Frauen in Mali, sagt NEIN zum Stellvertreterkrieg!
Stellungnahme anlässlich des UN-Beschlusses zu Mali (Ende November 2012)
Übersetzt von Coorditrad
“Der Fisch täuscht sich, wenn er glaubt, dass der Fischer ihn ernähren will”
“Wir wollen nicht mehr, dass keiner weiß, dass wir unter unseren bunten Kopftüchern nicht nur die ungezähmten Schlangen unserer schwarzen oder weißen Haarflechten, sondern auch Gedanken mit flinker Geste verschwinden lassen.”
Aus der dramatischen Lage Malis geht eine furchtbare Realität hervor, die in anderen Konfliktländern bestätigt wird: die Instrumentalisierung der Gewalttätigkeiten gegen Frauen zur Rechtfertigung der Einmischung und der aus Gier auf die Reichtümer ihrer Heimatländer geführten Kriege. Das müssen die afrikanischen Frauen wissen – und weitergeben.
Ebenso wie es aus menschlichem Standpunkt nicht anzunehmen ist, dass Mali um die Zwei-Drittel seiner Territoriums gekürzt wird und die Scharia der Bevölkerung der besetzten Gegenden aufgezwungen wird, ist die Instrumentalisierung dieser Lage – darunter das Los der Frauen – moralisch unhaltbar und politisch unzumutbar.
Deswegen fällt uns Frauen aus dem Mali eine epochale Rolle zu, hier und jetzt, zur Verteidigung unserer Menschenrechte gegen drei Arten Fundamentalismus: der religiöse, über einen radikalen Islam; den wirtschaftlichen über die totale Vermarktung; den politischen über die nur noch förmliche, korrupte und korrumpierende Demokratie.
Wir fordern all jene auf, die sich in unserer Heimat, in Afrika oder sonst wo von unserer Befreiung aus diesen drei Fundamentalismen angegangen fühlen, zusammen mit uns „Nein“ zum Stellvertreterkrieg zu sagen, der uns aus der Ferne droht. Dieses „Nein“ rechtfertigen wir mit folgenden Argumenten.
Demokratie-Leugnung
Das Ersuchen um Stationierung afrikanischer Truppen im Norden Malis, das von der CEDEAO (Gemeinschaft der westafrikanischen Staaten) und der AU (Afrikanische Union) bei den Vereinigten Nationen eingereicht wurde, beruht auf einer absichtlich verzerrten und illegitimen Analyse. Jene gründet auf keiner nationalen Verständigung, die als solche bezeichnet werden könnte, weder am Gipfel noch an der Basis. Außerdem ignoriert diese Analyse die schwere moralische und politische Verantwortung der Nationen, die die Resolution Nr. 1973 des Sicherheitsrates der Uno verletzt haben, indem sie den Schutz der libyschen Stadt Bengasi zum Mandat machten, um das Regime von Muammar Gaddafi zu stürzen und ihn selber zu ermorden. Ihren militärischen Sieg über die desorganisierte und demotivierte malische Armee hat die von den Separatisten der nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA), Al Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) und deren Alliierten gebildete Koalition z.T. den im libyschen Konflikt errungenen Waffenbeständen zu verdanken.
Wird der selbe Sicherheitsrat in den kommenden Tagen dem militärischen Interventionsplan zustimmen, dem die afrikanischen Staaten zugestimmt haben, weil sie behaupten, die Folgen einer ungerechten Krieges durch einen zweiten, ebenso ungerechten Krieg heilen zu können?
Kann und soll die in der Handhabung der „Libyschen Krise“ marginalisierte und gedemütigte AU sich in das malische Abenteuer stürzen, ohne sich die Lehren aus dem Sturz des Gaddafi-Regimes überlegt zu haben?
Wo bleibt die Folgerichtigkeit der Geschäftsführung der afrikanischen Regierungen, deren meisten sich vergeblich gegen den NATO-Einsatz in Libyen gestemmt hatten, wenn sie sich über die Notwendigkeit einer mit unabsehbaren Folgen verbundenen Stationierung von Streitkräften in Mali einigen?
