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05. November 2014 | Afrique-Europe-Interact Erklärung zur Ebola-Epidemie

Vorbemerkung: Auf der Grundlage einer gemeinsamen Debatte innerhalb der europäischen Sektion von Afrique-Europe-Interact haben der Filmemachter Richard Djimelie F. und der Schriftsteller Rodrigue Péguy Takou Ndie die folgende Deklaration verfasst. Beide kommen aus dem Kamerun und leben als Asylbewerber in Brandenburg.

Als der belgische Arzt Peter Piot vom Institut für Tropenmedizin Antwerpen im September 1976 das Ebola-Virus entdeckte, war man weit davon entfernt, an die Entstehung eines Übels zu denken, das 38 Jahre später die ganze Welt in Schrecken versetzt. Worum es uns heute geht, und dies ist Gegenstand dieser Erklärung, ist die Betrachtung des Umgangs mit dieser Epidemie aus einer rein sozio-politischen Perspektive.

Die Ebola-Epidemie wütet seit Monaten mit tödlichen Folgen in Westafrika. Die Zahl der Toten geht mittlerweile in die Tausenden, Mitte Oktober hat die Opferzahl die 4.000er-Marke durchbrochen. Hätte man diese Todesfälle nicht vermeiden oder zumindest begrenzen können? Wie hat sich die UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit der Entdeckung dieses Virus bis zur totalen Katastrophe verhalten? Es ist erstaunlich zu sehen, wie erst heute, nachdem es so weit gekommen ist, die WHO die Frage einer möglichen Impfung neu stellt – und das, obwohl es immer wieder Beschwerden seitens der betroffenen Länder gab, also der Personen, die dem Risko tatsächlich ausgesetzt sind. Es verblüfft zu sehen, daß der Präsident der USA ebenso wie die Länder Europas die Bedrohung erst dann ernst nahmen, als das Virus ihre Grenzen überschritten hatte. Erst dann wurde die westliche bzw. internationale Aufmerksameit geweckt – inklusive echter Bemühungen, die Krise zu bewältigen.

Derweil sind die getroffenen Maßnahmen drastisch. Wir werden ZeugInnen einer neuen Form des Embargos, von Quarantänemaßnahmen und von Verschärfung der Grenzkontrollen: Afrikanische Reisende, vor allem Menschen aus den betroffenen Ländern, werden aus dem simplen Grund zurückgeschoben, daß sich unter einer schwarzen Haut zwangsläufig Millionen von Ebolaviren verbergen. Wenn man sie nicht zurückschiebt, werden sie begutachtet, untersucht, auf den Kopf gestellt, Praktiken, die obendrein an Demütigung grenzen, da sie mit Frustration und Rassismus einhergehen.

An den inneren Grenzen des Westens wird ein x-beliebiger Schwarzer Mensch, dem es schlecht geht, sofort verdächtigt. Und eine Person, die sich in einem westafrikanischen Land aufgehalten hat, wird bei ihrer Rückkehr einfach in Quarantäne genommen, selbst wenn sie keinerlei Symptome des Ebola-Fiebers aufweist. Somit wachsen die Hindernisse an den Staatsgrenzen in die Höhe, und wenn nichts unternommen wird, werden wir vielleicht noch zu ZeugInnen der Einführung von Rassengrenzen. Im Namen des Schutzes gegen das Ebola-Virus sehen sich viele AfrikanerInnen ihres Rechts auf geographische Mobilität beraubt.

