Solidarische Netzwerke
Bewegungen an den euro-afrikanischen Grenzen
Von Cornelia Gunßer
„Die Regierungen der europäischen Staaten, der Transit- und Herkunftsländer arbeiten bereits auf allen Ebenen zusammen. Es gibt jedoch Widersprüche in ihrer Politik: Die Grenzen der EU werden nie ganz geschlossen sein – nicht nur, weil bestimmte Kapitalfraktionen auf einen ethnisch hierarchisierten Arbeitsmarkt zur Profitmaximierung setzen und deshalb rechtlose Migrant/inn/en brauchen, sondern auch, weil Menschen beim Kampf ums Überleben sich durch Stacheldraht und Patrouillenboote nicht aufhalten lassen. Die ausgrenzende Politik der Herrschenden nimmt den Tod der Unerwünschten in Kauf. Wenn wir dagegen Widerstand aufbauen wollen, müssen auch wir uns auf internationaler Ebene vernetzen: mit Flüchtlingen hier, ihren Landsleuten ‚zuhause‘ und auf dem Weg, mit Menschenrechtsorganisationen in Europa, in Transit- und Herkunftsländern. Es geht um die Durchsetzung des Zugangs nach Europa, um den Kampf für gleiche Rechte hier und um den Widerstand gegen Abschiebungen. Letztlich geht es um politische und soziale Menschenrechte für alle.“
Diese Sätze schrieb ich vor mehr als vier Jahren als Resümee eines Artikels mit dem Titel „Der europäische Krieg gegen Flüchtlinge“. Auf Veranstaltungen wurde ich des öfteren gefragt, wie das „laufen“ könne: die Vernetzung mit Flüchtlingen und Migrant/inn/en in Transit- und Herkunftsländern? Auch mir erschien das damals schwierig. Aber inzwischen haben sich zwischen Europa und Afrika solche Netzwerke entwickelt. Über eines dieser Netzwerke, das manifeste euro-africain , an dessen Gründung ich im Sommer 2006 beteiligt war, und die Stationen seines Aufbaus möchte ich in diesem Beitrag berichten. Ein Überblick über die im Text erwähnten Konferenzen, Aktionen und Erklärungen sind in englischer Sprache auf der Website des Hamburger Flüchtlingsrates zu finden.
Polyzentrisches Weltsozialforum in Bamako
Den Anstoß für ein euro-afrikanisches Migrations-Netzwerk gab der „Aufruf von Bamako für den Respekt und die Würde aller Migrantinnen und Migranten“, beschlossen auf dem Weltsozialforum im Januar 2006 in Bamako/Mali. Das Weltsozialforum war noch überschattet von den dramatischen Ereignissen an den Zäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla im September/Oktober 2005, als bei dem Versuch, die Zäune zu erstürmen, viele Migranten durch die Grenzpatrouillen getötet und Hunderte schwer verletzt wurden, und von den blutig niedergeschlagenen Flüchtlingsprotesten in Kairo zum Jahresende 2005, bei dem viele Flüchtlinge von Aufstandsbekämpfungseinheiten niedergeschossen wurden. In dem Aufruf heißt es:
„Im Namen des Kampfs gegen die ‚illegale‘ Einwanderung setzen die Regierungen eine repressive Politik um, indem sie die Grenzen der reichen Länder mit Hilfe von Lagern, Zurückweisungen, Abschiebungen und der Arbeitskräfteauslese externalisieren. Diese Politik führt zu solchen Dramen wie in Ceuta und Melilla, führt zu Toten in der Wüste, im Mittelmeer oder im Rio Grande.
Wir schlagen vor, auf internationaler Ebene eine solidarische Allianz der Zivilgesellschaften, NGOs, sozialen Bewegungen und Vereinigungen gegen diese mörderische Politik aufzubauen.
Für die Zeit zwischen Bamako und Nairobi (wo ein Jahr später 2007 das Weltsozialforum stattfand, C.G.) schlagen wir ein Jahr der internationalen Mobilisierung für das Recht eines jeden Menschen vor, sich frei auf der Welt zu bewegen und über seine eigene Zukunft entscheiden.
Die folgenden Vorschläge wurden von Arbeitsgruppen während des Polyzentrischen Sozialforums von Bamako gemacht:
- Wir rufen auf zur Schaffung eines internationalen Netzes zum Austausch von Informationen und Aktionen für die Rechte aller Migrantinnen und Migranten.
- Wir rufen auf, einen thematischen Schwerpunkt ‚Migrationen‘ im Prozess der Vorbereitung für Nairobi 2007 einzurichten.
- Wir schlagen einen weltweiten Tag der Mobilisierung vor, der an Orten stattfinden könnte, die Grenzen symbolisieren (Flughäfen, Internierungslager, Botschaften etc.):
- gegen das Ausnahmerecht, das gegen Migrantinnen und Migranten angewandt wird;
- gegen die Politik der Unterdrückung und Bestrafung von Auswanderung;
- für die Schließung der Lager und die Bewegungsfreiheit der Menschen.
