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September 2017 | Anlageplatz Afrika: Das Ende der Entwicklungshilfe?

Von Olaf Bernau, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, September 2017

Nichts weniger als das Ende der Entwicklungshilfe verkündete Angela Merkel auf der G20-Afrika-Konferenz der Bundesregierung Mitte Juni in Berlin, zu der auch zahlreiche Vertreter afrikanischer Staaten geladen waren. Mit einem „Compact with Africa“ (Pakt mit Afrika) will die Bundesregierung den Kampf der G20-Staaten gegen Hunger und Armut in Afrika vom Kopf auf die Füße stellen: Kern der Initiative sind Partnerschaften mit ausgewählten afrikanischen Ländern, mittels derer die Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen dort verbessert werden sollen. Öffentliche (Entwicklungshilfe-)Gelder sollen dann nur noch fließen, wenn sie privatwirtschaftliche Investitionen erleichtern und somit als Hebel für wirtschaftliche Entwicklung fungieren. Das aber bedeutet letztlich nichts anderes als die Erschließung Afrikas als Anlageplatz für europäisches Kapital – unter dem Mantel der Fluchtursachenbekämpfung. Die G20-Staaten haben auf ihrem Gipfel Anfang Juli in Hamburg diese deutschen Vorschläge bestätigt, allerdings ohne verbindliche Finanzzusagen.

Der demonstrative Bezug auf afrikapolitische Belange – einschließlich gespreizter Entwicklungs- und Mitmenschlichkeitsrhetorik – ist keineswegs neu: Bereits 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm stand Afrika formell ganz oben auf der Agenda; greifbare Ergebnisse brachte dies jedoch nicht. Und schon 2005 war es dem britischen Premierminister Tony Blair gelungen, die von über 500 zivilgesellschaftlichen Organisationen getragene Kampagne „Make Poverty History” auf seine Seite zu ziehen. Daraus resultierte nicht zuletzt eine Großdemonstration mit 250 000 Menschen in Edinburgh, die die gänzlich unambitionierte Entschuldungsinitiative einer von Blair im Vorfeld des damaligen G8-Gipfels eingesetzten Afrika-Kommission ausdrücklich unterstützte.

Verändert hat sich hingegen die aktuelle Weltlage, jedenfalls aus deutscher und europäischer Sicht: Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise avancierte nicht nur die Frage der Fluchtursachen innerhalb der EU zu einem buchstäblichen Dauerbrenner. Auch Klimawandel und Terror spielen heute mit Blick auf Afrika eine ungleich bedeutsamere Rolle als noch vor zehn oder 15 Jahren. Hinzu kommt die verschärfte Konkurrenz mit China und anderen BRICS-Staaten um den Zugang zu afrikanischen Märkten und Rohstoffen. Es scheint insofern folgerichtig, dass Afrika-Konzepte hierzulande Hochkonjunktur haben: Bereits im Mai 2014 hat die Bundesregierung ihre Afrikapolitischen Leitlinien präsentiert. Erstmalig wurde Afrika dort als Kontinent der Chancen, nicht der Krisen definiert – eine Pointe, die sich seitdem als roter Faden durch sämtliche öffentliche Verlautbarungen zieht. Dabei nimmt die Regierung nicht nur die reichhaltigen Bodenschätze und Ackerflächen in den Blick. Vielmehr wird Afrika angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums auch als künftiger Absatzmarkt gepriesen, zumal die überwiegend junge Bevölkerung eine hohe Affinität zu Informationstechnologie und Mobilkommunikation aufweise. Gleichzeitig werden in den Afrikapolitischen Leitlinien die (vermeintlichen) Gefahren durch Migration, Waffenhandel, Drogenschmuggel und bewaffnete Konflikte beschworen, weshalb militärische und ähnliche Maßnahmen ebenfalls erforderlich seien.

Was das konkret heißt, machte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereits im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels 2014 gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unmissverständlich deutlich: „Es geht um die Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern, strategische Handelsinteressen und auch um die Sicherheit europäischer [sic] Staatsbürger in Afrika.”

Ganz in diesem Sinne liegen derzeit neben dem vom Finanzministerium konzipierten „Compact with Africa“ zwei weitere Afrika-Konzepte der Bundesregierung auf dem Tisch: die vom Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vorgelegten „Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika“ und die vom Ministerium für Wirtschaft und Energie propagierte Initiative „Pro!Afrika“, die ebenfalls privatwirtschaftliche Kräfte entfesseln will, in der aktuellen Debatte allerdings eher randständig ist.

Von der Hilfe zur Kooperation?

