13. Juni 2017 | Afrika-Gipfel: Ohne die Zivilgesellschaft funktioniert es nicht (Zeit-Online)
Der Berliner Afrika-Gipfel soll Investitionen in die Infrastruktur des Nachbarkontinents anstoßen. Doch werden die Pläne der westlichen Experten den Bedürfnissen gerecht? Von Christiane Grefe, Zeit-Online
Dike Chukwumerije ist ein Performancekünstler aus Lagos, in seiner Lyrik spießt er öfter mal die Scheuklappen der Entwicklungspolitik auf. Im Vorfeld des G20-Gipfels etwa trug der Nigerianer diesen Spoken-Word-Kommentar vor: “Sollen wir unser Land für eine stabile Zukunft bauen / dann dürfen wir nicht allein auf Infrastrukturen vertrauen …” Der Vers trifft zielsicher ein Unwohlsein, das die zweitägige große Berliner Afrika-Konferenz bei vielen Beobachtern hinterlassen hat. Das Gefühl: Hier fehlt doch etwas? Etwas Wichtiges?
Bei allem Respekt, denn dass die Bundesregierung Europas vernachlässigten Nachbarkontinent neu entdeckt und ihm einen Schwerpunkt ihrer G20-Präsidentschaft widmet, ist zunächst ein wichtiges und positives Signal. Auch die Ziele klingen plausibel: Afrikanische Länder sollen dabei unterstützt werden, Millionen von Arbeitsplätzen für ihre rasant wachsende Bevölkerung zu erschließen – nicht zuletzt, damit den vielen jungen Menschen Perspektiven eröffnet werden und sie in ihren Ländern bleiben.
Fluchtursachen bekämpfen: Für seinen Compact with Africa will nicht nur der Finanzminister Wolfgang Schäuble die größten Wirtschaftsmächte gewinnen, wenn sie Anfang Juli in Hamburg ihren Gipfel zelebrieren. Zugleich rückt Gerd Müllers sogenannter Marshallplan Afrika ganz groß ins Zentrum der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, und mit Pro! Afrika hängte sich die Wirtschaftsministerin noch mit einem weiteren Plan dran. Einen derartigen Afrika-Wettbewerb gab es noch nie am Kabinettstisch, er galt wohl nicht zuletzt den Chancen von CDU-, CSU- und SPD-Ministerin auf Wahlkampf-Glamour im Schein der G20. Immerhin sollen jetzt alle drei Pläne koordiniert werden, und sie haben die gleiche ambivalente Stoßrichtung: im großen Stil privates Kapital für Infrastrukturprojekte zu mobilisieren.
Die Partner müssen ihre Reformbereitschaft prüfen lassen
Das Angebot an afrikanische Regierungen lautet, kurz gefasst: Wenn ihr die Korruption bekämpft und mit verlässlichen Institutionen ein gutes Investitionsklima schafft, dann ermuntern wir im Gegenzug unsere Unternehmen mit allerhand staatlichen Hilfen, zu euch zu kommen. Dann bauen sie eure Wasser- und Energieversorgung, digitale Netze und Straßen mit auf. Deutschland will afrikanischen Partnern, die sich auf diese Regeln einlassen, überdies mehr Hilfsgelder und Beratung zuteilwerden lassen. 300 Millionen Euro sollen allein in diesem Jahr zusätzlich fließen.
Gefeiert wird die “Investition in eine gemeinsame Zukunft” nicht gerade bescheiden gleich als Abschied von der “klassischen Entwicklungspolitik”. Deren jahrzehntelanges Wirken in Afrika wischte auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Eröffnungsrede zur G20-Konferenz mal eben als weitgehende Fehlleistung vom Tisch. Doch tatsächlich ist auch die vermeintlich so neue Zauberformel, alles auf Infrastruktur und Industrie zu setzen, ein alter entwicklungspolitischer Hut – ebenso wie eine Partnerschaftsrhetorik (“Hilfe zur Selbsthilfe”), die Machtverhältnisse und Eigeninteressen der Immer-noch-Geberländer süßlich vernebelt. Und beides greift viel zu kurz.
Es stimmt zwar: Afrikanische Regierungen sind heute selbstbewusster, sie bringen eigene nationale und regionale Entwicklungspläne mit. Aber wer in den Genuss zusätzlicher Entwicklungsmillionen der G20 oder Deutschlands kommen will, der muss seine Reformbereitschaft nicht nur von der African Development Bank prüfen lassen, sondern auch von Weltbank und IWF – nach deren Kriterien. “Man brütete diese Initiativen aus, dann suchte man in Afrika nach Unterstützung für sie”, monierte Carlos Lopes, vormaliger Generalsekretär der UN-Wirtschaftskommission für Afrika in der taz. “So werden diese Pläne den Bedürfnissen Afrikas nicht gerecht.” Den Nutzen, das fürchten Nichtregierungsorganisationen, hätten eher europäische Unternehmen.
