12. Juni 2017 | Der „Merkelplan“ (taz)
Investitionen statt Entwicklungshilfe sehen die Staatschefs als Zukunft Afrikas. Von Menschenrechten reden sie nicht. Von Christian Jakob, Simone Schlindwein, taz
Es kam wie bestellt: Am Montag stellte der Industriestaatenverband OECD seine Wachstumsprognose für Afrika vor. Verdoppeln soll sich dieses im kommenden Jahr – auf 3,4 Prozent. Wie ein guter Wetterbericht vor einem Ausflug dürften diese Zahlen die Stimmung gehoben haben, als am Montagnachmittag fast ein Dutzend afrikanischer Staatschefs im Berliner Gasometer eintrafen.
Zwei Tage diskutieren sie auf Einladung der deutschen G20-Präsidentschaft über die Förderung von Investitionen in Afrika. Privates Kapital statt Entwicklungshilfe – das ist die Idee. Grundlage ist eine vom Bundesfinanzministerium entwickelte Reforminitiative namens „Compact with Africa“.
Merkel wies zur Eröffnung der Konferenz darauf hin, dass Sicherheit die Voraussetzung für Entwicklung sei – und diese somit auch eine militärische Seite habe. Sicherheit sei in Afrika vielfach nicht gewährleistet. „Da müssen wir auch neu denken lernen“, so Merkel. Fragen der Sicherheit hätten in der Entwicklungspolitik in der Vergangenheit keine ausreichende Rolle gespielt. „Viele Jahre haben wir uns gut gefühlt, wenn wir uns nicht mit militärischer Ausrüstung beschäftigt haben“, sagte sie. „Wir müssen uns ehrlich machen.“
Die afrikanischen Staatschefs überhäuften sie mit Danksagungen: Dafür, dass sie das Jahr 2017 unter der deutschen G20-Präsidentschaft zum Afrika-Jahr auserkoren hat. Einen Marshallplan mit Afrika hatte dazu Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ausgerufen. Alassane Ouattara, Präsident der Elfenbeinküste taufte diesen Plan am Montag glattweg um: „Merkelplan“ nennt er ihn und bekommt lauten Beifall im Saal. Merkel lacht. Sie wirkt etwas gerührt.
Niger sahnt ab
Für den ursprünglichen Marshallplan für Westeuropa habe die USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Vereinigten Staaten aufgebracht. Für einen Marshallplan mit Afrika – „beziehungsweise Merkelplan“ – würde dies bei weitem nicht ausreichen, sagte Mahamadou Issoufou, Präsident des bettelarmen Wüstensstaats Niger an. Bis zu 600 Milliarden Dollar seien jährlich auf dem afrikanischen Kontinent nötig, betont er – und das bis 2030. Niger zählt zu denjenigen Ländern, die in der neuen EU-Politik gegenüber Afrika bislang am meisten abgesahnt hat. Bis zu 700 Millionen Euro will die EU in Niger investieren, um die Migration in diesem Haupttransitland zu stoppen. Als „Compact“-Staat ist Niger noch nicht im Gespräch, dennoch war Nigers Präsident in Berlin dabei.
Die Zeit klassischer Entwicklungsprojekte sei vorbei – es handele sich vielmehr um den Aufbruch in eine neue Epoche, hieß es in Berlin von allen Seiten. Jetzt gehe es um direkte und private Investitionen, um die Entwicklung voranzutreiben. „Ein nachfrageorientierter Ansatz“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schhäuble (CDU). „Es geht nicht mehr darum, Afrika helfen zu wollen, sondern darum, Geschäfte und Profite zu machen“, bringt Marokkos Finanzminister Mohamed Boussaid es auf den Punkt.
Mittlerweile sieben Länder haben seit Anfang des Jahres ihr Interesse an einem Compact angemeldet: Senegal, Tunesien, Elfenbeinküste, Ruanda, Marokko, Äthiopien und Ghana. Die Staatschefs dieser Länder bekamen am Montag in Berlin die Gelegenheit, ihr Interesse an den Compacts noch einmal kundzutun. Alle betonten die Notwendigkeit von Investitionen in ihre Infrastruktur: Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Sozialwohnungen, Energie- und Stromerzeugung. Alle betonten die Vorteile der Integration ihrer Wirtschaften in regionale Bündnisse wie die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Und alle betonten auch das Humankapital Afrikas: Die rasch wachsende Bevölkerung und die Masse junger Arbeiter. Also genau die Menschen, die die EU als illegale Migranten fürchtet. Anstatt sie auf ihrer Suche nach dem Glück in der EU im Mittelmeer ertrinken zu sehen, könnten sie die Garantie für eine positive Zukunft Afrikas sein, sagte Nana Addo Dankwa Akufo-Addo, Präsident von Ghana: „Wenn wir ihnen ein positives Berufsumfeld ermöglichen, können sie Afrika wieder groß machen“.