Die äußerste Wehrlosigkeit der Frauen in Konfliktzonen
Der International Crisis Group warnt mit Recht, dass „im derzeitigen Kontext eine Offensive der malischen Armee, die sich auf der CEDEAO bzw. anderen Streitkräften stützen würde höchst wahrscheinlich mehr zivile Opfer im Norden verursachen, und im ganzen Land die Unsicherheit größer machen und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verschlimmern, die ethnischen Gemeinschaften radikalisieren, die Gewalttätigkeit aller extremistischen Gruppen fördern und letztendlich die gesamte Gegend in einen vielgestaltigen Konflikt ohne Frontlinie im Sahara stürzen würde (« Le Mali : Éviter l’escalade » (Mali: Zur Vermeidung der Eskalation) International Crisis Group-http://www.crisisgroup.org/fr , 18.07.2012).
Für Frauen hat das ganz besonders schlimme Folgen. Deren Wehrlosigkeit, von der alle ja den Mund voll haben, sollte auch in den Köpfen vorhanden sein, wenn Entscheidungen getroffen werden, und von einem vermeidbaren Krieg abbringen. Und jener Krieg kann und muss vermieden werden.
Bedenken wir, dass die Vergewaltigungen, die in den besetzten Zonen zu beklagen sind, sich mit der Stationierung Tausender Soldaten wahrscheinlich vermehren werden. Zu dieser Gefahr kommt noch die einer mehr oder weniger verdeckten Prostitution, die in den höchst präkarisierten Zonen meist auftaucht und folglich die Verbreitung des VIH-AIDS fördern würde. Wird im Einsatzplan, mit dem sich der Sicherheitsrat befassen wird, für vorbeugende Mittel gesorgt, die die malischen Frauen und Mädchen vor diesem katastrophalen Risiko wirklich schützen?
Bedenken wir auch, dass im gesamten Land die dem malischen Volke von der internationalen Gemeinschaft auferlegten Sanktionen, angeblich um die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung zu erlangen, sich sehr stark auf die anfälligsten Gruppen auswirken. Aufgrund der Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau werden die Frauen im Haushalt mit dem riesigen Problem der Wasser-, Nährmittel-, Hausenergie- und Medikamentenversorgung konfrontiert. Dieser alltägliche, endlose Kampf ums Überleben ist schon an sich ein Krieg. Unter solchen Verhältnissen der Präkarität und der Anfälligkeit der Bevölkerung und insbesondere der Frauen wird eine Wahl der geplanten militärischen Lösung die Sachlage nur verschlimmern, wobei eine friedliche Alternative, die aus der malischen politischen, militärischen und Zivilgesellschaft hervorgeht, konstruktiv sein wird.
Inkohärenzen der Völkergemeinschaft
Jeder der mächtigen Repräsentanten der «Völkergemeinschaft », wie auch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (CEDEAO) und die Afrikanische Union haben zu unseren abscheulichen Leiden der Frauen im Krieg Stellung genommen.
Ehre, wem Ehre gebührt: der französische Präsident François Hollande, der die Rolle des Anführers bei der Verteidigung der militärischen Option spielt, hat die leidenden Frauen als «erste Opfer der Kriegsgewalt » betont. (Kinshasa – Vierzehnter Gipfel der Internationalen Organisation der französisch sprechenden Staaten).
Und trotzdem hat er am 26. September 2012 in New York während einer außerordentlichen Versammlung über den Sahel am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt:“Ich weiss, dass man durchaus zum Verhandeln geneigt sein könnte. Aber mit Terrorgruppen verhandeln? Das kommt nicht in Frage. Das wäre nur verlorene Zeit, jeder Vorgang, der in die Länge gezogen werden könnte, würde nur den Terroristen Vorschub leisten”.
”Man muss einen Krieg beenden können”, scheinen der amerikanische wie auch der französische Präsident zu sagen. « Der Krieg in Afghanistan hat sich über die anfängliche Mission hinaus in die Länge gezogen. Es ist nicht möglich, den Aufstand zu bekämpfen, vielmehr wird er angestachelt. Es wird Zeit, diese Intervention zu beenden, und ich werde mich dafür einsetzen» erklärte der Kandidat François Hollande in seiner Antrittsrede bei der Präsidentenwahl.
Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton, deren Reise nach Algier am 29. Oktober 2012 unter anderem das Ziel hatte, den Präsidenten Abdelaziz Bouteflika davon zu überzeugen, dem Kriegslager beizutreten, hatte sich mit folgenden Worten an die in Addis-Abeba versammelten afrikanischen Staatschefs gewandt: « Die unaufhörlichen Gewaltverbrechen gegen Frauen und Mädchen in der Demokratischen Republik Kongo und die Aktivitäten der bewaffneten Gruppen in der östlichen Region des Landes sind für uns eine beständige Quelle der Sorge. Die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen dürfen keine Mühe scheuen, um der Demokratischen Republik Kongo zu helfen, auf diese anhaltenden Sicherheitskrisen zu reagieren ».