Das Ebola-Virus hat ganze Familien zerstört, ebenso hat es Volkswirtschaften sowie die ohnehin prekären Haushalte von Individuen und Familien zu Grunde gerichtet. Darüber hinaus hat es Waisen und Erwerbslose zurückgelassen. Die Betroffenen, die nur über geringfügige Einkünfte verfügen, sind gezwungen, ihre Beschäftigung aufzugeben und sich finanziell zu ruinieren, um sich behandeln lassen zu können, was auch die ökonomische Basis ihrer selbständigen Tätigkeit vernichtet. Außerdem hat die Angst vor dem Virus die Bevölkerungen gezwungen, sich zu Hause einzuschließen, die Geschäfte zu schließen und die Kontakte zu reduzieren, die sie mit anderen Bevölkerungsgruppen pflegen, die zu ihren LieferantInnen und KundInnen zählen. In den Dörfern der betroffenen Länder trifft dies oft gerade diejenigen, die diese Gebiete mit Handwerksprodukten und mit Hygieneartikeln wie Toilettenseife beliefern oder mit Medikamenten für Erste Hilfe. Werden diese Ausgestoßenen, deren Existenzgrundlage durch die Auswirkungen der Epidemie zerstört wurde, auf eigenes Risiko der Liebe zu ihrem Land treu bleiben ? Oder werden sie vielmehr das Risiko des so genannten Abenteuers auf sich nehmen, um in den westlichen Ländern Zuflucht zu suchen, wo Lepra, AIDS, Malaria und Cholera die Menschen nicht mehr daran hindern zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen?

Haben die europäischen Zuwanderungsgesetze und die Genfer Konvention MigrantInnen vorgesehen, die sich aufgrund solcher Verhältnissen auf den Weg machen? Denn auch hier werden bald Personen mit einer solchen Geschichte ankommen. Zurückgewiesen von den Botschaften wird ihnen das Meer den Weg über Melilla, Ceuta oder Lampedusa bahnen und sie werden in Europa eintreffen. Das wird die indirekte und langfristige Konsequenz des Umgangs mit dem Ebola-Virus sein. Werden sie einen Aufenthalt haben oder wird man sie umgehend in Abschiebegefängnise befördern?

Wurde diese Situation, die sich seit Jahrzehnten wiederholt, ausreichend ernst genommen, um den politischen Umgang mit dem öffentlichen Gesundheitssystem in Afrika in Frage zu stellen? Sicherlich nicht. Was ist der Sinn der Souveränität eines Oberhauptes, wenn es nicht in der Lage ist, seinem Volk Medikamente zu geben ? Diejenigen, die Afrika regieren, sind geschützt vor den Krankheiten und ihren sozialen Rückwirkungen, sie reisen schnell nach Europa, um eine simple Grippe zu behandeln oder einen kleinen Schnupfen. Afrika erscheint klar zweigeteilt : auf der einen Seite das Afrika unter dem Zeichen von AIDS-Ebola-Malaria-Cholera und auf der anderen das diabetische Afrika.

Es wäre leicht, die Politik der westlichen Mächte zu verurteilen, die sich durch ihre Komplizenschaft Vozüge angeln, aber ist es plausibel, davon auszugehen, daß die afrikanischen Staatschefs, 55 Jahre nach dem, was sie gerne « Unabhängigkeit » nennen, nicht verstanden haben sollen, daß die wirtschaftliche Entwicklung nicht ohne eine wirkliche Gesundheitspolitik in Gang gesetzt werden kann ? Wie soll man diese Krankheit bekämpfen, wenn es keine Krankenhäuser gibt oder diese nur ein Luxus für bestimmte Bevölkerungsgruppen sind? Ist es möglich, einen Impfstoff entdecken, wenn es keine Labors gibt ? Wie soll man zu einer ersehnten Lösung kommen, wenn die WissenschaftlerInnen selbst unter verschiedenen Missständen leiden ? Wenn die Forschung paradoxerweise keine Priorität in der Entwicklungspolitik hat, dann stirbt sie bereits in der Planung, erstickt durch die Korruption, den Mangel oder die Unterschlagung von Geldern, sobald sie aus dem Ausland kommen. Der öffentliche Sektor in Sierra Leone wurde beispielsweise durch eine Reihe von Skandalen zerfressen. 2013 wurden 7 praktizierende ÄrztInnen und 22 andere MitarbeiterInnen des öffentlichen Dienstes wegen der Unterschlagung bereitgestellter Entwicklungsgelder für schuldig befunden. Sie hatten Mittel aus dem Fonds der GAVI ('Global Alliance for Vaccines and Immunisation) mißbräuchlich verwendet.