Wesentlich dazu sei Bildung: vor allem von Jugendlichen und Frauen. Die meisten der Compact-Staaten streben an, in den nächsten zehn Jahren zu einem Mittelstandsland zu werden. Dazu müssen afrikanische Unternehmen konkurrenzfähig werden, internationale Firmen müssen Afrika als Standort attraktiv finden, betonen die meisten afrikanischen Staatschefs. Dafür müssten sie notwendige Reformen umsetzen, wird zugegeben: „Wenn wir es als Afrikaner nicht schaffen, gerechte Verträge zu unterschreiben, gehen unsere Ressourcen verloren“, mahnt Senegals Präsident Macky Sall selbstkritisch. Afrika dürfe nicht für alle Zeit „nur ein Rohstoffreservat zu sein“, mahnt auch Nigers Präsident Mahamadou Issoufou. Es sei vielmehr an der Zeit, den „Handel auf einer fairen Grundlange zu entwickeln“.
Der Wachstumskontinent
Neu war auf dem Partnerschaftsgipfel: Afrika wurde als Wachstumskontinent dargestellt. Mit Wachstumsraten von mehr als sieben Prozent rühmten sich die Regierungschefs von Senegal, Ruanda oder Ghana. Neben dem enormen Potenzial gebe es aber auch enorme Herausforderungen: Sicherheit, Terrorismus und Migration werden hier einstimmig genannt. Auch hier würden die Compacts helfen, so Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita, denn der Nährboden für den zunehmenden Terrorismus sei die Armut.
Die „Compact“–Initiative habe das Zeug zu einem „Motor für neue Arbeitsplätze und Armutsminderung“ zu werden, sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. „Millionen von Menschen könnten handfeste wirtschaftliche Vorteile durch das Vorhaben erlangen.“ Angesichts des Bevölkerungswachstums in Afrika müssten nach Berechnungen des Fonds jährlich etwa 20 Millionen neue Jobs auf dem Kontinent geschaffen werden, so Lagarde.
Erst als letzter durfte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das Wort ergreifen. Die Präsidenten waren da längst weg – zum Kuchenessen bei Angela Merkel im Kanzleramt. Am Vormittag hatte Müller noch schnell selbst die drei afrikanischen Länder benannt die Deutschland im Compact-Prozess besonders unterstützen wolle: Tunesien, die Elfenbeinküste und Ghana. 300 Millionen macht das BMZ dafür in diesem Jahr locker. „Die deutsche Entwicklungspolitik geht voran und setzt die Investitionspartnerschaften um,“ hieß es aus dem BMZ – die Ressortkonkurrenz
zu Schäuble war offensichtlich.
Der Verbrauch globaler Ressourcen
Am Abend erinnerte Müller daran, dass Afrika jährlich 80 Milliarden Euro Steuereinnahmen durch „Gewinnverlagerung“ verliert und die G-20-Staaten 90 Prozent der globalen Ressourcen verbrauchen. „Wollten alle so leben, wie wir, wir bräuchten drei mal den Planeten“, sagte Müller. Entsprechend sollte bei allen Entwicklungsbemühungen auf Ressourcenverbauch geachtet werden. Dazu, freilich, findet sich in den „Compact“-Dokumenten kaum etwas.
Die Grünen übten deshalb scharfe Kritik. Die Strategie, in erster Linie privates Kapital zu mobilisieren, greife zu kurz, heißt es in einem Positionspapier. Nur mit verbindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien sowie Transparenz und Kontrolle könnten private Investitionen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Ähnlich kritisch äußerte sich der Entwicklungsexperte der Linksfraktion im Bundestag, Niema Movassat. Die Konferenz diene lediglich dazu, die Wirtschaftsinteressen reicher Staaten und ihrer Konzerne auf den afrikanischen Märkten abzusichern, erklärte er. Menschenrechte würden an keiner Stelle erwähnt.
Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, Cornelia Füllkrug-Weitzel, forderte, die staatliche Unterstützung von privaten Investitionen an Bedingungen zu knüpfen. „Für den Abschluss der Partnerschaften werden keine Sozial- und Umweltkriterien und auch keine Bindung an menschenrechtliche Sorgfaltspflichten genannt“, kritisierte sie.