Das euro-afrikanische Gipfeltreffen in Rabat, im Frühjahr 2006, sollte die erste Etappe dieser Mobilisierung sein.“ &Z&
Der vorgeschlagene „Tag der Mobilisierung“ im Bamako-Aufruf wurde auch auf der „assembly on migrations“ auf dem Europäischen Sozialforum im Mai 2006 in Athen aufgegriffen und beschlossen. Auf Anregung einer marokkanischen Organisation von Migrantinnen und Migranten wurde der Aktionstag für den 7. Oktober ausgerufen, um an die mörderischen Ereignisse in Ceuta und Melilla zu erinnern. Auf derselben Versammlung wurde zu einer Gegenkonferenz zum ersten euro-afrikanischen Regierungsgipfel zu „Migration und Entwicklung“ eingeladen. Dieser sollte am 10. und 11. Juli 2006 in Rabat stattfinden.
„Migrationen, Grundrechte und Bewegungsfreiheit“ – eine regierungsunabhängige euro-afrikanische Konferenz in Marokko
Die Gegenkonferenz vom 30. Juni/1. Juli 2006 im Küstenort Harhoura bei Rabat wurde von verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen des Netzwerks „migreurop“, die vor allem aus Frankreich und Belgien kamen, sowie von marokkanischen Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen vorbereitet. Um eine ausgewogene Repräsentanz der Länder Europas, Nord- und Subsahara-Afrikas zu erreichen, wurde die Teilnahme von Organisationen auf ein bis zwei ihrer Vertreter/innen beschränkt. Ausgenommen wurden die Organisationen subsaharischer Flüchtlinge und Migrant/inn/en in Marokko, die in großer Zahl anwesend waren. Aus Kostengründen musste die Konferenz auf etwa 150 Teilnehmer/innen begrenzt werden. Aus Marokko waren außerdem Menschenrechtsorganisationen wie die „Association Marocaine des Droits Humains“ (AMDH), über deren Sekretariat die Organisation der Konferenz lief, sehr aktive attac-Gruppen und Universitätsdozenten vertreten. Aus anderen nordafrikanischen Ländern waren Aktivistinnen und Aktivisten aus Algerien, Tunesien und, wie es hieß, auch ein Vertreter der Menschenrechtsliga aus Libyen anwesend. Aus Subsahara-Afrika kamen Mitglieder verschiedener Menschenrechtsorganisationen, Unterstützungsvereine für Familien und Opfer von Migration, entwicklungspolitischer Gruppen und Netzwerke für Schuldenstreichung und für die Rechte von Kleinbäuerinnen und -bauern. Sie kamen alle aus frankophonen Ländern: von Mauretanien über Senegal, Mali, Niger, Elfenbeinküste, Guinea bis Kamerun und den beiden kongolesischen Staaten. Aus Europa nahmen Vertreter/innen und Vertreter französischer, belgischer, niederländischer, italienischer, spanischer und deutscher Flüchtlings-, Migrant/inn/en- und Menschenrechtsorganisationen teil.
Bereits im Eröffnungsplenum wurde die afrikanische Perspektive in einer für mich in Deutschland ungewohnten Stärke und Entschlossenheit deutlich: Migration wurde von Subsahara-Afrikaner/innen vor allem als Folge einer gescheiterten „Entwicklungspolitik“ dargestellt. Sie werde immer mehr zu einer Kriegs- und Kollaborationspolitik mit Pseudo-Demokratien. „Man installiert die Armut – und dann wundert Ihr Euch, dass die Leute kommen?“ fragte z.B. ein kongolesischer Teilnehmer. Er kritisierte exemplarisch den Militäreinsatz der EU in seinem Land, an dem sich zum ersten Mal auch Deutschland beteiligte.
„Europa schließt unsere Grenzen!“ zitierte Thierno Ba eine Zeitungsüberschrift aus dem „Cotidien du Sénégal“. Er kritisierte das Fehlen von Solidarität zwischen den afrikanischen Ländern: „Es gibt nicht ein weißes und ein schwarzes Afrika – es gibt nur ein Afrika!“. Dieses Afrika sei fähig, etwas zu leisten, wenn es sich zuerst selbst respektiere statt sich an Europa zu verkaufen.
Auch ein marokkanischer Ökonom kritisierte, dass im Zuge der Politik der Externalisierung immer mehr afrikanische Regierungen sich bereit erklärten, die Rolle des Gendarmen für Europa zu spielen. Die Forderung nach Bewegungsfreiheit müsse für alle gelten, nicht nur für das Kapital. Nötig sei auch ein Kampf gegen den Anstieg des Rassismus im Maghreb. Die Ereignisse vom Herbst 2005 in Marokko an den Exklaven Ceuta und Melilla müssten untersucht werden. Mit einer Schweigeminute wurde der Toten an den Grenzen, in den Wüsten und im Meer gedacht. Bereits drei Tage nach der Konferenz wurden am Zaun von Melilla erneut drei Menschen getötet.
