Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

23. Januar 2017 | Fluchtursachen: Deutschlands neue Afrikapolitik

Die Investitionsbedingungen sollen in einer neuen Partnerschaft mit Afrika verbessert werden – und man spricht von einem Marshallplan mit Afrika. Von Nico Beckert, erschienen in: TELEPOLIS

Die deutsche Politik hat Afrika neu “entdeckt”. Sowohl über die G20-Präsidentschaft, als auch durch einen “Marshall-Plan mit Afrika” beziehungsweise durch eine gemeinsame Initiative vom Minister für Entwicklungspolitik Müller und Wirtschaftsminister Gabriel sollen Unternehmen und Investitionen nach Afrika gelockt werden. Ziel dieser Initiativen ist es, Perspektiven in afrikanischen Ländern aufzubauen, um Fluchtursachen zu überwinden.

Doch diese Politik ist nur alter Wein in neuen Schläuchen. Afrikanische Staaten werden schon seit Jahren dazu getrieben, vermeintliche Investitionshemmnisse abzubauen und ausländische Unternehmen anzulocken. Bisher haben diese Ansätze aber nicht zur Schaffung von Perspektiven beigetragen. In vielen afrikanischen Staaten gibt es eine Beschäftigungskrise1 und eine hohe Jugend-Arbeitslosigkeit2.

G20 – Neue Partnerschaft mit Afrika

“Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse.”3 Mit diesen Worten beschreibt Angela Merkel die neue Bedeutung Afrikas für die deutsche Politik.

Die sogenannte Flüchtlingskrise hat Afrika und die dortigen Entwicklungsprobleme wieder auf die Agenda deutscher Politik gesetzt. Deutsche Ministerien haben erkannt, dass es in Afrika an Arbeitsplätzen und Perspektiven mangelt. Mit einigen Initiativen soll nun versucht werden, die “Investitionsbedingungen” auf dem afrikanischen Kontinent zu verbessern und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen.

Am deutlichsten wird das deutsche Bemühen durch die Pläne für die deutsche G20-Präsidentschaft im Jahr 2017. Unter Schirmherrschaft des Finanzministeriums plant die deutsche Regierung eine neue Partnerschaft mit Afrika (Compact with Africa), um die Lebensbedingungen auf dem Kontinent zu verbessern. Ziel4 sei es dabei, Unternehmen nach Afrika zu locken und die dortige Infrastruktur durch Investitionen zu verbessern.

Erreicht werden sollen diese Ziele, indem die Investitionsbedingungen verbessert werden. Hinter dieser Worthülse verbirgt sich ein ökonomischer Ansatz, der schon seit Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit verfolgt wird. Dabei geht es darum, den Unternehmen möglichst gute Rahmenbedingungen zu verschaffen. Konkret: eine gute Infrastruktur, den Abbau von Bürokratie, keine Einmischung staatlicher Stellen in wirtschaftliches Handeln, freie Märkte, gut ausgebildete Arbeitskräfte, Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsrechte, sowie funktionierende Finanzinstitutionen. Dass der “Compact with Africa” erneut diesen Ansatz wählt, wird durch Aussagen5 des Ökonomen Paul Collier deutlich, der die Bundesregierung bei der Ausgestaltung des Compacts berät. Er fordert massive Infrastrukturinvestitionen, gute Gesetze, stabile Institutionen [= Abbau von Bürokratie, Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsrechte – Anmerkung des Autors] und eine gut ausgebildete Bevölkerung.

Collier spricht sich auch für den Freihandel aus. Er führt China als Beispiel an für ein Land, welches “die Weltwirtschaftsordnung nicht verändert (hat) und dennoch den Sprung aus der Armut geschafft” hat. Dabei verschweigt Collier aber, dass China erst sehr spät in seinem Entwicklungsprozess der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten ist (2001). Lange Zeit durfte China sehr stark in die Wirtschaft eingreifen und tut dies auch heute noch. Beispielsweise haben chinesische Unternehmen mit Unterstützung des Staates massive Kapazitäten im Stahlsektor aufgebaut. Hierzu könnte Collier mal bei der Bundesregierung nachfragen, die schon seit Monaten Chinas angebliche Dumping-Politik im Stahl-Sektor kritisiert6.

