Der Westen misst mit zweierlei Maß
Aminata Traoré über die Intervention Frankreichs in Mali und "gute" und "schlechte" Gotteskrieger
Interview mit Aminata Traoré (1). Aus: neues deutschland, Montag, 22. April 2013
Frau Traoré, Sie haben es von Mali nach Deutschland geschafft, Oumar Mariko, dem Generalsekretär der linksorientierten Partei Sadi wurde selbst ein Besuchsvisum verweigert. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Nein, ich war davon völlig überrascht. Ich habe das erst mitgekriegt als ich selbst meinen Pass zurückbekommen habe, mit eingeschränktem Besuchsvisum nur für Deutschland, nicht für den Schengen-Raum. Eine Erklärung dafür gab es so wenig wie für Marikos generelle Ablehnung. Ich denke, dass es darum geht, kritische Stimmen zur Mali-Intervention unter dem Deckel zu halten.
Sie leben im Süden Malis. Haben Sie Informationen über die Entwicklung im Norden seit dem Beginn der Militärintervention Frankreichs im Januar 2013?
Sicher bekommen wir Informationen aus dem Norden, auch wenn versucht wird, vieles zu verschweigen. Auf alle Fälle wurde gerade der Ausnahmezustand in ganz Mali um weitere drei Monate verlängert. Damit versucht die Regierung jede Diskussion über den Krieg zu unterdrücken, denn damit sind öffentliche Versammlungen, Manifestationen und alle anderen Aktionen, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen können, verboten. Der Krieg gegen die Islamisten und der Ausnahmezustand helfen der Regierung, die grundsätzlichen Probleme im Land wie die hohe Arbeitslosigkeit und die Armut als Diskussionsthemen außen vorzuhalten.
Offiziell wird die Intervention mit der islamistischen Gefahr und dem Terror der Islamisten im Norden begründet. Halten Sie diese Begründung für glaubwürdig?
Offensichtlich ist, dass beim Krieg gegen den Terror mit zweierlei Maß gemessen wird: Aus Sicht des Westens gibt es gute Dschihadisten wie in Syrien oder zuvor in Libyen und einst in Afghanistan und schlechte Dschihadisten wie in Mali – je nachdem gegen welche Regierung sie gerade kämpfen. Es gibt ja auch gute und schlechte Putschisten. Die Putschisten in Mali wurden 2012 mit Sanktionen belegt, am Sturz der Regierung in der Zentralafrikanischen Republik durch Rebellen im März 2013 nahm keiner Anstoß, weil dort eine aus Sicht von Frankreich unbeliebte Regierung gestürzt wurde. Und in Mali weiß jedermann, dass die Dschihadisten im Norden aus dem Emirat Katar finanziert werden – einem bevorzugten Wirtschaftskooperationspartner Frankreichs.
Trotzdem soll es im Juli in Mali Neuwahlen geben, die turnusmäßig vor einem Jahr stattgefunden hätten. Ist das realistisch?
Das ist surrealistisch. Aber es passt in die Logik dessen, was in Mali gerade vor sich geht. Frankreich hat die Militärintervention gestartet, um eine ihr genehme Regierung zu stützen, eine Regierung, die den französischen Interessen nachkommt. Um die Demokratie in Mali, um die großen Probleme der malischen Bevölkerung geht es dabei nicht. Wenn die Malier selbst entscheiden könnten, würden sie die Wahlen verschieben, bis das Land wieder einigermaßen stabil und die Sicherheitslage akzeptabel ist. Aber die Wahlen sollen nun, koste es, was es wolle, durchgeführt werden. Allein im Ausland leben 600 000 Malier, denen im Moment die Wahlteilnahme verweigert wird. Unter demokratischen Gesichtspunkten sind diese Wahlen sehr fragwürdig.
Welche Interessen verfolgt Frankreich in Mali konkret?
Wirtschaftsinteressen: Fast alles, was in Mali konsumiert wird, wird aus Frankreich importiert. Frankreich »liebt« Mali. Deswegen leistet es seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe. Aber das Prinzip besteht darin, dass man gibt, um noch mehr zu nehmen. Die Statistiken der französischen Botschaft in Bamako belegen, dass mehr aus Mali an Profiten rausfließt als an Entwicklungsgeldern rein.
Nicht nur Frankreich hat interveniert, sondern auch die Westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS hat Truppen geschickt. Halten Sie das für legitim?
Es ist nicht legitim, weil Mali die militärische Lösung zu diesem Zeitpunkt nicht gewählt hat, sie wurde aufgezwungen. Und die ECOWAS haben auch gar nicht die Mittel, diesen Krieg zu führen. ECOWAS und die malische Armee müssten erst in die Lage versetzt werden, selbst im Norden wieder Stabilität herzustellen.
Könnte die malische Zivilgesellschaft stärker auf eine friedliche Lösung drängen?
Das ist nicht erwünscht. Die internationale Gemeinschaft zeigt kein Interesse an einer aufgeklärten malischen Zivilgesellschaft. Sie hat entschieden, dass es zwei Probleme gibt: ein militärisches und ein politisches. Das erste soll durch die Militärintervention gelöst werden, das zweite durch die Wahlen. Dabei werden die der Krise zugrundeliegenden wirtschaftlichen Probleme der Unterbeschäftigung und Armut schlicht geleugnet. Mehr als eine oberflächliche Befriedung kann es so nicht geben.
(1) Aminata Traoré ist Menschenrechtsaktivistin und Koordinatorin des Forums für ein anderes Mali (FORAM). Sie besuchte auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung vergangene Woche Berlin, um unter anderem auf der Veranstaltung »Mali in der Zwischenzeit – nach der Militärintervention, vor den Wahlen« zu berichten. Mit ihr sprach für »nd« in Berlin Martin Ling.