Bereits im Januar 2017 stellte Entwicklungsminister Gerd Müller seine Initiative vor: Der Marshallplan sei ein „dynamisches Dokument“, das ausdrücklich zur Diskussion einlade. Grundsätzlich müsse die „jahrzehntelange Geber-Nehmer-Mentalität“ zugunsten einer „partnerschaftlichen und wirtschaftlichen Kooperation“ abgelöst werden, die auf „Eigeninitiative und Eigenverantwortung“ setze. Die Schaffung von jährlich 20 Millionen neuer Jobs für die Jugend sei das derzeit wichtigste Ziel für Afrika, im Übrigen auch deshalb, um die Zahl der sich neu auf den Weg machenden Migranten und Geflüchteten zu reduzieren. Doch dies könne nicht durch Entwicklungszusammenarbeit erreicht werden, sondern nur, indem mehr westliche Firmen in Afrika investieren. Erwähnt wird dabei unter anderem, dass allein für die Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Afrika 600 Mrd. US-Dollar pro Jahr erforderlich seien.

Es ist aber vor allem der ebenfalls zu Jahresbeginn vorgestellte Compact with Africa, der die afrikapolitische Debatte im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft, die noch bis Ende November dauert, weitgehend bestimmt: Mit Ruanda, Senegal, der Elfenbeinküste, Ghana, Marokko, Tunesien und Äthiopien bekundeten bereits sieben afrikanische Länder ihr Interesse an einer G20-Investitionspartnerschaft, weitere Länder sollen in den nächsten Jahren folgen. Im Kern geht es um mehr oder weniger neoliberale Reformen, die sogenannte Investitionshemmnisse abbauen sollen. Blickt man auf den von der Weltbank, dem IWF und der Afrikanischen Entwicklungsbank erarbeiteten Maßnahmenkatalog, wird allerdings schnell deutlich, dass es sich überwiegend um alten Wein in neuen Schläuchen handelt. Mehr noch: Mindestens fünf Gründe sprechen dafür, dass der Compact eine für Afrika brandgefährlichen Initiative ist.

Eine brandgefährliche Initiative

Erstens droht den beteiligten Ländern eine neue Schuldenkrise, wie unter anderem die NGO „erlassjahr 2000“ festgestellt hat. Denn bei den geplanten Kapitalzuflüssen aus G20-Ländern handelt es sich nicht um Budgethilfen oder zinsgünstige Kredite wie in der klassischen Entwicklungszusammenarbeit, sondern um Direktinvestitionen oder Kredite zu Marktkonditionen. Die Investoren sollen also Geld verdienen. In internen Regierungspapieren ist sogar von einer garantierten Verzinsung von 4 bis 4,5 Prozent die Rede, nicht zuletzt für institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Lebensversicherer, die angesichts der andauernden Niedrigzinsphase stets nach neuen Anlagemöglichkeiten suchen. Just diese Konstellation kann aber im Falle von Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten, Ernteausfällen oder anderen externen Schocks leicht zur Überschuldung führen – ungeachtet dessen, dass die G20-Regierungen ein sorgfältiges Monitoring zur jeweiligen Schuldentragfähigkeit durchführen möchten.

Zweitens zeigt die Erfahrung der letzten drei Jahrzehnte, dass ausländische Privatinvestitionen immer wieder maßgeblich zur Entstehung neuer Ausplünderungszyklen in zahlreichen Ländern Afrikas beigetragen haben – samt der Festschreibung ganzer Volkswirtschaften auf den Export von Rohstoffen. Exemplarisch zeigt sich dies im Bergbausektor, der im Zuge zahlreicher IWF-Strukturanpassungsprogramme seit Anfang der 1980er Jahre allenthalben liberalisiert wurde: Statt zu den viel beschworenen Trickle-Down-Effekten zugunsten lokaler Wirtschaftskreisläufe kam es nicht nur zu umfänglichen Landenteignungen und ökologischen Zerstörungen, sondern auch zu Korruption und Klientelismus, bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen – Beispiele dafür finden sich in Sierra Leone und Nigeria ebenso wie in der Demokratischen Republik Kongo, Sambia oder Südafrika. Was das praktisch bedeutet, hat erst jüngst der britische Journalist Tom Burgis in seinem aufsehenerregenden Buch „Der Fluch des Reichtums“2 eindringlich geschildert: Danach leben 69 Prozent der Menschen, die von extremer Armut betroffen sind, ausgerechnet in solchen Ländern, in denen Öl, Gas und Mineralien eine dominante Rolle in der Wirtschaft spielen – allen voran in der Demokratischen Republik Kongo, wo 88 Prozent der Menschen mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen. Umgekehrt betrug im Jahr 2010 allein der Wert der Brennstoff- und Mineralexporte aus Afrika 333 Mrd. Dollar, ganz zu schweigen von jenen 175 Mrd. Euro, die laut IWF dem Fiskus afrikanischer Länder jährlich durch Steuertricks transnationaler Unternehmen verloren gehen.

Privatinvestitionen = Entwicklung?

