Spanien: El Ejido, 10 Jahre danach (Teil I)
Von Nicholas Bell (EBF, Frankreich)
Im Februar haben das Sozialforum von Almeria und das SOC eine Reihe von Veranstaltungen organisiert um des 10-jährigen “Geburtstages” der Ausschreitungen zu gedenken, die vor 10 Jahren ausgebrochen waren. Die Debatten versuchten der Frage der Herkunft und der Gründe für diese Gewaltausbrüche nachzugehen und aufzuzeichnen was sich, bzw. wie wenig sich seither verändert hat. Das EBF hat daran teilgenommen. Dieser Artikel basiert vor allem auf den Zeugenaussagen von Hafid Arrachidi, der 1987 in Eljido angekommen war und von Cherif, einem jungen Senegalesen, der das Elend und die enorme Ausbeutung beschreibt, die im Plastikmeer von Almeria vorherrscht.
Einmal mehr befinde ich mich nach einem Aufenthalt in diesem «univers concentrationnaire» [1] von Treibhäusern, Armut, Ausbeutung und Rassismus vor dem Computerbildschirm. Nach wie vor reden die fanatischen Anhänger von Plastik, Pestiziden und geschmacklosem Gemüse von einem ökonomischen Wunder. Einmal mehr dieses Gemisch von Gefühlen, die Abscheu angesichts der Arroganz und der tagtäglichen Engstirnigkeit der Mehrheit der Gemüsetunnelbesitzer, der allgemeinen Gleichgültigkeit des lokalen Umfelds, einer eintönigen, völlig künstlichen Umwelt ohne Schönheit. Aber auch in tiefer Verbundenheit mit einer kleinen Gruppe von Beharrlichen vom SOC [2] und befreundeten Vereinen [3], die weiterhin versuchen das Los von Tausenden von ausländischen Arbeitern zu verbessern.
Für das Europäische Bürgerforum beteiligten wir uns (Lourdes und ich) an den vom Sozialforum von Almeria organisierten Veranstaltungen, in Erinnerung an die gewalttätigen Ausschreitungen vor zehn Jahren in El Ejido im Februar 2000. Vier Diskussionen fanden statt, zuerst im Lokal des SOC in El Ejido, danach an der Universtät von Almeria und schließlich im Saal «Juan Goyti-solo» [4] in der Nähe des Hafens der Stadt.
In den Debatten wurde versucht, die Geschichte nachzuzeichnen, die Gründe und Konsequenzen dieser Gewaltexplosion zu verstehen und eine Bilanz über die Entwicklung seither zu erstellen: In den letzten zehn Jahren hat sich leider nur wenig geändert. Für Hafid Arrachidi [5] sind zwei Ereignisse anfangs der 1990er Jahre wesentlich, um die weitere Entwicklung zu verstehen:
«1990 kamen zahlreiche Immigranten in die Gegend, und 1991 fand eine Regularisierung statt, die vielen Leuten ermöglichte, ihre Rechte einzufordern. Vorher besaßen nur sehr wenige eine Aufenthaltsbewilligung. Die meisten hatten keine Papiere und konnten keine Ansprüche auf Rechte geltend machen. Erst nach der Regularisierung von 1991 begannen wir uns zu organisieren. Wir wollten unsere Rechte einfordern und unsere Situation verbessern. Wir fanden nämlich hier die gleiche Situation vor, die wir in Marokko hinter uns gelassen hatten: einen Lohn, mit dem man nicht würdig leben konnte, miserable Wohnverhältnisse, Arbeitsrechte, die nicht respektiert wurden… In der marokkanischen Gemeinschaft befanden sich Leute, die wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements oder weil sie in Studentenorganisationen aktiv waren, in Marokko im Gefängnis gesessen hatten. Es waren nur wenige, aber es gab sie. Dies machte es möglich zuerst kleine Gruppen zu formen, um die Organisation des Kollektivs zu verstärken. Ab 1992 kämpften wir mit Aktionen für unsere Rechte.»
Hafid erzählte uns von zahlreichen Besetzungen, Demonstrationen und anderen Aktionen, die das selbst organisierte Kollektiv in den 1990er Jahren durchführte. Ein weiteres wichtiges Ereignis:
«Die Rechte mit der Parti Popular (PP) übernimmt 1992 die Macht in der Stadt El Ejido, angeführt vom Bürgermeister, Juan Enciso. Diese Partei vereint in sich verschiedene politische Strömungen. Juan Enciso gehört zu den traditionellen, frankistischen und faschistischen Rechtsextremen, die vom PP absorbiert wurden. Dies war der Anfang einer feindseligen Politik gegenüber den Marokkanern. Zuerst wurden sie aus bestimmten Wohnquartieren vertrieben, unter dem Vorwand mangelnder Hygiene. Das marokkanische Kollektiv wehrte sich gegen diese fadenscheinig begründeten Zwangsversetzungen. Die politische Konfrontation zwischen dem Kollektiv und der Stadtverwaltung von Juan Enciso, der heute wegen Veruntreuung von Geld im Gefängnis sitzt, fand hier ihren Anfang. Wir hätten es vorgezogen, dass er aus anderen Gründen ins Gefängnis gesteckt würde, zum Beispiel für Apologie des Rassismus, für seine verheerende Politik, für seine Verantwortung am Aufruhr im Jahre 2000. Aber leider ist dies nicht der Fall, ähnlich wie bei Al Capone, der nicht für seine Gewalttaten eingekerkert wurde, sondern aus steuerlichen Gründen.»