Die Initiative des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, mit dem Titel «Vereint, um die Gewalt gegen die Frauen zu beenden», die am 25. Januar 2008 gestartet wurde, richtet ihr Augenmerk besonders auf die Frauen Westafrikas. Das war vor den Kriegen in der Elfenbeinküste und Libyen, die großteils verhindert haben, dass die Ziele dieser Initiative umgesetzt werden. Wir verstehen seinen Vorbehalt gegenüber einem militärischen Eingriff, und wir hoffen, dass er den Plan der Staatschefs der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht unterstützen wird. Ein Krieg, so wollen wir ihn ermahnen, ist ein extremer Gewaltakt gegen die Zivilbevölkerung, darunter auch die Frauen. Ein Krieg wird nur zur Folge haben, dass die Ziele dieser Initiative nicht erreicht werden.
Warum nur sagen uns die Mächtigen dieser Welt, die sich derart um die afrikanischen Frauen sorgen, nicht die Wahrheit über die Rolle, die Bodenschätze, Erdöl und Territorien im Krieg spielen.
Die Präsidentin der Kommission der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, betont ihrerseits, “Es ist unbedingt notwendig, dass die Frauen aktiv teilnehmen und sich einbringen, damit eine Lösung des Konfliktes gefunden wird. Ihre Stimmen müssen in den Bemühungen gehört werden, die zum Ziel haben, die Demokratie in ihren Ländern zu fördern und zu stärken. Dazu können Sie, ohne jeglichen Zweifel, auf die Unterstützung der Afrikanischen Union zählen, wie auch auf meine persönliche Unterstützung. » (Versammlung der Gruppe zur Unterstützung und Beobachtung der Situation in Mali, 19. November 2012)
Dass zum ersten Mal eine Frau für diesen Posten nominiert wurde, könnte ein echter Faktor der politischen Emanzipation für die Frauen und daher der Befreiung des Kontinents sein, sollte Nkosazana Dlamini-Zuma es akzeptieren, die Gesprächsbasis über die Frauen Afrikas zu vergrößern, und darin die globalen Probleme zu integrieren, die uns noch nicht ersichtlich sind.
Unser trauriger Geisel-Status
Mali ist ein Land, das gleichzeitig angegriffen, erniedrigt und von politischen und institutionellen Akteuren als Geisel genommen wurde, die keinem Rechenschaft schuldig sind, angefangen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEDEAO). Diese Realität zeigt sich unter anderem in dem enormen Druck, der auf dem übrigen Gebiet des Staates Mali lastet. Der Übergangspräsident, Dioncounda Traoré, ist der erste der malischen Geiseln. Warum hat er sich am 19. Oktober 2012 sich während der Versammlung der Gruppe zur Unterstützung und Beobachtung der Lage unseres Landes verpflichtet gefühlt, daran zu erinnern, dass er kein Präsident sei, der als Geisel genommen wurde? Eben weil es gerade der Fall ist. Sonst hätte er am 21. September 2012, dem Vorabend des Unabhängigkeitstages unseres Landes, nicht dreimal wiederholt, dass er das Gespräch und die Verständigung bevorzugt hat, dann aber drei Tage später von den Vereinten Nationen eine sofortige militärische Intervention verlangt. « Ich bin mir bewusst, dass ich der Präsident eines Landes bin, das im Krieg ist, aber Dialog und Verhandeln sind meine erste Wahl. Die zweite Wahl sind Dialog und Verhandeln, und », beharrte er « die dritte Möglichkeit bleiben Dialog und Verhandeln. Wir werden Krieg führen wenn uns keine andere Wahl mehr bleibt… », erklärte er in seiner Rede an die Nation, bevor er seine Meinung änderte.
