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Das Schweigekartell der Polizei

Schlampige Ermittlungen, Nachlässigkeiten und Vertuschungsversuche ließen den Bundesgerichtshof den Freispruch eines Polizisten in Dessau aufheben. Der Fall des verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh hat einiges verändert – nur die Polizei hat nicht allzu viel gelernt.

Von Robert von Lucius (01/2010)

In Dessau im Osten Sachsen-Anhalts verbrannte vor genau fünf Jahren, am 7. Januar 2005, der Asylbewerber Oury Jalloh in Polizeihaft – festgeschnallt auf einer Matratze. Die Demonstration zu seinen Ehren am Donnerstagnachmittag, zu der einige Teilnehmer eigens im Bus aus Berlin anreisten, wurde beflügelt durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom Morgen, das den Freispruch eines Dienstgruppenleiters der Polizei aufhob und den „Fall Jalloh“ zur Neuverhandlung nach Magdeburg verwies.

Das Karlsruher Urteil wurde nur möglich, weil Freunde Jallohs und Bürgergruppen immer wieder das Verhalten der Polizei öffentlich kritisiert hatten. Die Geschichte war voller Widersprüche und Pannen – und wohl auch geprägt von bewusster Einflussnahme, um die Ereignisse, die zum Tod Jallohs führten, zu vertuschen. So wies erst eine zweite Obduktion auf Zeichen von Verletzungen oder Misshandlungen, einen Nasenbeinbruch und ein verletztes Trommelfell.

„Unstrittige Defizite“

Das Landgericht Dessau-Roßlau lehnte zunächst ein Verfahren ab. Erst nach öffentlichem Druck und weiteren Gutachten begann gut zwei Jahre nach dem Tod Jallohs der Prozess gegen zwei Polizisten. Einer der beiden, der bei der Durchsuchung Jallohs laut Anklage das Feuerzeug übersehen hatte, mit dem die Matratze entzündet worden war, musste sich wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung verantworten – ein Vorwurf, der sich als unhaltbar erwies. Doch auch der Dienstgruppenleiter, der die Verantwortung über den Gewahrsamsbereich hatte und sich wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge verantworten musste, wurde im Dezember 2008 freigesprochen – die Beweislage schien zu schwer aufzuklären.

Zahlreiche Polizisten mauerten bei Zeugenaussagen oder widerriefen frühere Aussagen, so etwa eine Polizistin, die – angeblich unter Druck – zunächst einem der Angeklagten, ihrem Vorgesetzten, Nachlässigkeiten vorgeworfen hatte. Der Vorsitzende Richter sagte in seiner Urteilsbegründung, was die Polizei bei ihren schlampigen Ermittlungen und vor Gericht bot, habe mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun; deshalb habe er den Prozess für gescheitert erklären müssen. Selbst die Polizeigewerkschaft sprach von „unstrittigen Defiziten“ und forderte von Polizisten den Mut, auch gegen ihre Kollegen auszusagen.

Vertuschungsversuche auf vielen Ebenen

Vor gut fünf Jahren kannten nur einige seiner afrikanischen Freunde den rastalockigen Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone – sie schildern ihn als freundlich, unter Alkoholeinfluss indes auch mal jähzornig – und die Polizei; er war ihr wegen Rauschgiftdelikten aufgefallen. Bei seiner Festnahme und bei der ärztlichen Untersuchung, das belegen aufgezeichnete Telefongespräche, ging sie rabiat vor. Sie warf ihm vor, er habe Reinigungsfrauen „sexuell belästigt“. Jalloh aber, das bestätigten die Frauen, hatte nur gebeten, deren Mobiltelefon nutzen zu dürfen. Weil er keinen Ausweis hatte, wurde er – obwohl er fast drei Promille Alkohol im Blut hatte – in eine Zelle gesperrt und an ein Bett gefesselt. Wie es ihm gelang, seine „feuerfeste“ Matratze mit dem Feuerzeug, das er nicht hätte haben dürfen, anzuzünden, blieb ungeklärt wie manches andere. Gesichert ist dank Überwachungskameras, dass es sich nicht um eine gezielte Tötung handelte – wohl aber um grobe Nachlässigkeiten, herablassendes Verhalten und um Vertuschungsversuche auf vielen Ebenen.

Seitdem hat sich in Sachsen-Anhalt manches getan. Die Gewahrsamsordnung des Landes wurde geändert. Personen mit mehr als zwei Promille Alkohol im Blut müssen nun ins Krankenhaus gebracht werden statt in eine Polizeizelle. Ministerpräsident und Innenminister sprachen von beschämenden Ereignissen, die ein schlechtes Bild auf Polizei und Land werfen. Ihnen ist bewusst, dass Jalloh für viele zum Symbol wurde. Menschenrechtsorganisationen beobachteten den Prozess und zeigten sich am Donnerstag beglückt über das Karlsruher Urteil. Aus Südafrika kamen Prozessbeobachter, afrikanische Zeitungen berichten, Dritte-Welt-Zentren von Berlin bis Wuppertal zeigen eine Wanderausstellung zum „Fall Jalloh“.

Auch in Dessau-Roßlau hat sich seitdem vieles getan. Vor fünf Jahren interessierte sich der damalige Oberbürgermeister nicht für den Fall. Am Donnerstag legte der parteilose Oberbürgermeister Koschig einen Kranz am Eingang des Polizeireviers nieder. Vor bald zehn Jahren wurde der Moçambiquaner Alberto Adriano in Dessau von Rechtsradikalen ermordet; an ihn erinnert eine Gedenkstelle im Stadtpark. Mittlerweile gibt es ein Netzwerk gegen Rechtsextremismus in der Kreisstadt, eine Beratungsstelle für Opfer des Rassismus und ein Begegnungsfest.

Der Einsatzleiter war nicht zu erreichen

Dass die Polizei in Dessau-Roßlau indes nicht allzu viel gelernt hat, zeigt der Umgang mit Mouctar Bah. Der Guineer hatte einen Telefonladen eröffnet, der rasch Anlaufpunkt für Afrikaner wurde, die dort alles von Jamswurzeln bis zu afrikanischem Haargel fanden. Auch Jalloh war des öfteren dort. Nach seinem Tod spürte Bah die Familie auf und informierte sie. Er trug dazu bei, dass der Übergriff bekannt wurde, drang auf eine zweite Obduktion und ermöglichte, dass die Eltern als Nebenkläger zugelassen wurden. So galt er Behörden und Polizisten als Störenfried. Das Ordnungsamt entzog ihm Ende 2005 die Gewerbelizenz für den Telefonladen – trotz lobender Worte der Handelskammer und des Finanzamtes. Dabei berief das Ordnungsamt sich auf zwei Zusammenstöße mit einem Nachbarn – Aussagen von Zeugen aber belegen, dass dieser Bah beleidigt und angegriffen habe.

Bah wurde zum Angestellten eines Deutschen in seinem eigenen Laden, gab aber nicht auf. Die Polizei aber auch nicht. Am 13. Dezember vorigen Jahres erhielt Mouctar Bah in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte für seine Zivilcourage. Vier Tage später, just als Bah und andere Mitglieder der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ sich auf den Weg zu einem Termin beim Bundesgerichtshof nach Karlsruhe machen wollten, kamen mehrere Polizisten ohne richterlichen Beschluss oder ein abschließendes Protokoll in den Telefonladen, durchsuchten ihn mehr als vier Stunden lang und befragten Anwesende. Der Einsatzleiter war während der gesamten Aktion für Bah „unerreichbar“.

Ursprünglich erschienen auf: faz-online