Außerdem ist durchaus fraglich, ob deren Förderung tatsächlich den Weg aus der Armut weist oder gar Fluchtursachenbekämpfung ermöglicht. Investitionen stranden, wo es kaum ausgebildete Fachkräfte gibt und auch keine Kunden. Der kenianische Ökonom David Ndii sieht die Gleichung deshalb auch genau andersherum: Nicht Investitionen schafften Entwicklung, sagt er, sondern Entwicklung ziehe Investitionen an. Für diese These spricht, welche Partnerländer als erste die Regeln des Compact erfüllen. Tunesien, Marokko, Elfenbeinküste, Senegal und Ruanda, demnächst auch Ghana und Äthiopien gehören schon zu den Staaten mit mittlerem Einkommen oder sind auf dem Weg dorthin.
Infrastruktur ist nie neutral
Trotzdem hat es natürlich Sinn, auch mit solchen afrikanischen “Champions” zusammenzuarbeiten, wie der Entwicklungsminister sie nennt; erst recht, wenn einer der Schwerpunkte sein soll, ihre weitere Entwicklung auf die Grundlage einer klimaschonenden Energieversorgung zu stellen. Ohne Energie geht ja tatsächlich gar nichts: kein Traktor, keine Kaffeerösterei und kein Internetanschluss, keine Schuhfabrik und kein Krankenhaus. Durchaus symbolhaft fand die Afrika-Konferenz im ausgedienten Berliner Gasometer statt, auf einem Gelände des fossilen Zeitalters, auf dem heute mit Erneuerbare-Energien-Technologien experimentiert wird.
Doch auch hinter dieser Demonstration steht neben dem Klimaschutz ein Eigeninteresse: deutsche Umwelt- und Energietechnik als potenzieller Exportschlager. Erst spät hat die Bundesregierung erkannt, dass sich dafür nicht nur Geld aus globalen Klimaschutztöpfen, sondern auch eine Menge privates Kapital auf Anlagensuche mobilisieren lassen könnte – dass aber Indien und China auf den wachsenden afrikanischen (Energie-)Märkten schon große Vorsprünge haben. David Ndii aus Kenia spricht bei diesem Erwachen von “Europas posthegemonialem Hangover”.
Der Gipfel schafft eine neue Aufmerksamkeit
Und noch eine Krux gibt es beim Fokus auf der Infrastruktur: Sie ist, ob bei Solaranlagen, Wasserleitungen oder Straßen, nie neutral. Das haben zahlreiche Konflikte um Dämme und auch schon um Windkraftparks gezeigt. Auf wessen Land werden sie gebaut, mit welchen Folgen für die lokale Bevölkerung? Wem sollen sie zuerst zugutekommen: der breiten Mehrheit der Bauern, die damit zu Kleinunternehmern werden können? Den Frauen, die dort die meiste Arbeit tun? Eher den Städten? Soll es große, zentrale Anlagen geben, mit mächtigen Betreibern? Oder wer finanziert dezentrale Netze, und welche neuen Siedlungs- und Wirtschaftsformen bringen sie hervor? Wo bringen private Unternehmen mehr, wo sollte doch lieber der Staat Verantwortung für die öffentlichen Güter übernehmen?
Solche wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen können Regierungen, Unternehmen, Finanz- und Technologieexperten nicht alleine entscheiden. Das war es, was fehlte: die afrikanische Zivilgesellschaft und ihre Erfahrungen.
Immerhin wurde nicht nur im Gasometer diskutiert, und vielleicht ist das der größte Erfolg der politischen Afrika-Offensive: eine neue Aufmerksamkeit, die bis in Kirchen, Landfrauenvereine, Hochschulen, Umweltgruppen und viele andere Kreise Begegnungen mit Menschen aus afrikanischen Ländern mit sich bringt.
Die Heinrich-Böll-Stiftung zum Beispiel hat Bürger aus Nigeria interviewt, was Entwicklung für sie bedeutet – darunter den Poetry-Slammer Dike Chukwumerije, der auf einen auch kulturell eigenen Weg seines Landes hofft. Sein eingangs zitierter Text über die Infrastrukturpolitik endet – ebenfalls frei übersetzt – so: “Zu einer wohlhabenden Nation gehört am Ende / viel mehr als ein Fundament aus reichlich Zement.”