Neben dem Interimspräsidenten sind wir alle Kriegsgeiseln eines unausgeglichenen und ungerechten ökonomischen und politischen Systems, das sich in der Kunst, durch finanzielle Erpressung Widerstände zu brechen auszeichnet. Die Aufhebung der Hilfe aus dem Ausland führt in diesem Land 2012 zu fehlenden 429 Milliarden CFA-Francs. Sozusagen alle öffentlichen Investitionen sind aufgehoben. Das Schließen von vielen Betrieben hat zu Entlassungen und Arbeitslosigkeit von Zehntausenden von Arbeitern geführt, während die Lebensmittelpreise rasant ansteigen. Die schwerwiegendsten Verluste zeigen sich in den Gebieten der Bauindustrie und dem Tiefbau. Der Tourismus, das Handwerk, die Hotellerie und die Gastronomie, die seit 2008 an den Folgen litten, dass Mali zu den Risikoländern zählte, sind schwer betroffen, wobei sie zu den wichtigen Einkommensquellen in den Gebieten gehörten, die heute besetzt sind, vor allem die Region um Timbuktu.
Es wird nicht zum Geiselstatut Bezug genommen, um das unerträgliche Leiden von europäischen Geiseln und ihrer Familien herunterzuspielen, sondern um die gleich ernste Lage der Situation aller Menschen zu betonen, die sich in einem System gefangen finden, für das sie keine Verantwortung tragen. Es bleibt trotzdem die Frage, wie man reagieren soll, damit unser Land seine territoriale Integrität und den Frieden wieder findet, und die sechs Franzosen, die von AQMI, der Salafistengruppe für Predigt und Kampf, festgehalten werden, Hunderttausende Bewohner des Nordens von Mali in Lebensgefahr bringt, die genau so viele Geiseln sind.
Der Stellvertreterkrieg
Wer Krieg wählt, dem ist nicht richtig klar, worum es in Wirklichkeit geht. Jacques Attali gibt allen, die ihn verstehen wollen, einen deutlichen Hinweis darauf – wenn es dessen überhaupt noch bedurfte – dass es sich bei der geplanten militärischen Intervention um einen Stellvertreterkrieg handelt. Nach ihm muss Frankreich handeln „… weil diese Region (der Sahel) eine rückwärtige Basis für die Ausbildung von Terroristen und Selbstmordattentätern werden kann, die dann gegen die Interessen des Westens überall in dieser Region kämpfen; und sogar – vielfältige Transferwege nutzend – in Europa. Noch sind es einige Hundert; wenn nichts geschieht, werden sie bald mehrere Tausend sein, aus Pakistan, Indonesien und Lateinamerika. Und die Uranvorkommen im Niger, unentbehrlich für Frankreich, liegen nicht weit entfernt.“(Blog von Jacques Attali vom 28. Mai 2012)
Die Rollenverteilung zwischen Frankreich, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEDEAO), der Afrikanischen Union, Europa und der UNO ist geklärt. Die CEDEAO, deren seltsame Rolle zahlreiche Malier und Afrikaner bis heute nicht verstanden, ist in Mali im Einsatz. Nach Jacques Attali musste die Regionalorganisation handeln “um den zivilen Organisationen die Mittel wieder in die Hand zu geben, um Entscheidungen ohne Angst zu treffen, um die Sicherheit wiederherzustellen, um den Militärapparat wieder aufzubauen und um die Wirtschaftsaktivität wieder anzukurbeln; um im Norden diese Abspaltung zu beenden, muss vor Ort eine Militäraktion durchgeführt werden; dafür bedarf es logistischer Unterstützung aus der Ferne, Ausrüstung für die Beobachtung, Drohnen und Militärberater.