Man muß deutlich betonen, daß die Bevölkerungen der betroffenen Gebiete schlicht und einfach das Vertrauen in ihre Führungen verloren haben, auf die Versprechungen wird nicht mehr gehört. Die Krankenstationen, die seit der Unabhängigkeit ein klägliches Dasein fristen, sind somit der Ort, an dem man besonders der Gefahr ausgesetzt ist, sich eine schwere Krankheit einzufangen. Ebola stellt eine schreckliche Bedrohung dar – für die guten Nachbarschaftsbeziehungen ebenso wie für die Wirtschaft des Landes. In den betroffenen Dörfern leben die Menschen in Angst und Misstrauen. Kriminelle Geister nutzen die Situation, um nach oben zu kommen. Dies ist der Fall in Guinea, dort wurden 6 Verdächtigte verhaftet, die 8 Menschen ermordet hatten, darunter 3 JournalistInnen, die eine Aufklärungskampagne zu Ebola durchführten. Ebola ist ein globales Thema, ein Virus mit ausreichend Gewaltpotential, der jederzeit das Ende der Menschheit und der Welt, wie wir sie kennen, heraufbeschwören kann. Das Virus wird nicht verschwinden, indem man ganz Afrika in Quarantäne steckt. Man weiß bereits, daß dieses Virus sehr hartnäckig ist, deswegen ist es wichtig, die Forschung nach einem Impfstoff voranzutreiben. Also muss das Finanzierungsversprechen der EU beschleunigt werden, um den betroffenen Bevölkerungen zu Hilfe zu kommen, und um Forschungen sowie den Bau von Gesundheitsinfrastruktur zu finanzieren. Dennoch fällt in einem Afrika, das unendlich reich an Bodenschätzen ist, eigentlich der Regierung die Aufgabe zu, die Gesundheit ihrer Bevölkerung zu schützen, indem sie in öffentliche Gesundheitsversorgung und in Forschung investiert, um auf die Herausforderung reagieren zu können, die sich durch die verschiedenen tropischen Krankheiten stellen. Ebenso wichtig ist es, die Abriegelung der Gebiete, die dem Risiko ausgesetzt sind, zu beenden, um die Versorgung mit Medikamenten und humanitären Hilfen zu ermöglichen. Ansonsten zeigt sich klar und deutlich, dass das Leben der armen BewohnerInnen und der afrikanischen GesundheitsarbeiterInnen weniger zählt als das der BewohnerInnen der reichen Länder.

Unglücklicherweise geht es für die Pharmaindustrie um große Umsäze. Verkommene KapitalistInnen machen sich diese Realität durch ihre multinationalen Konzerne zu Nutze. Gestützt von den imperialistischen Mächten, können diese auf die Komplizenschaft ihrer ferngesteuerten Repräsentanten zählen, die auf den Gipfeltreffen afrikanischer Staaten in der Funktion von Staatschefs den Ton angeben, um so die eigenen Geschäfte voranzubringen. Die Gegenleistung ist stets, dem armen Souverän dabei zu helfen, so lange auf seinem Thron sitzen zu bleiben, wie das Königreich der tropischen Krankheiten existiert. In diesem Sinne sind die gesellschaftlichen Gesundheitskrisen wie AIDS, Malaria, Cholera oder das Ebolafieber, mit denen wir es aktuell in Afrika zu tun haben, die Folge der Verantwortungslosigkeit, die diesen Kontinent regiert. Diese Verantwortungslosigkeit, die das Land an ausländische Akteure verkauft hat, in Form eines Wirtschaftsprogramms, das auf die Ausbeutung von Agrarprodukten und Bodenschätzen ausgerichtet ist. Eben diese Verantwortungslosigkeit hat zu der verhängnisvollen Kooperation mit dem IWF und der Weltbank geführt. Sowie dazu, neoliberale Programme zu unterschreiben, die man unter der Bezeichnung « Strukturanpassungsmaßnahmen » kennt. Diese Länder haben, ohne zu zögern, ihre Wirtschaft auf den Handel ausgerichtet, in Erwartung eines « garantierten » Wirtschaftswachstums, wie es der IWF versprochen hatte. Sie gerieten in die Falle der Industriestaaten, denen es darum ging, Afrika zur Reichtumsquelle für die Weltwirtschaft zu machen, das heißt zu einem Ort, aus dem man die Reichtümer herauspumpt, ohne dass die Bevölkerung davon profitiert. In Folge dessen haben die afrikanischen Länder ihre Staatsausgaben beschränkt, insbesondere durch Kürzung der öffentlichen Investitionen in den Bereichen der Bildung und der Gesundheit. Die Privatisierung der afrikanischen Unternehmen hat den Weg frei gemacht für eine neue Form der Einverleibung Afrikas durch multinationale AkteurInnen aus dem Ausland. Währenddessen leben die ortsansässigen Menschen, die eigentlich als erste von der Nutzung ihres Bodens profitieren sollten, bis heute in extremer Armut und in gesundheitlich prekären Bedingungen.