Claire Rodier, Präsidentin von migreurop, wandte sich scharf gegen die geschlossenen Lager und die Politik der „migration choisie“, d.h., gegen die Tendenz, dass Europa sich die Migrant/inn/en, die es braucht, aussuchen will und für die andern die Grenzen dicht macht.
Fiston Massamba, ein kongolesischer Flüchtling in Marokko, stellte die unerträgliche Situation der Migrant/inn/en und Flüchtlinge in Marokko dar. Er betonte, Bewegungsfreiheit sei ein Grundrecht. Die enormen Geldtransfers der Migrant/inn/en in Europa trügen zur Armutsbekämpfung in ihren Herkunftsländern bei. Von mehreren Teilnehmer/innen wurde Migration als „etwas Normales“ in der Geschichte der Menschheit beschrieben.
Am Nachmittag des ersten Konferenztages wurde die Diskussion in vier „thematischen Versammlungen“ fortgesetzt: zu Grundrechten, Bewegungsfreiheit und Rehabilitierung des Asylrechts; zur Sicherheitspolitik und ihren Konsequenzen; zur Entwicklung und Aufteilung des Reichtums und zu Aufnahme- und Integrationspolitik sowie den Rechten von Arbeitsmigrantinnen und -migranten.
In der ersten Versammlung ging es um die Frage: Welche Bewegungsfreiheit wollen wir? Mit Bezug auf Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde die Freiheit, sein Land zu verlassen, als ein Grundrecht bestimmt. Das schließe ein, sich in einem anderen Land niederzulassen. Vor Einführung der Visapflicht war es für Afrikaner/innen üblich, dass ein Familienmitglied für eine bestimmte Zeit nach Europa ging und später durch ein anderes ersetzt wurde. Heute ist das kaum noch möglich. Ein Visum zu beantragen, das meist abgelehnt wird, ist zu einer Geldfrage geworden. Im Gegensatz dazu sehen es Europäer/innen als ihr selbstverständliches Recht an, überall hinzureisen, zu arbeiten, Häuser zu kaufen und die Reichtümer der Länder Afrikas auszubeuten. Gegen diese Ungleichheit forderte die Versammlung, alle Visa für den kurzzeitigen Aufenthalt abzuschaffen. Eine langfristigere Perspektive sahen viele Teilnehmer/innen darin, alle Visa abzuschaffen und einen „globalen Pass“ einzuführen. Alle Grenzen sollten geöffnet werden.
Im zweiten Teil der Diskussion zur Aushöhlung des Asylrechts kritisierten insbesondere kongolesische und ivorische Flüchtlinge in Marokko die dortige UNHCR-Vertretung heftig. Die meisten dieser Flüchtlinge haben zwar wegen der Bürgerkriegssituation in ihren Ländern Papiere vom UNHCR bekommen, die ihnen den Flüchtlingsstatus zuerkennen, jedoch im Gegensatz zu Flüchtlingen und Migrant/inn/en aus Mali, Senegal, Gambia, die massenhaft abgeschoben wurden. Aber zum einen interessieren diese UNHCR-Papiere die marokkanischen Behörden nicht. Sie werden bei Razzien und Kontrollen einfach zerrissen. Die Betroffenen werden festgenommen und mit Abschiebung bedroht. Zum andern erhalten die Flüchtlinge keinerlei materielle Unterstützung. Sie wohnen in überteuerten, heruntergekommenen Häusern oder leben auf der Straße vom Betteln, vom Müll oder von der Prostitution. Sie bekommen keine Arbeit. Bei Krankheit wird ihnen eine Behandlung verweigert. Sie sind mit zunehmendem Rassismus auch aus der Bevölkerung konfrontiert. Die Flüchtlinge beklagten, dass der UNHCR ihnen weder juristische noch physische Sicherheit garantiere. Die Mitarbeiter/innen des UNHCR-Büros seien nicht gewillt, das zu tun.
Am zweiten Tag der Konferenz wurde ein Manifest verabschiedet, in das die Ergebnisse der „thematischen Versammlungen“ einflossen. Gegen Abend versammelten wir uns mit mehr als 100 Teilnehmer/innen zu einer lautstarken, internationalen Kundgebung vor dem marokkanischen Parlament in Rabat.
Auf der Konferenz wurde dazu angeregt, den Aufruf zu einem transnationalen Aktionstag zu Migration, der auf dem Europäischen Sozialforum (ESF) in Athen verabschiedet worden war, zu unterstützen und Aktionen in möglichst vielen europäischen und afrikanischen Ländern zu organisieren. Mehr als 25 Organisationen aus Afrika haben diesen Aufruf unterzeichnet. Außerhalb Europas fanden in vier afrikanischen Ländern Aktionen an diesem Tag statt.