Wer kann das alles tun? Offensichtlich nicht die Regierung Malis allein, die weder Waffen noch Autorität besitzt.Auch nicht die CEDEAO, die keine ausreichende militärische Mittel besitzt, um die Gesamtheit der erforderlichen Aktionen durchzuführen und die noch nicht einmal darauf hoffen kann, dafür die entsprechende Aufforderung der Regierung Malis zu bekommen, die unter dem Einfluss unklarer Kräfte steht. Auch nicht die Afrikanische Union, auf jeden Fall nicht allein. Also, wer soll es machen? Die UNO? Die NATO? Die Frage wird sich sehr schnell stellen. Sie ist jetzt gestellt. Auch in dieser Angelegenheit müsste Europa sich natürlich einig sein und sich in die Lage versetzen, Entscheidungen zu fällen und zu handeln. Aber Europa ist sich nicht einig. Wenn die derzeitige Vermittlung scheitert, wird es bald notwendig sein, darüber nachzudenken, eine Koalition von der Art herzustellen, wie sie in Afghanistan funktioniert hat.Bevor ein ähnliches Ereignis wie das des 11. September 2001 sie erzwingt” (Blog von Jacques Attali vom 28. Mai 2012)
Also, es ist alles offensichtlich. Der in Mali beabsichtigte Krieg würde also im Rahmen einer Verlängerung des Afghanistankrieges erfolgen, aus dem sich Frankreich und die Vereinigten Staaten nach und nach zurückziehen – nach 11 Jahre dauernden Kämpfen, nach schweren Verlusten an Menschen, Material und Geld. Da der Sahel zur Einflusssphäre Frankreichs gehört, übernimmt Frankreich die Leitung der Mali betreffenden Angelegenheiten, die militärische Gewalt wird der CEDEAO als Subunternehmerin übergeben. Diese Übertragung macht die Angelegenheit politisch korrekt und erfolgt in der Absicht, nicht wegen Kolonialismus und Imperialismus angeklagt zu werden, aber auch um die Kosten des Krieges zu reduzieren und um nicht weitere Verluste an menschlichen Leben registrieren zu müssen. Die öffentliche Meinung im Westen lässt es immer weniger zu, dass ihre Staatsangehörigen in Verteidigung “unserer” Angelegenheiten sterben. So wie einst die « tirailleurs sénégalais » ( Senegalesen, die als Schützen in den frz. bzw. europäischen Kriegen eingesetzt wurden, AdÜ) werden heute afrikanische Truppen aufgefordert, Frankreich Beistand zu leisten.
Die Globalisierung der Übel und Netzwerke
Der religiöse Radikalismus braucht in einem solchen Kontext nicht den Norden Malis, um sich in Westafrika und in der Welt zu verbreiten. Die auf Ungerechtigkeit und Ungleichheit beruhende globalisierte Wirtschaft ist eine Maschine, die die lokalen Wirtschaftsräume, ihre Gesellschaften und Kulturen vernichtet, und so für ihn den erforderlichen Nährboden schafft.
Vom Roten Meer bis zum Atlantik, von Afghanistan bis Nigeria, von Toulouse, wo Mohamed Merah aktiv war und erschossen wurde, bis Timbuktu geht es um ideologische Probleme, aber auch um zivilisatorische, identitäre, aber auch um wirtschaftliche, politische und geostrategische. Die Akteure und Kräfte vor Ort sind ungefähr die gleichen, mit zu manipulierenden lokalen Varianten, wie der Aufstand der Tuareg in Mali.
Afghanen, Pakistaner, Algerier und andere Prediger sind übrigens keine Neuankömmlinge in Mali. Ab Beginn der 1990er Jahre sind sie in den Moscheen erschienen, zu der Zeit, als die dramatischen sozialen und menschlichen Folgen der Strukturanpassungsprogramme sich auf Beschäftigung, Einkünfte und den sozialen Zusammenhalt bemerkbar zu machen begannen.
Die «badenya» – Perspektive als Alternative zum Krieg
Malische und afrikanische Frauen sind sich durchaus der Herausforderung der neoliberalen Globalisierung mit ihrem tödlichen Räderwerk bewusst, sind deswegen aber noch lange nicht für Kriege. Den kriegerischen und räuberischen Wertvorstellungen der herrschenden Ökonomie stellen wir friedliche Werte entgegen, die uns sowohl mit uns selbst als auch mit dem Rest der Welt wieder versöhnen. Badenya (Kinder der Mutter) ist einer dieser Wertvorstellungen, den wir Frauen Malis mehr pflegen und dem männlichen Wert fadenya (Kinder des Vaters) entgegenstellen müssen, einer Wertvorstellung, die in ihrer ultraliberalen Version den zügellosen und brudermörderischen Wettlauf nach Profit erlaubt, bis hin zur Plünderung rentabler öffentlicher Unternehmen, zur Überlassung landwirtschaftlicher Böden an die Herrschenden und zur Aufteilung des nationalen Territoriums.
Unsere Ablehnung des Krieges, die tief in der badenya verankert ist, hat ihre Wurzeln in einer Auffassung von der Zeugung, nach der die Tatsache, ein Kind auf die Welt zu bringen, bereits so etwas ist wie in den Krieg ziehen (musokele). Dabei sind diejenigen unter uns, die bei der Geburt sterben, bereits zu zahlreich. Tag für Tag kämpfen wir gegen Hunger, Armut, und Krankheit, damit jedes Kind groß wird, arbeitet, auf eigenen Füßen steht und seinen Anteil an Verantwortung übernimmt.