Zur Erinnerung : Liberia ist der 16. größte Produzent von Diamanten weltweit und einer der weltweit größten Produzenten von Latex und Kautschuk, während es den MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens an Hygieneartikeln fehlt. Darüber hinaus leiden Liberia und Guinea, ähnlich wie Mali und Togo, unter dem Landraub durch internationale InvestorInnen, die unter dem Deckmantel staatlicher oder privater Trägerschaften agieren. 2010 hat ein britischer Agrarinvestor von der « Guineagesellschaft » ausgedehnte Ländereien für die Entwicklung von Mais- und Sojaanbau gekauft. Man beachte, dass das italienische Energieunternehmen 'Nuove Iniziative Industriali' mehr als 700.000 Hektar für den Anbau von Biotreibstoffen gekauft hat, während das Volk vor Hunger stribt. Ebenso führe man sich vor Augen, dass « Firestone Rubber » in Liberia bereits vor 99 Jahren 1 Million Morgen Land zum Preis von 6 Cent für einen Morgen Land erworben hat. Darüber hinaus besitzt die Bolloré-Gruppe die größte Gummibaumplantage des Landes – vermittelt über ein Tochterunternehmen, die Liberia Agricultural Company (LAC). Im Mai 2006 veröffentlichte die UN-Mission in Liberia (Minul) einen Bericht über die katastrophaler Menschenrechtslage auf der Plantage : Kinderarbeit durch unter 14jährige Kinder, Verwendung krebserregender Substanzen, Verbot von Gewerkschaften, willkürliche Entlassungen, Einsatz privater Millizen als Ordnungskräfte, Ausbeutung von 75 Dörfern… In Sierra Leone hat Bolloré 6500 Hektar Ackerland für die Produktion von Palmöl und Kautschuk gepachtet. Manche Quellen sprechen von einem Pachtvertrag über 50 Jahre von 20.000 Hektar Ölpalmen und 10.000 Hektar Gummibäumen. Die BewohnerInnen der kleinen Dörfer dieser Länder, die von Ebola heimgesucht werden, sind gezwungen, da sie von ihrem Land verjagt wurden, ins innere des Waldes vorzudringen, um Nahrungsmittel zu finden. Unglücklicherweise birgt der Wald aber Gefahren, die für das bloße Auge unsichtbar sind.

Es liegt am afrikanischen Volk und seiner Diaspora, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, indem sie wirkliche Veränderungen einfordern, und keine ferngesteuerten Revolutionen. So lange die NeokolonialistInnen weiterhin verrückte Gestalten, die sich einer Veränderung entgegenstellen, als Staatschefs einsetzen, wird Afrika vor dem Westen die Hand aufhalten. Je mehr es das tut, desto mehr wird es an das Gängelband der Not gekettet sein. Ist Ebola nicht genauso alt, wie so manche afrikanische Diktatoren an der Macht sind ?