03. Mai 2017 | Untergräbt das G20-Investitionsprogramm das Pariser Abkommen und die Agenda 2030?
Stellungnahme von Gerrit Hansen, Germanwatch und Jan Kowalzig, Oxfam
Die G20, also die Gruppe der weltweit führenden Industrie- und Schwellenländer, ist ein zentrales Forum zur Gestaltung der Rahmenbedingungen für die globale Wirtschaft und Finanzwelt. Seit einigen Jahren steht auch nachhaltige Entwicklung, Klimapolitik und grünes Wachstum auf der traditionell eher von konventionellen Wirtschaftsthemen dominierten G20-Agenda. Unter chinesischer Führung hat die G20 im Jahr 2016 erstmals “inklusive” wirtschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt gerückt. Auch ein eigener Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda 2030 wurde entworfen, und in der Abschlusserklärung von Hangzhou verpflichten sich die G20 explizit zur Erhöhung der Kohärenz im Bereich nachhaltiger Entwicklung.
Nun ist Papier geduldig. Die G20 muss sich daran messen lassen, inwieweit etwa die Ziele zur nachhaltigen Entwicklung der Agenda 2030 (die Sustainable Development Goals, SDGs) und des Klimavertrags von Paris tatsächlich handlungsleitend für die Diskussions- und Arbeitsstränge der G20 sind – und das gilt ganz besonders im Bereich der Wirtschafts- und Investitionspolitik und der Finanzmarktregulierung.
Immerhin: Die deutsche G20-Präsidentschaft engagiert sich in der neugegründeten Arbeitsgruppe „Nachhaltigkeit“ für die globale Energiewende und die Umsetzung der Klimaabkommens von Paris und führt gleichzeitig auch das von China begonnene Aktionsprogramm zu den SDGs sowie die Arbeit zu Green Finance weiter. Auch andere relevante Themen sind auf der deutschen G20-Agenda zu finden, z.B. Bildung für Frauen und Mädchen, digitale Inklusion, Meeresschutz oder die bessere Bekämpfung von Epidemien. Gibt es also einen Paradigmenwechsel in der G20, hin zu nachhaltiger und inklusiver wirtschaftlicher Entwicklung anstelle der reinen Orientierung auf Wachstum?
Zumindest beim Compact with Africa offenbar nicht. Diese Initiative unter Führung der G20-Finanzminister und Zentralbankvorsitzenden soll die Länder Afrikas vor allem durch regulative und finanzpolitische Maßnahmen für Investoren attraktiver machen und so den Auf- und Ausbau von Infrastruktur sowie die wirtschaftliche Entwicklung fördern, wie das Bundesfinanzministerium betont. Mit fünf Pilotländern – Senegal, Marokko, der Elfenbeinküste, Ruanda und Tunesien – wird das nun in einem ersten Schritt durchdekliniert. Bei der internationalen Konferenz Investing in a Common Future zur G20-Afrika-Partnerschaft im Juni in Berlin, so hofft das Finanzministerium, könnten sich dann diese ersten fünf „Compact“-Länder wie bei einer Messe den passenden Investoren präsentieren.
Als gäbe es das Pariser Abkommen nicht
Das Konzeptpapier für den Compact with Africa, verfasst von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Afrikanischen Entwicklungsbank, lässt deutlich erkennen, wie wenig die globale Nachhaltigkeitsagenda in das Bewusstsein der G20-Finanzminister gedrungen ist. Von nachhaltiger, ökologisch-sozial orientierter Investitionspolitik keine Spur. Zwei Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 und des Pariser Klimaschutzabkommens ist das eine bemerkenswerte Verdrängungsleistung der G20-Finanzminister. Zwar wird behauptet, der Compact with Africa trage zur Agenda 2030 und damit zur nachhaltigen Entwicklung bei, aber das bleibt eine bloße Behauptung. Eine Ausrichtung der eigentlichen Bausteine des Compact with Africa an Nachhaltigkeitszielen findet nicht statt. Das Pariser Abkommen und seine Ziele bzw. Anliegen werden gar nicht erst erwähnt. Vielleicht haben die Finanzminister den Klimavertrag auch nicht so genau lesen wollen, denn er stellt der Finanzwelt im letzten seiner drei grundlegenden Ziele (Artikel 2 des Abkommens) eine ziemlich deutliche Hausaufgabe: Die globalen Finanzströme sind so umzuschichten, dass sie einer klimafreundlichen und klimawandelresilienten Entwicklung förderlich sind. Der Compact with Africa wäre eigentlich eine gute Gelegenheit für die G20 gewesen, dieses Ziel gemeinsam mit Afrika voranzubringen.