Aus diesem Grund sieht jede von uns in jedem Soldat, in jedem Aufständischen und in jedem neu zum Djihadismus Konvertierten, die dann im Krieg gegeneinander kämpfen, einen Bruder, einen Sohn, einen Neffen, einen Cousin. Gestern noch suchten sie nach sozialer Anerkennung mit einer Beschäftigung, einem Einkommen oder einem Visum. Oft war dies vergeblich… Heute halten sie in ihren zitternden Händen Kriegswaffen.
Klarsicht und politische Reife sollten in dieser Welt ohne Glauben und Moral unsere Waffen sein. Es gibt keinen Grund weswegen sich der Mali auf ein Gebiet begeben sollte, vor dem Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika trotz der Feuerkraft der NATO zurückscheuen.
Lasst uns, Frauen des Mali, der Ökonomie des Krieges die Ökonomie des Lebens entgegenstellen, indem wir aus dem sich gegenwärtig vollziehenden Wandel eine historische Gelegenheit machen, die dreifache Herausforderung Wissen, Staatsbürgerschaft und Dialog aufzugreifen. Die derzeitige Entwicklung in dem Gebiet, darunter auch der Wille von Ansar Dine und dem MNLA zu Verhandlungen, die permanente Veränderung der Kräfteverhältnisse und der Strategien und Interaktionen zwischen den verschiedenen sich vor Ort befindenden Gruppen müssen mit der gebotenen Aufmerksamkeit überprüft werden, um einen möglicherweise tragischen Krieg zu vermeiden, aber auch um die Probleme, die die getroffenen Vereinbarungen mit sich bringen, zu beseitigen.
Die seit Monaten geplanten nationalen Verhandlungen müssen endlich stattfinden, damit sie der gesamten malischen Gesellschaft erlauben, sich wieder zusammenzufinden und ihr ermöglichen, selbst die Grundlagen und die Bedingungen einer abgestimmten (nicht aufgezwungenen) Lösung für den gegenwärtigen Konflikt zu definieren. Wir, die Frauen Malis, werden dazu alles beitragen, wie wir auch morgen dazu beitragen werden, die Demokratie in unserem Land zu erneuern entsprechend den gesellschaftlichen und kulturellen Werten, die uns vertraut sind.
Es geht letztlich darum, der Fähigkeit der zivilen, politischen und militärischen Gesellschaft Malis zu Analyse, Vorausschau und Planung Vertrauen zu schenken und sie zu stärken.
Wir bitten alle, Frauen wie Männer, die unsere Herangehensweise mittragen, sich unverzüglich an die wichtigsten Akteure der internationalen Gemeinschaft zu wenden, schriftlich oder mit allen möglichen anderen Ausdrucksformen, und zu verlangen, dass der Sicherheitsrat keine Resolution verabschiedet, die den Aufmarsch von tausenden Soldaten in Mali ermöglicht.
Unterzeichnende: Aminata D. TRAORE; SISSOKO Safi SY; SANOGO Sylvie KONE; IMBO Mama SY; Kadiatou TOURE; TRAORE Sélikèné SIDIBE; DICKO Rokia SACKO; Ténin DIAKITE; DOUMBIA Fanta DIALLO; KONE Mamou TOURE; TRAORE Sarata SANOGO; TRAORE Penda DIALLO; DIABATE Kadiatou KOUYATE; Aminata BOCOUM; Oumou KODIO; Assatou KAREMBE; Awa KOÏTA; Aminata DOUMBIA; Fatoumata COULIBALY; Badji BOIRE; Awa TOURE; Bintou KONE; Fatoumata MARIKO; Mariam KONE; Minata DIARRA; Oumou KEITA; Kadiatou DIALLO; Kankou KONE; Rokia NIARE; Kadia DJIRE; Ada NANTOUMA; Awa COULIBALY; Soungoura DOUMBIA; Fanta KANTE; Safiatou COULIBALY; Djaba TANGARA; KONE Mama DIARRA; Ismael DIABATE; Karamoko BAMBA; Doumbi FAKOLY; Coumba SOUKO; Clariste SOH-MOUBE; Nathalie M’DELA-MOUNIER.