Die Politik von Juan Enciso – selbst Besitzer von Gemüsetunnels – besteht darin, die Marokkaner aus dem sozialen Stadtleben völlig auszugrenzen. «Er sagte, früh um sechs habe es zu wenig Arbeiter, um alle Bedürfnisse der Arbeitgeber zufriedenzustellen; um sieben Uhr abends hingegen seien sie zu zahlreich; es wäre besser, sie würden verschwinden.»
Februar 2000
Die Krawalle vom Februar 2000 sind der Höhepunkt der antimarokkanischen Kampagne der Stadtregierung, der Triumph der Kreise um Juan Enciso.
«Immer litten wir unter den Aggressionen seitens der Bevölkerung. Wir wussten, dass die Bürgermeisterei die einheimische Bevölkerung für rassistische Ausschreitungen vorbereitete. Das Lokalfernsehen war auch mit dabei. Wir spürten, dass da irgendetwas im Anzug war. Niemals hätten wir jedoch gedacht, dass es solche Dimensionen annehmen würde. Die Stimmung war seltsam. Unaufhörlich wurde in den lokalen Fernsehstationen zu Gewalttaten aufgewiegelt, sie manipulierten die öffentliche Meinung. Ich hatte ein ungemein schlechtes Gefühl. Wir erwarteten gespannt, was sich da zusammenbraute. Plötzlich sah ich eine Masse von Männern, Frauen und Mädchen zu unserem Haus strömen. Im Parterre unseres Hauses befand sich meine Metzgerei, die Anschriften waren in spanisch und arabisch. Zuerst zertrümmerten sie zwei Türen und warfen Steine. Drinnen zerstörten sie alles. Sie schmissen das Fleisch auf die Strasse. Vieles wurde auch gestohlen, von den Leuten mitgenommen. Die Polizei auf der anderen Straßenseite schaute untätig zu. Während drei Tagen waren wir von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Die Menschenjagd war schrecklich. Das Ganze war gut organisiert. Die Einwohner versammelten sich mehrere Male, um sich die Aufgaben aufzuteilen. Sie griffen in der ganzen Gegend um El Ejido Häuser, Geschäfte und Höfe an, wo Marokkaner wohnten. Sie sperrten sogar die Zugangsstraßen und die Autobahn ab, die nach El Ejido führen, um fremden Journalisten den Zugang zu verwehren.»
Die Immigranten organisieren sich
Drei Tage lang brutale, systematische, gut organisierte und geplante Gewalt, vor allem gegen die Marokkaner, die am besten integriert waren; einige waren mit spanischen Frauen verheiratet. In der Folge organisierten die Immigranten einen Generalstreik, der fast eine Woche dauerte. «Dies war erfolgreich, wir lähmten die Produktion. Es gab Millionenverluste. Wir zwangen die Unternehmer und die Behörden ein Abkommen zu unterzeichnen. Zum ersten Mal waren es nicht die großen Gewerkschaften, die mit den Arbeitgebern verhandelten. Die Protagonisten waren die selbst organisierten Immigranten, die Gewerkschaften waren abwesend, wir waren an vorderster Front.»
Dieses Abkommen vom 12. Februar 2000 beinhaltete mehrere wichtige Punkte zugunsten der Landarbeiter, die aber nie eingehalten wurden: Die Opfer wurden nicht entschädigt, im besten Falle teilweise, der Großteil der Anfragen zur Legalisierung ihrer Situation wurde abgelehnt, Marokkaner, die ihre Wohnung verloren, überließ man ihrem Schicksal und es wurde auch keine längerfristige Wohnungspolitik eingeleitet. Es gab auch keine Untersuchung, um die Verantwortlichen des Krawalls zu identifizieren und zu verurteilen… «Die Unternehmer und die Behörden wollten nur eins: den Streik beenden. Sie versprachen das Blaue vom Himmel und hielten danach nichts ein.
Ein Ziel der Behörden war auch, die Kontinuität des Kampfes der marokkanischen Arbeiter zu brechen und Immigranten aus anderen Ländern auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Aber auch nach zehn Jahren schafften sie es nicht, die Arbeitskräfte zu erneuern. Auch heute ist die Mehrheit der Landarbeiter Marokkaner. Es sind aber nicht jene aus dem Jahr 2000. Marokkaner wurden durch andere Marokkanern ersetzt.»
Quelle: Archipelausgabe 180 (03/2010)