13. Dezember 2012 | Oury Jalloh – das war Mord!
Demo von Afrique-Europe-Interact in Bremen anlässlich der Urteilsverkündung in Magdeburg: Donnerstag, 13.12. 2012 um 17:30 Uhr. Start: Ziegenmarkt
Am 7. Januar 2005 ist Oury Jalloh im Polizeirevier Dessau bei lebendigem Leib verbrannt. Bis heute weiß die Öffentlichkeit nicht, was an diesem Tag in Zelle Nr. 5 tatsächlich geschehen ist. Während Verwandte, FreundInnen und die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh bereits früh von Mord sprachen, wurde im ersten Prozess gegen zwei Polizisten lediglich Anklage wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ erhoben. Der Prozess endete mit einem Freispruch, obwohl sich PolizeizeugInnen in eklatante Widersprüche verwickelt hatten. Am 7. Januar 2010 kassierte der Bundesgerichtshof in einer spektakulären Entscheidung das Urteil des Dessauer Landgerichts. Und doch: Auch im Revisionsprozess vor dem Magdeburger Landgericht haben Staatsanwaltschaft und Gericht hartnäckig an der von Anfang an hochgradig fragwürdigen These festgehalten, wonach Oury Jalloh trotz Fixierung an Händen und Füßen mit einem Feuerzeug das Feuer selbst entfacht haben soll. Vor diesem Hintergrund konnte es nicht überraschen, dass das Landgericht Magdeburg in seinem heutigen Urteil einmal mehr die vielfältigen Indizien und Beweise unterschlagen hat, die auf ein Tötungsdelikt durch Dritte (d.h. PolizeibeamtInnen) hinweisen – unter anderem die folgenden:
- Das angeblich unter dem Leichnam gefundene Feuerzeug enthält weder DNA-Spuren Oury Jallohs noch Fasern der Matratze oder seiner Kleidung. Genau solche hätten aber laut eines gerichtlich bestellten Gutachtens gefunden werden müssen.
- Der geringer verbrannte Rücken des Toten ist vom polizeilichen Ermittlungsteams gesondert gefilmt worden, ohne dass jedoch ein Feuerzeugrest entdeckt wurde. Ausgerechnet diese Videosequenz ist allerdings bei den Polizeibehörden gelöscht worden.
- Ebenfalls fragwürdig ist ein im Gewahrsambuch der Polizeistation nicht dokumentierter Aufenthalt der Polizisten Hans-Ulrich März und Udo Scheibe in der Zelle 5. Ein Kollege hatte die beiden dort eine halbe Stunde vor Brandausbruch angetroffen. Was haben die beiden bei Oury Jalloh gemacht?
- In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum zentrale Beweismittel verschwunden sind – neben dem bereits erwähnten Videomaterial unter anderem die folgenden: die rechte Handfessel, ein 8 cm langes Stoffstück, dass unter dem Kopf von Oury Jalloh gefunden wurde, das Fahrtenbuch von März und Scheibe sowie die Videoaufzeichnungen vom Flur des Gewahrsamtrakts.
- Laut eines von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh beauftragten unabhängigen Brandgutachtes aus London ist nicht zu erwarten (so seine ersten Voruntersuchungen), dass ein Feuer, das mittels eines Feuerzeugs an nur einer Stellte der Matratze gezündet wird, in der Lage ist, auch die Ecken der Matratze zu verbrennen, wie es auf den Fotos der Brandzelle sichtbar wird. Wenn das Feuer mit der rechten Hand durch Oury Jalloh selbst entzündet worden sein soll, ist zudem fraglich, warum seine linke Hand und sein linker Fuß nachweislich stärker verbrannt sind, als die rechte Hand und der rechte Fuß.
- Schließlich haben umfangreiche Beweiserhebungen vor Gericht ergeben, dass angeblicher Brandsausbruchsort und Liegeposition des Leichnam nicht zusammenpassen. Dabei ist insbesondere die Abwesenheit von stressbedingtem Noradrenalin im Urin von Oury Jalloh bedeutsam, denn sie weist darauf hin, dass Oury Jalloh bereits beim Ausbruch des Feuers bewusstlos gewesen sein muss.
Spätestens vor dem Hintergrund dieser keineswegs vollständigen Liste dürfte deutlich werden, dass „man keine Verschwörungstheorien braucht um festzustellen, dass etwas nicht stimmt.“, wie die Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke in ihrem Abschlussplädoyer ausführte. Naheliegender ist vielmehr, dass mit der Selbstentzündigungsthese ein Mord im Polizeirevier Dessau vertuscht werden soll. Um so wichtiger ist also, dass der Kampf um Wahrheit, Gerechtigkeit und Aufklärung auch in den nächsten Jahren breite Unterstützung findet – nicht nur im Falle von Oury Jalloh, sondern auch bei vergleichbaren Todesfällen wie zum Beispiel demjenigen von Laye Condé, der ebenfalls vor knapp 8 Jahren im Bremer Polizeigewahrsam im Zuge der Vergabe von Brechmitteln ertränkt wurde.
Weitere Informationen (auch über Spendenmöglichkeiten für den unabhängigen Brandgutachter) finden sich unter anderem folgenden Webseiten: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/ (Archiv beachten), http://www.thecaravan.org/ (unter dem Stichwort „police brutality“), www.umbruch-bildarchiv.de (unter dem Stichwort „Oury Jalloh“) und www.afrique-europe-interact.net (unter dem Stichwort „Rassismus in Europa“)