Das Manifest von Rabat bildete die Basis dafür, das Migrationsnetzwerk „manifeste euro-africain“ zu gründen. Seitdem kommunizieren die Mitglieder über eine mailing-list auf Französisch untereinander. Sie treffen sich zu diversen selbst- oder von anderen Initiativen organisierten Konferenzen und Aktionen.
Afrikanische Aktivistinnen und Aktivisten in Heiligendamm
Eine weitere Gelegenheit für gemeinsame euro-afrikanische Debatten und Aktionen ergab sich im Juni 2007 in Deutschland anlässlich der Proteste rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Gruppen organisierten ein Vernetzungstreffen und einen migrationsbezogenen Aktionstag während der G8-Gipfel-Proteste. Dazu luden wir – z.T. mit Hilfe größerer NGOs, die den Alternativgipfel veranstalteten – Aktivist/inn/en aus mehreren Ländern Nord- und Subsahara-Afrikas nach Rostock ein, die wir über das „manifeste“-Netzwerk oder andere Kontakte kannten. Eine Woche lang wohnten, diskutierten und demonstrierten wir gemeinsam mit in Deutschland lebenden Flüchtlingen, Aktivist/inn/en aus Afrika und europäischen Antirassist/inn/en. Dabei lernten wir nicht nur einander, sondern auch die jeweils unterschiedlichen Diskussions-, Organisations- und Aktionsformen kennen. Gemeinsam sammelten wir Erfahrungen mit der deutschen Staatsgewalt. Der zentrale Slogan unserer von der Polizei massiv behinderten Demonstration am 4. Juni 2008 in Rostock lautete „Globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle!“ Er bezieht sich explizit auf die Abschlusserklärung der Rabat-Konferenz.
An der marokkanisch-algerischen Grenze
Zwei Jahre nach den dramatischen Ereignissen an den Grenzzäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla luden marokkanische Organisationen für den 6./7. Oktober 2007 zu Tagen des Gedenkens nach Oujda/Marokko ein. Organisiert wurden eine Konferenz und eine Kundgebung zu den schweren Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen. Beschlossen und vorbereitet hatte diese Zusammenkunft das Nachfolgekomitee der NGO-Konferenz von Rabat gemeinsam mit lokalen und internationalen Organisationen.
Oujda, eine Stadt nahe der Grenze zu Algerien (12 km) und nicht weit von der spanischen Enklave Melilla entfernt, war aus aktuellem Anlass als Tagungsort ausgewählt worden. Der Campus der dortigen Universität ist seit einigen Jahren zu einem Zufluchtsort von zeitweise bis zu 900 Migrant/inn/en geworden, die sich auf dem Weg nach Europa befinden. Mitte 2008 hielten sich dort sogar bis zu 1.500 Menschen auf. Zwischen Weihnachten und Silvester 2006 und noch einmal Ende Juli 2007 wurde der Universitätscampus von marokkanischen Sicherheitskräften brutal geräumt. Mehr als 450 Migrant/inn/en wurden festgenommen und zur – offiziell geschlossenen – algerischen Grenze deportiert. Seitdem finden regelmäßig Razzien und Verhaftungen in marokkanischen Städten und in den Wäldern rund um Ceuta und Melilla statt. Nachdem ihnen alle ihre Wertgegenstände und Geldbeträge abgenommen worden waren, werden die Festgenommenen ins Niemandsland an die Grenze verfrachtet. Von dort werden sie mit Schüssen der algerischen Grenzwächter wieder auf die marokkanische Seite getrieben. Zu Fuß machen sie sich auf den Weg zurück nach Oujda. Dort „wohnen“ sie entweder auf dem Campus oder in sogenannten „tranquilos“. Das sind Verstecke in verlassenen Häusern, unter Felsen oder unter Plastikplanen im Wald, die sie wegen zunehmender Verfolgung ständig wechseln müssen.
Die Organisation ABCDS (Association Beni Zassen pour la culture, le developpement et la solidarité), wurde im Juni 2005 ursprünglich zur Arbeit mit marokkanischen Jugendlichen in den Armenvierteln gegründet. Sie ist neben der lokalen Gruppe der Menschenrechtsorganisation AMDH, dem katholischen Priester Père Joseph Lépine und einer Gruppe der Médecins sans frontières die einzige Organisation in Oujda, bei der Migrant/inn/en Unterstützung finden. Die Arbeit der ABCDS „sur le terrain“, d.h. mit den überwiegend aus Subsahara-Afrika kommenden Migrant/inn/en und ihren „chairmen“, besteht in der praktischen Unterstützung gegen Angriffe der Sicherheitskräfte und teils auch in der Versorgung mit Decken, Kleidung und Essen. Bei der ABCDS wird solche „charité“ auch problematisiert, da sie diese eigentlich nicht leisten können/wollen. Sie wollen vor allem „solidarité“, nämlich politische Unterstützung für die Migrant/inn/en und gegen die mörderische Migrationspolitik der EU und der marokkanischen Regierung als deren Handlanger mobilisieren. Deshalb und zum Schutz ihrer eigenen Arbeit ist der ABCDS die nationale und transnationale Vernetzung enorm wichtig. All diese Aktivitäten stören die Behörden immens. Sie werden akribisch beobachtet. Bisher arbeitet die ABCDS nur ehrenamtlich. Ihr Büro und die Unterstützungsarbeit der Migrant/inn/en werden durch Spenden von Privatleuten und einigen europäischen Gruppen finanziert.
