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27. Mai 2022 | Interview zur Menschenrechtslage in Togo

Im Dezember 2021 fand eine Delegationsreise von drei Mitgliedern der europäischen Sektion von Afrique Europe Interact nach Togo statt. Dabei trafen wir uns mit dem Sprecher des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Front Citoyen Togo Debout“.

L: Bitte stelle Dich kurz vor und die Organisation „Togo Debout“, deren Sprecher Du bist.

D: Ich bin der erste Sprecher der Organisation “Front Citoyen Togo Debuot”. Wir sind Teil einer pro-demokratischen Bewegung, die für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und einen demokratischen Wandel in Togo kämpft. Der “Front Citoyen Togo Debout” wurde im September 2017 nach der damaligen sozialen und politischen Krise gegründet, die durch den Wunsch des derzeitigen Präsidenten, seine Macht auszuweiten, ausgelöst wurde. 2017 stand das togoische Volk in seiner großen Mehrheit auf, um Nein zu dieser ständigen Ausweitung der politischen Macht zu sagen, und wünschte sich einen politischen Wandel. Der “Front Citoyen Togo Debout” wurde aus der Überzeugung heraus gegründet, dass die Zivilgesellschaft das Sprachrohr des togolesischen Volkes darstellt, das für die Wiedererlangung seiner Freiheit und seiner Würde kämpft.

L: Wie beurteilst Du die aktuelle Lage in Togo bezüglich der Rechtsstaatlichkeit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Gewährung bürgerlicher Freiheiten?

D: Als wir den “Front Citoyen Togo Debout” 2017 gegründet haben, haben wir besonders den alltäglichen Widerstand der Bürger*innen unterstützt, um das Streben des togoischen Volkes nach Veränderung Realität werden zu lassen. Leider müssen wir zugeben, dass einige Jahre nach 2017, einige Jahre nach diesem Kampf, der gewünschte politische Wandel nicht erreicht werden konnte. Im Gegenteil: Die Macht der Regierenden hat sich enorm verfestigt. Das togoische Regime hat praktisch alle zivilgesellschaftlichen Räume geschlossen, sodass der öffentliche Raum stark eingeschränkt ist und wir als Zivilgesellschaft Schwierigkeiten haben, unser Vereinigungsrecht, unser Versammlungsrecht, unser Demonstrationsrecht und unser Recht auf freie Meinungsäußerung auszuüben. Dies ist äußerst gefährlich, denn die Macht des Regimes ist heute zentralisierter und gestärkter denn je. Alles liegt den Händen der Exekutive. Das Justizsystem wird instrumentalisiert und von der Exekutive benutzt, um alle oppositionellen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Das Parlament steht ebenfalls im Dienst der Exekutive. Das führt dazu, dass die Trennung der drei Gewalten (Exekutive, Judikative und Legislative), die die Demokratie definiert, in Togo nicht existiert.

Wir befinden uns also in einer Situation mit fortwährenden Menschenrechtsverletzungen und politischen Gefangenen, Menschen, die aufgrund ihrer politischen Gesinnung inhaftiert sind. Von ihnen gibt es in Togo mehr als hundert. Es gibt Gefangene, die gefoltert werden, unter ihnen Menschen, die krank sind und keine angemessene medizinische Versorgung erhalten. Ich möchte ein Beispiel nennen: Ein politischer Gefangener saß bis zum Endstadium seiner Krebserkrankung im Gefängnis, bevor er schließlich entlassen werden konnte. Er verstarb nur etwa vier Wochen nach seiner Entlassung. Es gibt viele Menschen, die krank sind und trotzdem im Gefängnis bleiben, obwohl sie nichts getan haben. Es gibt Journalist*innen, die bei ihrer Arbeit behindert werden und Medien, die suspendiert werden, Politiker*innen, die behindert oder gar verhaftet werden, Akteure der Zivilgesellschaft, die verfolgt werden. Wir sollten nicht vergessen, dass Togo die berüchtigte Spionagesoftware Pegasus gekauft hat und mit dem Pegasus-Skandal haben wir erfahren, dass Journalist*innen ausspioniert wurden, Bischöfe ausspioniert wurden, Akteure der Zivilgesellschaft ausspioniert wurden, Politiker*innen ausspioniert wurden. Es ist also ein Gefühl der ständigen Unterdrückung, das heute in unserem Land herrscht und ein Ende dieser Menschenrechtsverletzungen ist nicht absehbar.

Des Weiteren wird das Coronavirus von den derzeitigen Machthabern als Vorwand benutzt, um Demonstrationen zu verhindern. Seit fast zwei Monaten wollen wir ein Treffen organisieren, um unter den Bürger*innen über die Frage der Justiz zu sprechen. Denn wir wissen genau, dass die Justiz in unserem Land nicht gerecht ist, sondern eine Zwei-Klassen-Justiz ist, was sogar vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs zugegeben wurde. Seit zwei Monaten wird jedoch die Coronavirus-Pandemie als Vorwand genutzt, um uns daran zu hindern, uns zu versammeln. Und das, obwohl es zurzeit nur sehr wenige Coronafälle in Togo gibt. Trotzdem hindert die Regierung die Bürger*innen hartnäckig daran, ihr von der Verfassung anerkanntes Recht auszuüben, sich friedliche zu versammeln.

Das ist also die Situation, in der wir uns befinden: ein starkes Regime, ein Polizeiregime, ein Regime, das alle Macht zentralisiert hat und alle Instrumente der Gegenmacht zunichtegemacht hat. Die Justiz wird instrumentalisiert und das Parlament wird instrumentalisiert. Es ist extrem schwierig.

L: Welche Unterstützung, welche Form der Solidarität erwartest Du von Europa und insbesondere von Deutschland?

D: Der sogenannte Westen hat auch gegen Diktaturen gekämpft, der Westen hat gegen den Nationalsozialismus gekämpft, er hat gegen die Diktatur in Spanien und in anderen Ländern gekämpft. Und so glaube ich, dass menschliche Grundwerte, wie der Wert der Freiheit, der Wert der Würde im Westen bekannt sind. Unser Wunsch ist es, dass die Menschen verstehen, dass bezüglich der Demokratie nicht mit zweierlei Maß gemessen werden kann. Was im Westen für einen Westler gilt, gilt auch in Afrika für einen Afrikaner. Wenn wir von Freiheit sprechen, gilt diese genauso für uns wie für einen Westler, wenn wir von menschlichen Grundwerten sprechen, gelten diese genauso für uns, wenn wir von Menschenrechten sprechen, gelten diese genauso für uns. Und so wollen wir, dass in den Beziehungen, die heute zwischen den Staaten bestehen, auch wenn die internationale Diplomatie wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund zu stellen scheint, die Frage der Menschenrechte nicht vergessen wird. Wirtschaftliche Interessen, ja, aber ich bin überzeugt, dass die Menschenrechte besonders wichtig sind und dass die Achtung der Menschenrechte das Fundament sein muss, auf dem wir heute eine Zusammenarbeit aufbauen können. Ich hoffe, dass Deutschland, das den Nationalsozialismus erlebt hat, es nicht weiter akzeptieren wird, mit einem togoischen Regime zusammenzuarbeiten, das sich durch seine Grausamkeit und seinen Mangel an Respekt für die Menschenrechte auszeichnet. Deshalb fordere ich von den Deutschen und insbesondere von der neuen deutschen Regierung, die Frage der Menschenrechte zu einem zentralen Thema in ihrer künftigen Zusammenarbeit mit Togo zu machen.