Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

9. April 2012 | Solidarität mit den sozialen Bewegungen in Mali!

Erklärung von Afrique-Europe-Interact/Europäische Sektion zu den Ereignissen nach dem Putsch am 21.03.

In Folge des Krieges im Norden von Mali hat am 22. März 2012 eine Gruppe von Offizieren den malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré durch einen Putsch gestürzt. Die Staatschefs der Westafrikanischen Wirtschaftsunion CEDEAO, insbesondere der mit Frankreich eng verbündete ivorische Präsident und Ex-Weltbankfunktionär Alassane Ouattara, reagierten mit massivem Druck: Sie drohten, unterstützt von Frankreich, mit militärischer Gewalt und verabschiedeten ein Wirtschaftsembargo, durch das die Menschen in Mali von lebenswichtiger Versorgung abgeschnitten wurden. Da die Putschisten inzwischen ein Abkommen für die Übergabe der staatlichen Macht an eine zivile Übergangsregierung unterzeichnet haben, sind die Sanktionen seit dem 6. April wieder aufgehoben.

Als europäische Sektion des transnationalen Netzwerks „Afrique Europe Interact“ kritisieren wir insbesondere die Haltung der europäischen Regierungen, die in angeblicher Besorgnis um die Demokratie in Mali eilig den Putsch verurteilt haben, ohne sich im Geringsten für die Situation und die Forderungen der Menschen in Mali zu interessieren. Viele BürgerInnen in Mali haben den Sturz von Präsident Touré begrüßt, da sie längst genug von einer korrupten Machtelite hatten, die seit Jahren auf Kosten der extrem verarmten Bevölkerungsmehrheit staatliche Gelder und Privilegien unter sich aufteilt – hinter der Fassade einer so genannten Musterdemokratie westlichen Zuschnitts. Diese Machteliten sind allenthalben willkommene Kooperationspartner für die neokoloniale Ausplünderung der Ressourcen Afrikas, im Falle Malis betrifft das insbesondere Gold, fruchtbare Ackerböden, Baumwolle und neuerdings auch Uran. Den europäischen Regierungen ist daher jegliches Infragestellen dieses neokolonialen Machtgefüges, d.h. jegliches Streben nach Selbstbestimmung, nach menschenwürdigen Lebensbedingungen und nach wirklich demokratischer Teilhabe durch die afrikanischen Bevölkerungen ein Dorn im Auge. Ebenso den Staatschefs anderer afrikanischer Staaten, die vor allem die Sorge vor Volksaufständen in ihren eigenen Ländern umtreibt – stellvertretend erwähnt sei der Präsident von Burkina Faso, Blaise Compaoré, der 1987 (sic) nach dem Mord an seinem bis heute überall in Afrika hoch geschätzten Vorgänger Thomas Sankara an die Macht gekommen ist.

Als europäische Sektion von Afrique Europe Interact ist es nicht unsere Aufgabe, politisch Position für oder gegen den Putsch vom 22. März zu beziehen. Wir wollen vielmehr all denen unsere Solidarität zeigen, die in den sozialen Bewegungen Malis gegen eine politische und ökonomische Ordnung kämpfen, die die Bedürfnisse der meisten Menschen ignoriert. Unsere Solidarität gilt daher – um nur einige Beisppiele zu nennen – den kleinbäuerlichen Kämpfen gegen Landraub; den Organisationen der Betroffenen städtischer Vertreibungen und Hauszerstörungen; den ArbeiterInnen, die gegen Massenentlassungen und Kaputtprivatisierung staatlicher Betriebe streiken; den selbstorganisierten Abgeschobenen, die für das Recht auf Bewegungsfreiheit und gegen die Schließung der Grenzen eintreten; den feministischen Kämpfen für die Rechte und die Selbstbestimmung der malischen Frauen.

Im Norden Malis sind durch den Krieg hunderttausende Menschen von lebensnotwendigen Gütern abgeschnitten und von Hungersnot bedroht, 220.000 Menschen sind auf der Flucht – vor allem in die ebenfalls bitterarmen Nachbarländer Mauretanien, Niger und Burkina Faso. Der Krieg in Mali wurde erst durch zurückgekehrte Söldner aus dem Libyenkrieg entfacht, ist also durch all jene europäischen Staaten mit verschuldet, die jahrelang das libysche Ghaddafi-Regime mit riesigen Waffenarsenalen ausgestattet haben – unter anderem um in Nordafrika einen Abwehrriegel gegen subsaharische MigrantInnen zu errichten. Auch deshalb rufen wir dazu auf, zusammen mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen in Mali die Kriegs- und Hungerflüchtlinge zu unterstützen und praktische Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung bzw. der Ernährungssouveränität der Bevölkerung einzuleiten. Insbesondere fordern wir von allen bewaffneten AkteurInnen die Beendigung von Gewalt bzw. Gewaltandrohung gegen die Zivilbevölkerung.

Für die Lösung sozialer und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und Marginalisierung im Norden von Mali (wovon nicht zuletzt die Tuareg betroffen sind) sehen wir keine Perspektive in der Ziehung neuer nationalstaatlicher Grenzen, da diese nur neue Ausgrenzung, Vertreibung und Gewalt hervorbringen würden. Wir fordern stattdessen Unterstützung für alle diejenigen, die für ein menschenwürdiges, gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben aller Menschen in Mali eintreten, in dem die Rechte der Angehörigen aller Sprach- und Bevölkerungsgruppen respektiert werden – einschließlich der langfristigen Überwindung von Grenzen überhaupt.

Wir wenden uns zudem gegen die Bestrebungen von Frankreich und anderen, den Krieg in Mali dazu zu nutzen, die eigene Militärpräsenz in dieser Region auszubauen. Eine weitere Militarisierung des Sahel dient nicht nur der Sicherung neokolonialer Rohstoff- und Wirtschaftsinteressen, sondern auch der verschärften Abschottung der innerafrikanischen Grenzen gegen Flüchtlinge und MigrantInnen. Bereits jetzt hängen durch den Krieg zahlreiche MigrantInnen im Grenzgebiet zwischen Mali und Algerien fest, die sich auf den Weg Richtung Norden gemacht haben bzw. die aus den Maghreb-Staaten „zurückgeschoben“ wurden.

Wir wollen Bewegungsfreiheit, wir wollen ein friedliches, freies und gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen in Mali und anderswo – anstelle von Krieg, militarisierten Grenzen und neokolonialer Macht- und Interessenspolitik! Wir erklären uns deshalb solidarisch mit den sozialen Kämpfen gegen Ungerechtigkeit, Armut und Ausbeutung!

Mehr Informationen zur Arbeit von Afrique-Europe-Interact finden sich auf unserer Webseite, dort sind auch zwei Deklarationen der malischen Zivilgesellschaft zu den aktuellen Entwicklungen in Mali dokumentiert: www.afrique-europe-interact.net

Le bon droit et la bonne justice pour tous//Recht und Gerechtigkeit für alle!