Deutschlands G20 Vorschlag: “Compact with Africa” greift viel zu kurz

Chinas Eingriffe in die Wirtschaft sind nur ein Beispiel dafür, dass der “Compact with Africa” und der alleinige Fokus auf die Investitionsbedingungen viel zu kurz greift und nicht dazu beitragen wird, Unternehmertum in afrikanischen Ländern entscheidend zu stärken. Um wirklich massiv Arbeitsplätze zu schaffen und lebenswerte Perspektiven in den Herkunftsländern von Geflüchteten aufzubauen, braucht es ein ganz anderes Vorgehen. Hier können die südasiatischen Tigerstaaten – Südkorea, Taiwan, Japan – und andere Erfolgsbeispiele wirtschaftlicher Entwicklung als Vorbilder herangezogen werden.

Diese Länder vertrauten nicht einzig auf Investitionen ausländischer Unternehmen. Vielmehr schränkten sie während ihres wirtschaftlichen Aufstiegs – und teilweise auch noch heute – die “Investitionsfreiheit” ein. Sie setzten ausländischen Unternehmen Schranken, um inländische Unternehmen aufzubauen (siehe China, Taiwan und Südkorea7). Es war diese “Aufzucht” einheimischer Unternehmen, die zu einer massiven Schaffung von Arbeitsplätzen führte. Zwar gab es auch Investitionen von außen, aber die Ausweitung von Produktionskapazitäten in den Tigerstaaten sowie China und anderen aufholenden Ländern wurde zum Großteil durch einheimische Quellen finanziert. Und auch die USA und andere “historische Fälle”8 griffen aktiv in die Wirtschaft ein, um einheimische Unternehmen aufzubauen.

Selbst eine Weltbank-Studie9 besagt, dass ausländische Investitionen erst dann zu breitenwirksamen positiven Effekten führen, wenn es nationale Unternehmen gibt, die genug Wissen und Erfahrung haben, um die Innovationen und Technologie ausländischer Firmen zu kopieren. In vielen afrikanischen Staaten gibt es diese Unternehmen noch nicht, sodass ausländische Investitionen nur wie unverbundene Inseln wirken würden und afrikanische Unternehmen kaum dazu befähigen würden, Technologien und Innovationen zu übernehmen und dadurch mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Fokus auf die Verbesserung der Investitionsbedingungen zur Anlockung ausländischer Unternehmen ist zudem ein Konzept, das sich selbst in den Schwanz beißt. Denn ein Land, welches seine Investitionsbedingungen verbessert, lockt nur so lange Unternehmen an, bis ein anderes Land noch bessere Investitionsbedingungen aufweisen kann. Es besteht also die Gefahr, dass die afrikanischen Staaten miteinander um die kargen Investitionen ausländischer Unternehmen konkurrieren, dass sich also mittelfristig Kosten und Ertrag nicht mehr die Waage halten.

Erneut zeigt sich, wie wichtig es ist, einheimische Unternehmen zu fördern. Diese haben ein genuines Interesse an der Entwicklung ihres Landes und sind dort viel stärker verwurzelt. Im Gegensatz zu internationalen Firmen werden einheimische Unternehmen ihr Land nicht verlassen, wenn es in einem Nachbarland vermeintlich bessere Investitionsbedingungen gibt. Diese entscheidenden Zusammenhänge und die Bedeutung einheimischer Unternehmen werden mit den Plänen der deutschen G20-Präsidentschaft übersehen.

Durchdachte Industriepolitik statt einseitigem Fokus auf Investitionsbedingungen notwendig

Afrikanische Industrien brauchen Zeit und den Zugang zu Technologien und Wissen, um sich zu modernisieren. Nur dadurch können sie auf dem Weltmarkt bestehen und Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Dafür bedarf es nicht nur der richtigen Handelspolitik (übergangsweiser Schutz vor internationaler Konkurrenz), sondern auch einer durchdachten Industriepolitik.

Hier können erneut die Tigerstaaten, namentlich Südkorea und Taiwan, als Vorbilder dienen. Sie verfolgten eine Industriepolitik bei der einheimische Unternehmen gefördert und gleichzeitig gefordert wurden. Sie belohnten die erfolgreichen Unternehmen und bestraften jene Unternehmen, die keine oder zu wenig Fortschritte vorweisen konnten. Die Kombination aus erstens diesem Kontrollmechanismus, zweitens einer beflügelnden Konkurrenz unter den nationalen Unternehmen bei einer gleichzeitigen, übergangsweisen Abschottung vor billigen Importen und drittens der Möglichkeit, eigene Produkte zollfrei auf dem Weltmarkt zu verkaufen, führte zur “Entwicklung” dieser späten Industrieländer10.

