für mehrere Tage, sogar Wochen, in Zellen gesteckt, einige berichten, dass sie geschlagen und ihrer Habseligkeiten beraubt wurden. Dann werden die Menschen in Busse verfrachtet und in die Wüste abgeschoben, an die Grenze zwischen Algerien und Niger. Die Bilder dieses x-ten Skandals in der unmenschlichen Behandlung von Migrant*innen aus Subsahara-Staaten durch Algerien sind unerträglich.

Diese letzten Wellen von Razzien, Verhaftungen und Abschiebungen seit September 2020 sind eine direkte Folge der “Migrationsreform” und der Schaffung einer interministeriellen Kommission zur Bekämpfung der “irregulären Migration”, die der algerische Innenminister Kamel Beldjoud während einer Plenarsitzung des Parlaments am 30. September 2020 angekündigt hat. Die Konsequenz einer solchen politischen Entscheidung legitimiert Verhaftungen, Inhaftierungen und Abschiebungen durch die algerischen Behörden, die dem grundlegenden Prinzip des Non-Refoulement widersprechen und Praktiken darstellen, die gegen die internationalen Menschenrechtsbestimmungen und das Flüchtlingsrecht verstoßen.

In Anbetracht des oben Gesagten fordern Afrique-Europe Interact und Alarme Phone Sahara:

1) Wahrheit und Aufklärung des algerischen Staates darüber, was in den Abschiebekonvois, die Algier am 12. und 25. März 2021 verlassen haben, wirklich passiert ist, insbesondere ob es stimmt, dass Menschen bei Busunfällen getötet wurden!

2) Ein sofortiger Stopp der Praxis, Kinder abzuschieben, die nicht einmal offiziell registriert sind, wodurch die Sicherheit der Kinder gefährdet wird und das Verschwinden von Kindern riskiert wird!

3) Ein sofortiger Stopp der Trennung von Kindern von ihren Eltern und ein Ende der Verhaftung, der Misshandlung und der Abschiebung von Kindern!

4) Ein sofortiger Stopp der Abschiebungen und Rückschiebungen von Geflüchteten und Migrant*innen aus Algerien in seine Nachbarländer, insbesondere Niger – kein Krieg gegen Geflüchtete und Migrant*innen!

5) Ein Ende von Ausrauben und Gewalt durch algerische Sicherheitskräfte gegen Migrant*innen und Geflüchtete!

6) Die Aufhebung des Abschiebeabkommens zwischen Algerien und Niger!

7) Algerien muss aufhören, mit der Politik der Auslagerung der europäischen Grenzen auf afrikanischen Boden zu kollaborieren und militärisches und sicherheitstechnisches Material in Empfang zu nehmen, um es gegen die migrantische Bevölkerung einzusetzen!

Im Geiste des Kampfes für eine Welt, in der es um die Achtung der Menschenrechte in ihrer ganzen Fülle geht, grüßen wir Sie ganz herzlich.

Afrique-Europe Interact & Alarme Phone Sahara

Agadez / Berlin, 21. Mai 2021

Für weitere Informationen:

Bericht auf African Arguments, der Zahlen von Médécins Sans Frontières (MSF) zitiert:

Website des Alarme Phone Sahara