Die Konferenz „Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen“ am 6.10.2007 war die erste international besetzte Konferenz zu Migration in Oujda und deshalb sehr wichtig für die Organisationen vor Ort. Sie fand in Räumen der linken Gewerkschaft UMT im Stadtzentrum statt. Trotz des Fastenmonats Ramadan waren den ganzen Tag 40-50 Teilnehmer/inn/en anwesend. Die drei thematischen Podien wurden teils spontan neu besetzt. Nach jeder Podiumsrunde fand eine Diskussion im Saal statt. Die behandelten Themen waren:
- das Leben an den Grenzen, dargestellt von Migrant/inn/en und Solidaritätsgruppen in Marokko
- die europäische Migrationspolitik zwischen Abschottung und Externalisierung
- Migrationen, (Menschen-)Rechte und Globalisierung.
In der Diskussion wurde herausgestellt, dass es ähnliche Tendenzen der Ausgrenzung und Prekarisierung in vielen Ländern gebe. Deshalb sei es nötig, gemeinsame Interessen zu erkennen und zusammen gegen Abschiebungen und Diskriminierungen zu agieren. Nötig sei sowohl das Recht, bei sich zuhause in Würde zu leben, als auch das Recht auf Bewegungsfreiheit für alle Menschen!
Eine abendliche Kundgebung am Campus der Universität ist von ABCDS und AMDH bei den Behörden angemeldet worden. Mit dem Bus fuhren wir mit ca. 50 Leuten aus dem Stadtzentrum zum Campus, dessen Tor verschlossen war. Viele Bewohner/innen des angrenzenden Stadtviertels und ca. 20-30 Migrant/inn/en kamen dazu. Wahrscheinlich waren genau so viele Zivilpolizisten vor Ort, die aber bis zum Ende unserer Aktion nicht eingriffen. Es gab eine Kundgebung mit einem großen Transparent, das mit unseren zentralen Forderungen nach Bewegungsfreiheit und Menschenrechten für alle beschriftet war. Wir entzündeten Kerzen und legten Blumen zum Gedenken der Opfer des Grenzregimes nieder. Dann wurde eine am Vorabend von allen Organisationen gemeinsam verfasste Erklärung verlesen. Zum Abschluss folgte die Rede eines Migranten. Er prangerte die Europäische Union an, die er für die miserable Lage der Flüchtlinge und Migrant/inn/en in Marokko verantwortlich machte. Die Bevölkerung Marokkos sei nicht gegen die Migrant/inn/en, aber der marokkanische Staat werde von der EU dafür bezahlt, sie zu bekämpfen. Im Büro der ABCDS gab es dann ein gemeinsames Essen. Die Gespräche dauerten bis weit nach Mitternacht. Am nächsten Tag fand ein Vernetzungstreffen aller beteiligten Gruppen statt, um einander kennen zu lernen und weitere Aktivitäten zu planen.
„Afrika-Europa-Alternativen“ in Lissabon
Gegen den offiziellen EU-Afrika-Regierungsgipfel Anfang Dezember 2007 in Lissabon, auf dem vor allem die „Economic Partnership Agreements“ („Ökonomische Partnerschaftsabkommen“, Abk.: EPA) zwischen der EU und afrikanischen Ländern verhandelt werden sollten, wurde von verschiedenen Gruppen eine Konferenz und eine Demonstration organisiert. Auf der Gegenkonferenz wurden die Zusammenhänge zwischen der den afrikanischen Ländern aufgezwungenen Handelsliberalisierung und der Migrationsentwicklung diskutiert. Die Aus- und Vorverlagerung des Grenzregimes, die Abschiebungen und Programme zur „temporären Migration“ wurden kritisiert. An dieser Konferenz konnten nicht viele Aktivist/inn/en aus Afrika teilnehmen. Ihnen wurden die Visa verweigert. Aber es waren viele in Portugal lebende afrikanische Migrant/inn/en vertreten, die über ihre prekäre Situation berichteten. Auf der Regierungskonferenz brachten zumindest einige der afrikanischen Vertreter verbal ihren Widerstand gegen die EPA zum Ausdruck, insbesondere der senegalesische Präsident Wade.
Sozialforum in Bouznika/Marokko
Das Weltsozialforum im Januar 2007 in Nairobi hatte den 26. Januar 2008 als weltweiten dezentralen Aktionstag beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt sollte ein Maghrebinisches Sozialforum in Mauretanien stattfinden. Die mauretanische Regierung genehmigte jedoch das Sozialforum nicht. Im Organisationskomitee bestanden unterschiedliche Meinungen, wie weiter vorgegangen werden sollte. Letztlich wurde sehr kurzfristig entschieden, das Sozialforum in Marokko stattfinden zu lassen, es aber nicht auf die Maghreb-Staaten zu beschränken, sondern auch Aktivist/inn/en aus anderen afrikanischen und europäischen Ländern einzuladen.