Eine gute Infrastruktur (Energie und Verkehrswege), gut ausgebildete Arbeitskräfte und funktionierende Finanzinstitutionen (in diesen Fällen bedeutete das allerdings Banken, die einheimische Unternehmen förderten), waren bei der Entwicklung Südkoreas und Taiwans notwendiges, aber nicht hinreichendes Beiwerk (s. hier11 und hier12).

Neben dem “Compact with Africa” geistert schon seit einigen Monaten die Idee von Minister Müller für einen Marshallplan mit Afrika13 durch seine Reden. Mit diesem Marshallplan will Minister Müller die Wirtschaft in Afrika stärken, um Jobs und Perspektiven für Afrikas Jugend zu schaffen.

Der Plan wurde am Mittwoch als Entwurf veröffentlicht14 und lässt folgende Bausteine erkennen. So will Müller schädliche Exporte nach Afrika15 und illegale Finanzströme, beispielsweise die Steuervermeidung16, stoppen. Und auch beim Marshallplan ist die Förderung privater Investitionen in Afrika ein zentraler Bestandteil.

Leider hat Minister Müller nur konkretisiert, wie er diese privaten Investitionen nach Afrika locken will, nicht jedoch, wie er die unfairen Handelsstrukturen verändern und Steueroasen austrocknen will.

… und eine gemeinsame Initiative zwischen BMZ und Wirtschaftsministerium

In einer gemeinsamen Initiative des Entwicklungs- und des Wirtschaftsministeriums wird der Ansatz zur Förderung von Privatinvestitionen konkretisiert. Diese Initiative greift die recht luftigen Worte des deutschen G20-Fokus (Compact with Africa) von der Verbesserung von Investitionsbedingungen auf. Die Initiative hat sich folgende Ziele gesetzt:

  • Die Verbesserung von Rahmenbedingungen für alle Unternehmen. Den beiden Ministerien zufolge stehen der Abbau von Bürokratie, die Bekämpfung von Korruption, sowie die Schaffung von Sicherheit und Infrastruktur17 im Mittelpunkt bei der Verbesserung von Investitionsbedingungen.
  • Die Förderung von deutschen Investitionen und Unternehmen in afrikanischen Staaten. Dies soll durch klassische Instrumente der Außenwirtschaftsförderung, das heißt durch Kreditgarantien sowie Export- und Investitionsgarantien, gewährleistet werden, aber auch durch steuerliche Anreize für investitionsbereite Unternehmen.
  • Die Unterstützung von afrikanischen Unternehmen und den Aufbau von Wertschöpfungsketten18. Hier geht es vor allem um die Beratung und Unterstützung von afrikanischen Existenzgründungen und “kleinsten Unternehmen”, Unterstützung bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen in afrikanischen Ländern sowie auch um Finanzierungsangebote für afrikanische Unternehmen im Mittelpunkt. Zusätzlich wollen sich die Urheber der Initiative für “entwicklungsfreundliche Handels- und Investitionsabkommen”19 einsetzen.

Auch diese gemeinsame BMZ / BMWi-Initiative baut somit größtenteils auf der falschen Grundannahme auf, dass die Verbesserung des Investitionsklimas und das Anlocken ausländischer Unternehmen ausreicht, um in Afrika massiv Arbeitsplätze zu schaffen. Wie bereits geschildert, waren “gute Investitionsbedingungen” nur ein Bestandteil der Entwicklungsstrategien erfolgreicher Länder. Interessant an dieser BMZ / BMWi-Initiative ist, dass sie über die deutsche G20-Initiative hinausgeht und afrikanische Kleinstunternehmen und Existenzgründungen unterstützen will. Dieser Ansatz ist unterstützenswert, darf sich aber nicht auf die angeführten Kleinstunternehmen beschränken. Viel wichtiger ist es, auch in afrikanischen Ländern eine Art Mittelstand aufzubauen. Das bestätigt auch Paul Collier, wenn er sagt:

Firmen mit 50 Mitarbeitern sind ungefähr zehnmal so produktiv wie Kleinbetriebe mit vier Beschäftigten, weil sich die Arbeitnehmer auf bestimmte Tätigkeiten spezialisieren können. Wenn Afrika wirtschaftlich aufholen soll (was er für die Schaffung von Jobs als wichtig zu erachten scheint – Anm. des Autor), sind über einen längeren Zeitraum hohe einstellige Wachstumsraten nötig. Das bekommen wir nicht hin, wenn wir die Leute mit Kleinkrediten fördern, damit sie am Straßenrand Körbe flechten.