Eine kohärente Politik würde beispielsweise erfordern, dass jede Art von Investitionsprogramm, das die G20 mit Afrika eingehen wollen, die Ziele des Pariser Abkommens und selbstverständlich auch die Ziele der Agenda 2030 befördert – immerhin handelt es sich um global vereinbarte Politikziele der internationalen Gemeinschaft, also auch der G20 sowie der afrikanischen Länder. Insofern wäre eine entsprechende Ausrichtung auch nicht etwa bevormundend, sondern im Gegenteil im Einklang mit den Entwicklungszielen Afrikas.
Problematische Reformagenda
Damit nicht genug. Der Compact with Africa propagiert die Rezepte einer neoliberalen Reformagenda, die schon in der Vergangenheit nicht funktioniert haben bzw. der nachhaltigen Entwicklung abträglich sind. Dazu gehört etwa die Privatisierung von öffentlicher Basis-Infrastruktur wie etwa zur Wasserversorgung. An die katastrophalen diesbezüglichen Versuche etwa in Lateinamerika werden sich viele erinnern. Steigende Preise für Verbraucher gekoppelt mit sinkenden Investitionen in die Infrastruktur im Interesse der Gewinnmaximierung waren in der Vergangenheit Kennzeichen solcher Unternehmungen – womöglich noch gekoppelt mit einer Renditegarantie für die Investoren.
Gefordert wird auch besserer Schutz von Investoren vor politischer Einflussnahme; das aber kann schnell Formen annehmen, die den Gestaltungsspielraum von Regierungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und hinsichtlich der öffentlichen Daseinsvorsorge erheblich einschränken – zum Schutze der Renditeerwartungen der Investoren. Dazu passt, dass der Compact with Africa kein Wort darüber verliert, wie (bzw. dass überhaupt) sein Programm die Einhaltung ökologischer, sozialer, oder menschenrechtlicher Standards sicherstellen soll. Zu Transparenz und öffentlicher Partizipation von durch Investitionen möglicherweise negativ betroffenen Personengruppen ist ebenfalls nichts zu finden.
Es ist schon seltsam, dass ausgerechnet die deutsche G20-Präsidentschaft sich hier offenbar so wenig für Politikkohärenz interessiert – immerhin war die Bundesregierung eine treibende Kraft bei der Verabschiedung des Pariser Klimaschutzabkommens und ein einflussreicher Akteur bei der Entwicklung der Agenda 2030. Vielleicht liegt das am Widerwillen der übrigen G20-Länder. Vielleicht aber hat es auch damit zu tun, dass die Federführung für den Compact with Africa im Finanzministerium liegt und das Entwicklungsministerium (BMZ) und das Umweltministerium (BMUB) eher stiefmütterlich zu Rate gezogen werden, nach der Devise: Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung in den armen Ländern sind schön und gut, aber hier geht’s um Investitionen und das harte Business. Da sollen BMUB und BMZ wohl nicht dazwischenfunken.
Bleibt zu hoffen, dass sich die Finanzminister noch eines besseren besinnen. In seiner jetzigen Form sollte der Compact with Africa nicht einfach so weiterbetrieben werden. Vielmehr sollten die G20 bei seinen grundlegenden Ansätzen gründlich nachbessern. Gelegenheit dazu gibt es – derzeit werden die fünf individuellen Compacts mit den Pilotländern entwickelt, und auch das G20-Communiqué darf den Compact with Africa nicht einfach nur willkommen heißen: An all diesen Stellen muss die neoliberale Reformagenda dringend korrigiert und stattdessen die notwendige Konsistenz mit global vereinbarten Politik- und Nachhaltigkeitszielen sichergestellt und konkretisiert werden.