Überraschend kamen statt der erwarteten 700 über 1.400 Teilnehmer/innen in das Jugend-Ferienzentrum in Bouznika, das an der Atlantikküste zwischen Rabat und Casablanca liegt. Unter den Teilnehmer/innen befanden sich sehr viele junge Leute aus Marokko, aber auch Subsahara-Migrant/inn/en, die in Marokko leben. Über 100 Aktivist/innen aus anderen Maghreb-Ländern, Subsahara-Afrika und Europa nahmen teil. Letztere sind vor allem der Einladung des manifeste euro-africain gefolgt. Das Thema Migration wurde aufgrund des Engagements dieses transnationalen Netzwerks und des großen Interesses unter den marokkanischen Jugendlichen zu einem Schwerpunkt des Forums.
Am Eröffnungsabend wurde bekannt, dass in mehreren Stadtteilen Rabats wieder Razzien gegen Migrant/inn/en stattgefunden hatten. Als Reaktion bildeten am späten Abend mehrere hundert Jugendliche, Migrant/inn/en und Mitglieder des euro-afrikanischen Netzwerks einen Protestkreis auf dem zentralen Platz des Ferienzentrums. Parolen zur Solidarisierung mit den Festgenommenen, für die Legalisierung der sans papiers, für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle, gegen die Kollaboration der arabischen Regierungen mit der EU und die Missachtung der Rechte der armen Bevölkerung im Maghreb wurden skandiert. Kurze Redebeiträge von Teilnehmer/innen aus verschiedenen Ländern wurden gehalten. Die jungen Marokkaner/innen solidarisierten sich offen mit den Subsahara-Migrant/inn/en. Sie zeigten das nicht nur durch die Protestaktionen und Vorschläge für politische Erklärungen, sondern auch dadurch, dass sie die Migrant/inn/en am späten Abend zum Mittanzen bei arabischer Discomusik einluden.
Zum Workshop zur Migrationspolitik am nächsten Tag kamen ca. 300 Teilnehmer/innen. Kritisiert wurden die Politik der Razzien und Abschiebungen in Marokko und der EU sowie die Rückübernahmeverträge und die allgemeine Kollaboration der Regierungen der Transit- und Herkunftsstaaten mit der EU. Thematisiert wurde die „Kleenex“-Migration. Ein Begriff dafür, dass die Migrant/inn/en wie ein Papiertaschentuch benutzt und anschließend „weggeworfen“, also zurück geschickt werden. Exemplarisch wurde das an marokkanischen Frauen aufgezeigt, die für die Erdbeerernte in Spanien und Frankreich angeworben werden und kleine Kinder haben müssen, damit sie wieder zurück gehen. Ein anderes Beispiel bildeten die Abschiebehaftanstalten und Lager in Deutschland. Amadou M’Bow, ein zu den G8-Protesten nach Rostock eingeladener Aktivist aus Mauretanien, war schockiert vom Besuch des Lagers Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Es wurde dazu aufgerufen, Mauern zu durchbrechen und zu überwinden, wie es die Palästinenser/innen in Gaza vorgemacht hätten. Gruppen im Norden und im Süden sollten gemeinsam den Krieg bekämpfen, der gegen die Migrant/inn/en geführt werde.
Am letzten Tag fand vormittags – parallel zu Versammlungen der Jugendlichen, Frauen, Gewerkschafter/innen und anderer Gruppen – eine „Assemblée des migrants“ statt. Sie wurde von Migrant/inn/en, vor allem aus Subsahara-Afrika, vorbereitet und moderiert. Jede der ca. 30 anwesenden Migrant/inn/en- und Unterstützer/innen-Organisationen sollte sich und ihre Arbeit kurz vorstellen. Vorschläge für das weitere gemeinsame Handeln wurden gesammelt. Die wesentlichen Inhalte, für die in der Versammlung ein Konsens gefunden werden konnte, wurden von der Vorbereitungsgruppe in einer Erklärung veröffentlicht. Gruppen aus Europa schlugen afrikanischen Initiativen vor, sich an einer transnationalen Aktionskette zu beteiligen.
Die Transnationale Aktionskette zu Migration
Indem sie an die Aktionstage für globale Bewegungsfreiheit und Bleiberecht anknüpften, hatten Mitglieder des europäischen „frassanito“-Netzwerks einen Aufruf für eine transnationale Aktionskette (von Februar bis Oktober 2008) gegen das Grenzregime, gegen Abschiebehaft und Abschiebungen, gegen die Ausbeutung migrantischer Arbeit und für die Legalisierung aller Migrant/inn/en verfasst. Diese Aktionskette sollte als Schritt dienen, verschiedene Kämpfe zu vernetzen, und als Versuch, grenzüberschreitende Kommunikation und Organisierung in Gang zu bringen.