Viel bedeutender als die Förderung von Kleinstunternehmen wäre es also, die von Müller angesprochenen Wertschöpfungsketten in afrikanischen Ländern aufzubauen und die Weiterverarbeitung von Rohstoffen vor Ort von afrikanischen Unternehmen leisten zu lassen. Aber auch hier reichen die im BMZ / BMWi-Papier vorgeschlagenen Instrumente – die Beratung und Finanzierung von afrikanischen Unternehmen – nicht aus. Vielmehr braucht es auch den Zugang zu Technologie und Märkten, damit sich afrikanische Unternehmen etablieren können.

Die von Müller angesprochene, zu reformierende Handelspolitik und die Bekämpfung illegalen Finanzströmen könnten einen wichtigen Beitrag zum Wachstum afrikanischer Unternehmen leisten. So will Müller dafür eintreten20, “dass Schluss ist mit schädlichen Exporten nach Afrika, die aufkeimende Industrien zerstören”. Auch will er “illegale Finanzströme stoppen! Jährlich gehen (afrikanischen) Ländern 50 Milliarden US-Dollar verloren, die dann für Investitionen in Entwicklung fehlen.”

Wenn Müller diese Worte ernst meint, steht ihm ein harter und langer Kampf bevor. Denn die Handels- und Steuerpolitik wird nicht auf nationaler Ebene, sondern auf EU- bzw. OECD-Ebene verhandelt. Hier müsste Minister Müller also sowohl die eigene Koalition für sein Vorhaben einer gerechteren globalen Handelsordnung und der Bekämpfung von Steuervermeidung gewinnen, als auch die Partner auf EU- und OECD-Ebene.

URL dieses Artikels: http://www.heise.de/-3594692

Links in diesem Artikel:

[1] http://voxeu.org/content/job-crisis-africa
[2] https://zebralogs.wordpress.com/2016/02/17/nachhaltige-entwicklung-in-afrika-nur-durch-die-schaffung-von-jobs-zu-erreichen/
[3] http://www.deutschlandfunk.de/merkel-in-afrika-wohl-afrikas-liegt-im-deutschen-interesse.1783.de.html?dram:article_id=368026
[4] http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Interviews/2016/2016-09-27-namensartikel-schaeuble-veraenderung-keine-selbstaufgabe.html
[5] http://www.zeit.de/2016/43/paul-collier-angela-merkel-afrika-fluechtlingspolitik/komplettansicht
[6] https://makroskop.eu/2016/02/freihandel-ueber-alles-aber-kein-dumping-stahl-aus-china/
[7] http://www.heritage.org/index/visualize?cnts=china%7Chongkong&src=country
[8] https://www.amazon.de/Bad-Samaritans-Secret-History-Capitalism/dp/1596915986
[9] https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/15134
[10] http://www.oxfordscholarship.com/view/10.1093/0195139690.001.0001/acprof-9780195139693
[11] https://www.jstor.org/stable/40326215
[12] http://www.oxfordscholarship.com/view/10.1093/0195139690.001.0001/acprof-9780195139693
[13] https://www.bmz.de/de/presse/reden/minister_mueller/2016/november/161124_rede_botschafterempfang.html
[14] http://www.bmz.de/de/laender_regionen/marshallplan_mit_afrika/index.jsp
[15] https://zebralogs.wordpress.com/2016/05/12/wie-die-eu-die-entwicklung-afrikas-verbaut/#more-947
[16] https://zebralogs.wordpress.com/2015/11/19/steueroasen-ii-welchen-preis-entwicklungslander-zahlen/
[17] https://www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen,did=792988.html
[18] http://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/Presse/15-12-2016_Faire_Wirtschaft_Afrika.pdf
[19] http://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/Presse/15-12-2016_Faire_Wirtschaft_Afrika.pdf
[20] https://www.bmz.de/de/presse/reden/minister_mueller/2016/november/161124_rede_botschafterempfang.html