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In zweifelhafter Mission: Für eine afrikanische Lösung wollte die EU kein Geld geben

Kommentar von Charlotte Wiedemann, taz, 21.03.2013

Monatelang wurden auf internationaler Bühne Modelle hin und her geschoben, wie das malische Problem zu lösen sei. Nun wurde das absolut schlechteste Modell genommen: eine französische Intervention, notdürftig dekoriert mit einer eilends herbeitelefonierten bunten afrikanischen Truppe. Dafür hätten die Malier nicht monatelang leiden müssen. Doch Besseres war nicht gewollt: Für eine afrikanische Lösung, eine wohlvorbereitete afrikanisch geführte Mission, wollte die Europäische Union kein Geld auf den Tisch legen. Niemand wollte den Maliern rechtzeitig und ausreichend geben, was sie am meisten wünschten: Hilfe in Ausbildung und Logistik, ohne fremde Bodentruppen, damit die Rückeroberung Nordmalis eine malische Angelegenheit wäre.

Stattdessen nun ein französischer Krieg auf malischem Boden. Dessen Rechtfertigung ist: Es war Nothilfe. Aber was ist in den entscheidenden Tagen vor Beginn der Intervention wirklich passiert? Zu Neujahr erklärt die malische Armee, sie sei bereit, gen Norden zu ziehen, und warte nur auf den Marschbefehl des Präsidenten.

Interimspräsident Dioncounda Traoré antwortet wenige Tage später dunkel: Ein Militäreinsatz werde „früher beginnen, als viele denken“. Am 7., 8. und 9. Januar wird täglich auf höchster Ebene zwischen Paris und Bamako telefoniert: Premierminister, Außenminister, beide Präsidenten im direkten Kontakt. Am Morgen des 10. Januar schickt der Malier sein Hilfegesuch, die ersten französischen Flugzeuge treffen am Nachmittag ein; Traorés Bittbrief zirkuliert noch bei der UN.

Dieser Ablauf könnte andeuten, dass die französische Intervention längst vorbereitet war, bevor islamistische Kämpfer in Richtung Süden vorstießen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Diesen Vorstoß, die Einnahme des nun weltberühmten Städtchens Konna, hat es zweifelsfrei gegeben. Aber war er der Grund der Intervention oder lediglich ihr Anlass? Was in Konna geschah und warum sich die malische Armee so schnell von dort zurückzog, darüber kursieren widersprüchliche Darstellungen.

Entscheidend für alles Weitere ist eine französische Behauptung, unhinterfragt von der Weltpresse übernommen: Die Islamisten wollten in die Hauptstadt Bamako und hätten von dort ganz Mali zu einem Terrorstaat gemacht.

Es muss erlaubt sein, an diese Behauptung den Maßstab der Logik anzulegen. Bamako ist eine Stadt von zwei Millionen Einwohnern, von jenem berüchtigten Konna 590 Kilometer entfernt. Die islamistischen Gruppen, von westlichen Geheimdiensten auf etwa 2.000 Kämpfer geschätzt, müssten mit dieser Mannstärke weiterhin Nordmali okkupiert halten, auf dem Weg nach Bamako noch einige Städte einnehmen, um es dann mit zwei Millionen Hauptstädtern aufzunehmen. Und wozu überhaupt? Es handelt sich hier, wohlgemerkt, nicht um klassische Rebellen, die sich selbst an die Staatsspitze setzen wollen. Sondern um Dschihadisten, die nur in einem asymmetrischen Krieg, mit der Wüste als Basis und Rückzugsraum, so heimtückisch potent sein können.

Es spricht deshalb viel für die Ansicht von Malis früherem Außenminister Soumeylou Boubèye Maïga: Die Islamisten wollten den Flugplatz im nahen Sevaré in ihre Gewalt bringen, um eine ausländische Intervention zu erschweren. Ist diese Differenzierung, zumal im Nachhinein, nicht völlig unerheblich? Nein. Denn die Behauptung, die Islamisten hätten den großen, den totalen Krieg um Mali gesucht, rechtfertigt nun den großen „Gegenkrieg“, weit über eine begrenzte Nothilfe hinaus. Und die Vorstellung, ganz Mali könne übermorgen schon Sahelistan sein, spiegelt Unkenntnis ebenso wie Herablassung.

„Rumpfgebilde“ wird Mali in manchen Medien genannt, ein bloßes Territorium, kaum mehr Staat. Die Malier, die ihr Land mit verzweifeltem Nationalbewusstsein und solidarischer Leidensbereitschaft durch dieses Krisenjahr manövriert haben, werden von ihren Rettern jetzt schon entmündigt.

Apropos: Hatte der malische Interimspräsident für seinen Hilferuf womöglich auch Motive, die mit den Islamisten nichts tun haben? Seine Spindoktoren erzählten französischen Journalisten, das Militär habe einen neuen Putsch vorgehabt, hätte den Präsidenten gar verhaften wollen in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar. Le Monde fand das überzeugend: „Die malische Regierung wurde durch das militärische Engagement Frankreichs vor den Putschisten gerettet“ (15. 1.).

Tatsache ist: In den Tagen vor Interventionsbeginn hatten Demonstranten verlangt, endlich die schon mehrfach verschobenen Concertations nationales einzuberufen – einen Nationalen Rat, der Beschlüssen zum Militäreinsatz und zu den künftigen Wahlen eine breitere demokratische Legitimation geben sollte, über Malis abgewirtschaftete politische Klasse hinaus.

Der Interimspräsident ist eine Symbolfigur jener alten Elite, der die meisten Malier nicht mehr trauen. Weil er wie auch die Regierung demokratisch nicht legitimiert sind, wurde international lange gezögert, Mali überhaupt Unterstützung zukommen zu lassen. Alles jetzt vergessen! Nur die Entwicklungshilfe ist bis heute eingefroren; Malis Bauern bekamen nicht einmal Finanzhilfe, um Saatgut zu kaufen.

Der Feind wurde in diesem Krieg bisher nicht definiert. Als verstehe sich von selbst, wer liquidiert werden darf (und soll). Die bewaffneten Dschihadisten sind aber keineswegs alle Ausländer, auch wenn es die Malier so sehen möchten, weil der Konflikt dann die klaren Konturen einer Besetzung bekommt. Junge Männer wurden mit Geld als Mitkämpfer gewonnen, Al-Qaida-Obere heiraten schon seit Jahren in malische Familien ein, und selbst bei den spektakulären Amputationen verschwimmen manchmal die Fronten: Einem Mann wurde von seinem eigenen Bruder die Hand abgehackt.

Malische Medien verlangen jetzt, die säkularen Tuareg-Kämpfer, mit deren Feldzug in Nordmali das ganze Desaster begann, in Den Haag als Kriegsverbrecher anzuklagen. Die Tuareg-Matadore sitzen unbehelligt in Paris. Sie begrüßten die französische Intervention.

Charlotte Wiedemann: schreibt als freie Journalistin über muslimische Länder und kennt Mali durch zahlreiche Recherchen. Sie fand dort Anregungen für ihr jüngstes Buch „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben“ (Papy Rossa).