Konferenzen und Aktionen fanden statt in Amsterdam, Sevilla, Turin, Athen, London, Hamburg und Malmö. Auch eine Veranstaltung in Bamako/Mali war Teil der transnationalen Aktionskette. Dort organisierte die AME (Vereinigung abgeschobener Migrantinnen und Migranten aus Mali), Mitglied des manifeste euro-africain, am 15./16. März 2008 eine Konferenz. Abgeschobene berichteten von ihren Erfahrungen, Theaterstücke wurden aufgeführt und gegen das bis nach Mali ausgelagerte EU-Grenzregime protestiert. Aktivist/inn/en aus Europa nahmen an der Konferenz teil. Umgekehrt wurde ein Menschenrechtler aus Mauretanien zu einer Aktion Anfang Juni vor dem Hauptquartier der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau eingeladen
Auf dem Europäischen Sozialforum im September 2008 in Malmö wurde die Aktionskette ausgewertet. Ein Vertreter der AME berichtete über die bevorstehende Eröffnung des CIGEM, eines von der EU finanzierten Zentrums zur Migrationskontrolle in Bamako, und den Widerstand in Mali gegen Rückübernahmeabkommen mit europäischen Regierungen. Die Aktionstage Anfang Oktober rund um Ceuta und Melilla bildeten das letzte Glied der Aktionskette. Sie waren gleichzeitig Teil der afrikanischen Mobilisierungen gegen den 2. EU-Afrika-Regierungsgipfel in Paris. Dieser wurde kurzfristig vom 20./21. Oktober .auf den 25. November 2008 verschoben.
Aktionen zum EU-Afrika-Gipfel „Migration und Entwicklung“ in Paris
Am 15./16. Oktober 2008 verabschiedete ein Regierungsgipfel der EU in Brüssel einen „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“. Auf einer zweiten interministeriellen euro-afrikanischen Konferenz zu „Migration und Entwicklung“ Ende November in Paris soll dieser Pakt den afrikanischen „Partnern“ aufgedrückt werden. Er enthält Vorschläge zur „immigration choisie“ entsprechend dem Arbeitskräftebedarf der europäischen Länder, Maßnahmen zur verschärften Grenzkontrolle, zum Ausbau von Frontex, neuen Überwachungstechnologien und zu Rückübernahmeabkommen mit Transit- und Herkunftsländern.
Gegen diese Regierungskonferenzen, den „Pakt“ sowie die bereits vom EU-Parlament verabschiedete Abschieberichtlinie organisierten europäische NGOs, Netzwerke wie das französische RESF (Bildung ohne Grenzen) und Organisationen von Migrantinnen und Migranten aus Europa zusammen mit dem „manifeste euro-africain“ einen Gegengipfel mit einer Konferenz am 17. Oktober in Montreuil. Für den Tag darauf wurde eine Demonstration und ein Konzert mitten in Paris geplant. An der Konferenz nahmen 700 – 900 Menschen teil: Zur Demonstration kamen 3.000 – 4.000 Menschen. Die Mehrheit bildeten afrikanische sans papiers aus Frankreich.
Um den Protesten in Afrika Ausdruck zu verleihen, auch wenn mangels Visa und Geld nur wenige Afrikaner/innen nach Paris kommen konnten, wurde vom euro-afrikanischen Migrations-Netzwerk im Vorfeld eine Karawane mit Veranstaltungen, Pressekonferenzen und Aktionen in mehreren afrikanischen Ländern organisiert. Der Auftakt der Karawane fand in der DR Kongo am 4. September statt. Am 8. September ging es weiter in Mali, am 10. September in Mauretanien, am 3. Oktober in Kamerun, am 6./7. Oktober in Benin und vom 8.-12. Oktober fanden die schon erwähnten Aktionen in Marokko statt.
Perspektiven
Gegen Ende 2008 fand das Afrikanische Sozialforum in Niamey/Niger statt, dessen Auftaktdemonstration am 25.11.2008 zufällig auf den gleichen Tag fiel wie der Beginn des EU-Afrika-Regierungsgipfels in Paris. Grund für verschiedene Initiativen erneute Demonstrationen und Zusammenkünfte zu initiieren. Auch 2009 könnten wieder diverse Herrschaftsgipfel Anlass zu Protest und Demonstrationen bieten.
Dieses Verhalten markiert auch ein Dilemma der transnationalen Vernetzung. Es kann nicht vorrangig darum gehen, Regierungsgipfeln hinterherzuhecheln und von einer Konferenz und Demonstration zur nächsten zu jetten. Abgesehen davon, dass sich das kaum jemand leisten kann, werden Aktivist/innen aus Afrika sowie Flüchtlingen in Europa die Visa dafür zumeist verweigert. Wichtiger ist, die entstandenen Kontakte zu nutzen, um Kämpfe vor Ort, Auseinandersetzungen im Alltag und lokale/regionale Aktionen aufeinander zu beziehen, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu stärken. Dafür ist das Internet ein wichtiges Mittel. Informationsaustausch stellt heutzutage kein großes Problem mehr dar, eher die ungeheuere Informationsflut.
Trotz aller technischen Möglichkeiten, die es heute zur Kommunikation gibt – auch in den meisten Regionen Afrikas – ist es doch etwas anderes, Menschen und ihre Lebensbedingungen, Kämpfe und Konflikte (genau wie hier auch untereinander) in anderen Ländern selbst kennen zu lernen. Dafür ist es unabdingbar, die Sprache der anderen zumindest rudimentär zu beherrschen. Hier besteht ein Manko des euro-afrikanischen Netzwerks: Die Tatsache, dass fast die gesamte Kommunikation auf Französisch läuft, schließt nicht nur Europäer/innen aus, die diese Sprache nicht gelernt haben, sondern auch alle Afrikaner/innen, in deren Ländern andere Kolonialsprachen (Englisch oder Portugiesisch) gesprochen werden – ganz zu schweigen von denen, die auf keiner Schule in einer europäischen Sprache unterrichtet wurden. Die auf vielen Konferenzen, zuletzt auf dem ESF in Malmö, unterbewerteten Probleme sprachlicher Kommunikation, was gute Dolmetscher/innen erfordert, sind vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Vernetzung mit Aktivist/innen aus osteuropäischen und asiatischen Ländern bislang wenig entwickelt werden konnte.
Ein Versuch, Sprach- und andere Grenzen zu überwinden, ist der mehrsprachige transnationale newsletter „crossing borders“ , an dessen Produktion und Übersetzung sich inzwischen Gruppen von mehreren Kontinenten beteiligen. Mit stabilen Kontakten, gemeinsamen Aktionen, Einladungen und Besuchen könnten die bestehenden Netze, die von unten zwischen Afrika und Europa geknüpft wurden, Bewegungen in verschiedenen Regionen unterstützen, stärken und auf eine neue, transnationale Ebene bringen. Mit dem euro-afrikanischen Migrationsnetzwerk gelang es, Verbindungen zu anderen „Themen“, wie z.B. globaler Landwirtschaft oder Verschuldung, und dazu arbeitenden Organisationen herzustellen. Die Forderungen nach Bewegungsfreiheit und gleichen sozialen und politischen Rechten für alle wurden damit in eine breitere Öffentlichkeit gebracht.
Nachtrag 2009:
Im Mai 2009 veröffentlichte das auf dem Pariser Gegengipfel gegründete Netzwerk “Brücken statt Mauern” einen Aufruf mit Forderungen zur Europa-Wahl, der zwar von vielen Organisationen unterzeichnet wurde, aber keine große Öffentlichkeit fand.
In Marokko organisierten im Juni/Juli 2009 an die 200 Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika ein “Sit-in” vor dem UNHCR-Büro in Rabat und forderten ihre Übersiedlung (“Resettlement”) in andere Länder, da ihre Rechte in Marokko nicht respektiert werden. Statt mit ihnen ernsthaft zu verhandeln, rief der UNHCR-Vertreter die Polizei, und die Flüchtlinge wurden zusammengeprügelt und fünf von ihnen einen Monat lang inhaftiert, vor Gericht gestellt und nur durch den Druck von politischen UnterstützerInnen freigelassen. In Europa fand diese Aktion nur wenig Resonanz. (Näheres dazu auf http://no-racism.net/thema/115/)
Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bezüglich Flüchtlinge verlagerte sich 2009 nach Griechenland, dem neuen “Einfallstor” in die EU. Um aus den Erfahrungen in anderen Grenzregionen zu lernen, uns auszutauscnen und gemeinsam zu agieren, wurden afrikanische Aktivisten (aus Marokko, Mali und Mauretanien) im August 2009 zum noborder camp auf der griechischen Insel Lesbos eingeladen. Dem Vertreter aus Marokko, einem Guineer, wurde trotz seiner Aufenthaltserlaubnis in Marokko das Visum für Griechenland verweigert.
Das manifeste-Netzwerk geriet aufgrund von internen Konflikten und der immer prekärer werdenden Situation der Flüchtlinge und MigrantInnen in den Transitländern in eine Krise. Mit Veranstaltungen und gemeinsamen Aktionen mit AktivistInnen aus Afrika haben verschiedene Gruppen aber versucht, die Kontakte aufrecht zu erhalten und einen Diskussionsprozess fortzuführen darüber, wie ein gemeinsames transnationales Agieren aussehen könnte. Die Besuche von Vertretern der AME (Assoziation der Abgeschobenen aus Mali) haben dabei eine wichtige Rolle gespielt und letztlich zur Gründung eines afrikanisch-europäischen Netzwerks auch in Deutschland angeregt.
Quelle: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.) – Jahrbuch 2009