Der ständige Kapitalabfluss verweist drittens darauf, dass Privatinvestitionen aus dem Ausland nicht automatisch zu Entwicklung führen. Vielmehr haben externe Privatinvestitionen nur dann positive Beschäftigungseffekte, wenn sie auf bereits bestehende kleine und mittelständische Unternehmen treffen, die zu einer Kooperation technisch und organisatorisch tatsächlich in der Lage sind. Robert Kappel und Helmut Reisen haben daher in mehreren Veröffentlichungen kritisiert, dass die komplexen Verbindungen zwischen der Entwicklung von Infrastruktur einerseits und dem Aufbau bzw. der Modernisierung industrieller und landwirtschaftlicher Strukturen andererseits im Compact weitgehend ausgeblendet würden, ebenso wie die Notwendigkeit, afrikanischen Firmen einen umfassenden Zugang zu patentgeschützten Technologien zu gewähren. Dominierend sei stattdessen eine „Art Schrotflinten-Ansatz“, so die Autoren: „Man pumpt Geld rein, fordert Managementreformen ein und dann soll der Aufschwung durch die Infrastrukturinvestitionen wie ein sich selbst entwickelnder Prozess in Gang kommen. Welch‘ eine Illusion“.

Viertens geht der Compact nicht mit einem Wort auf die CO2-Reduktionsziele des Pariser Klimaabkommens ein – genau das wäre bei einem Investitionsprogramm dieses Ausmaßes aber dringend geboten. Mehr noch: Die NGO Germanwatch betont, dass laut Artikel 2 des Pariser Klimaabkommens die globalen Finanzströme so umgeschichtet werden müssten, dass sie eine klimafreundliche und klimawandelresiliente Entwicklung fördern.

Fünftens droht die Gefahr, dass im Wettbewerb um neue Investoren eine Abwärtsspirale von Sozial- und Umweltstandards in Gang gesetzt wird. Dazu passt im Übrigen auch, dass der Compact – ähnlich wie das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP – dem Investorenschutz große Bedeutung beimisst, zu Beteiligungsverfahren durch die lokale Bevölkerung jedoch kein Wort verliert.

Rücksichtlose Interessenpolitik

All dies macht deutlich: Beim Compact with Africa geht es nicht um eine wirkliche Bekämpfung von Fluchtursachen, also um Investitionen in das lokale Gesundheits- und Bildungswesen, in die (Ab-)Wasser- und Stromversorgung, in kostengünstige Transportsysteme oder in den Aufbau kleiner und mittelständischer Betriebe. Im Zentrum steht vielmehr die Zielsetzung, Afrika als Anlagesphäre für privates Kapital zu erschließen – und zwar abgesichert durch öffentliche Gelder.

Spätestens an dieser Stelle sollten freilich auch die Differenzen und Gemeinsamkeiten der diversen Afrika-Konzepte genauer in den Blick genommen werden. Denn auffällig ist, dass der Marshallplan ungleich mehr Potential als der Compact enthält, Armut tatsächlich zu bekämpfen: Zum einen, weil sein programmatischer Horizont weiter aufgespannt ist, beispielsweise wenn bereits in der Einleitung unter der Überschrift „Wertschöpfung statt Ausbeutung“ eine Wirtschaftspolitik gefordert wird, „deren Schwerpunkte die Diversifizierung der Wirtschaft, der Aufbau von Produktionsketten, die gezielte Förderung von Landwirtschaft sowie kleinen und mittleren Unternehmen, die Aufwertung des Hand­werks und damit die Schaffung eines neuen Mittelstands sind.“ Zum anderen, weil der Marshallplan einige der grundlegenden Probleme im afrikanisch-europäischen Verhältnis vergleichsweise ungeschminkt benennt, insbesondere die einseitig auf europäische Interessen fokussierte (Frei-)Handelspolitik der Europäischen Union.

Dennoch sollte nicht unter den Tisch fallen, dass der Marshallplan zwei ganz wesentliche Schwachpunkte mit dem Compact teilt: Beide reden von Partnerschaft und gleicher Augenhöhe, ja der Marshallplan nimmt sogar begrifflich in Anspruch, ein aus der Kooperation „mit Afrika“ geborenes Projekt zu sein. Doch de facto wurden beide Konzepte – genauso wie dasjenige des Wirtschaftsministeriums – ohne direkte Beteiligung afrikanischer Akteure erstellt. Hierzu passt des Weiteren, dass Afrika in der aktuellen Debatte einmal mehr stark homogenisiert wird: Bestimmend sind pauschale und somit nur eingeschränkt realitätstaugliche Analyse- und Lösungsmuster – die jeweiligen Besonderheiten wie Küsten- oder Binnenstaat, West- oder Ostafrika, Rohstoffausfuhr- oder Einfuhrland etc. finden kaum Berücksichtigung.

Es bleibt also die ernüchternde Erkenntnis, dass die deutsche Afrikapolitik weiterhin stark von Eurozentrismus, Paternalismus und rücksichtloser Interessenpolitik geprägt ist. Doch immerhin gibt es einen Lichtblick: Denn das G20-Abschlussdokument zur „G20-Afrika-Partnerschaft“ fällt derart nebulös aus, dass die Umsetzung des Compact with Africa keineswegs sicher ist – angesichts der zu erwartenden negativen Folgen wäre das keine schlechte Nachricht.

Olaf Bernau ist bei Afrique-Europe-Interact aktiv