12. Juni 2017 | G20-Afrika-Gipfel: Bitte befreit uns nicht!
Die Politik der G20 zu Afrika erinnert mehr an den Morgenthau-Plan, der vorsah Deutschland sicherheitshalber komplett zu deindustrialisieren, als dem dann umgesetzten Marshallplan, mit dem die USA Westeuropa aufbauten. Von Anne Jung, medico international.
Die Nestlé Babybreipackung mit dem leicht anstaubten blauen Teddy vorne drauf hofft in dem kleinen Supermarkt am Rande einer informellen Siedlung in Kenias Hauptstadt Nairobi auf Kundschaft. »Keine Packung habe ich von dem Mist verkauft«, beschwert sich der Ladenbetreiber. Zugegeben, bis hierhin keine besonders interessante Geschichte. Vielleicht wecke ich noch Ihr Leseinteresse, wenn ich hinzufüge, dass sich an dieser Momentaufnahme aus dem Frühjahr 2017 die ganze Scheinheiligkeit der »Afrikapolitik« der mächtigsten Industrienationen der Welt zeigen lässt.
Diese laden geschichtsträchtig in Berlin zur G20-Afrika-Konferenz. Eingeladen ist die afrikanischen Koalition der Willigen, der Länder, die bereit ist für ein paar Zugeständnisse ihre Märkte zu öffnen. Der Bundesregierung zufolge sollen dort mit der G20-Initiative “Compact with Africa” (CWA) private Investoren für Afrika begeistert werden.
Nestlé ist bereits begeistert. Deren Produkte und die der anderen Lebensmittelmultis überschwemmen den kenianischen Markt und den anderer afrikanischer Länder. Mit großem Gewinn verkaufen ihre Produkte in Minigrößen – popularly positioned products nennt man das – und bieten dabei überwiegend Fertigprodukte mit zuviel Salz, Zucker und Geschmacksverstärkern an: Conviencefood als Symbol für das Versprechen einer geträumten Moderne, die am elenden Alltag dann doch nichts ändert und dafür auch noch krank macht. In Kenia, das derzeit von einer Hungersnot heimgesucht wird, sind aufgrund von Mangelernährung 25 Prozent der Bevölkerung übergewichtig. Zu den tödlichen Begleiterscheinungen gehört Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und viele andere Krankheiten.
Das Geschäftsmodell von Nestlé und Co funktioniert nach dem bewährten Prinzip, die Gewinne dadurch zu steigern, dass die Risiken auf die meist armen Weiterverkäuferinnen abgewälzt werden. Nach dem Tupperwarenprinzip müssen die Händler wie der Ladenbetreiber in Nairobi oder Frauen aus den Slumgebieten, den informellen Siedlungen, die Ware erst kaufen, um sie dann meist im privaten Umfeld weiterzuverkaufen. Die Folge: Lokale Händler*innen gehen Pleite, das Angebot von gesunden lokalen Produkten geht zurück und wenn sich die Ware sich aus welchen Gründen auch immer nicht gut verkauft, dann ist das nicht das Problem von Nestlé.
Der Compact with Africa zementiert die Rolle Afrikas als Rohstofflieferant, der zudem die Ware Arbeitskraft billig zur Verfügung stellt und den Markt mit überteuerten und minderwertigen Waren überschwemmt. Weiter und weiter befreien sich die G20 Staaten von überflüssigem Ballast wie der Wahrung von Menschenrechten, Steuerzahlungen ihrer Großkonzerne oder Reinvestitionen. Auch wenn es inzwischen einige Handelsversträge gibt, die Menschenrechtsklauseln enthalten, haben diese niemals Vorrang vor den Handelsinteressen der Industriestaaten, sagt der Handelsexperte Thomas Fritz.
Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) kürzlich den »Marshallplan mit Afrika« vorgelegt hat. Ich will niemanden mit den Details immer weiterer Konzeptpapiere langweilen, aber es lohnt sich diesen Plan mit dem völlig unpassenden Titel mit der Handelspolitik der G20 in Verbindung zu bringen. Das BMZ räumt ein, dass »Europa über Jahrzehnte seine Afrikapolitik häufig an kurzfristigen Wirtschafts- und Handelsinteressen ausgerichtet« hat. Auch die Forderungen nach fairem Handel oder dem Stopp illegaler Finanzströme und aggressiver Steuervermeidung könnten aus der Feder sozialer Bewegungen aus afrikanischen Ländern oder progressiven Nichtregierungsorganisationen stammen.
Der Plan sei ein »Angebot an Afrika«. Das sagte Stefan Oswald vom BMZ letzte Woche bei einer Handelstagung u.a. organisiert von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika und löste damit viel Kritik aus.
Aber stellen wir uns einfach mal vor, wir nehmen die Regierungsvertreter beim Wort und das Angebot des BMZ an. Was müsste geschehen? Zunächst müsste das BMZ die Wirtschaftspolitik ihrer eigenen Regierung zurückweisen, weil es sonst gar nicht möglich ist den Plan umzusetzen Freihandelsverträge wie die EPA, die Economic Partnership Agreements mit Afrika wäre vom Tisch.
Beim G20-Gipfel könnten wir auf die Straße gehen, gegen die Handelspolitik der G20-Staaten, die Millionen Menschen in Armut stürzt, ihnen ihre Ackerflächen und Rohstoffe raubt, sie förmlich zur Flucht zwingt, um sie dann im Mittelmeer ertrinken zu lassen.
So wird es nicht kommen. Und der Plan des BMZ bleibt vor allem eine Beschwichtigungsstrategie für eine Politik, deren tödliche Folgen sich nicht mehr kaschieren lassen.
Die politische Praxis der G20 und damit auch der Bundesregierung zu Afrika erinnert mehr an den Morgenthauplan von 1944, der vorsah Deutschland sicherheitshalber komplett zu deindustrialisieren, als dem dann umgesetzten Marshallplan, mit dem die USA nach dem 2. Weltkrieg Westeuropa aufbauten. Die damals bereitgestellte Summe entspräche heute übrigens 115 Milliarden Euro.
Den Nestlébrei muss der Händler in Nairobi bald in den Müll schmeißen, das Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen.