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Prügel für Abschiebebeamte

Guinea und die euro-afrikanische Kollaboration in der Migrationspolitik

Von Conni Gunsser

Mitte August wurden sechs französische Polizisten in Guineas Hauptstadt Conakry verprügelt, als sie zwei aus Frankreich deportierte Guineer am Flughafen ablieferten. “Wir erhielten eine Menge Schläge von den beiden Abgeschobenen, einigen Passagieren sowie von zwei Polizisten”, hieß es in einem französischen Polizeibericht über den Vorfall. Dem Bericht zufolge hatten Passagiere, die über Misshandlungen der Abgeschobenen empört waren, per Handy ein „Empfangskomitee“ am Flughafen Conakry organisiert. Hinterher seien die Franzosen auf einer Polizeiwache beschimpft worden, und beim Sicherheitscheck zum Rückflug habe eine Beamtin ihnen gesagt: “Ihr Barbaren. Die Kolonialzeit ist vorbei.”

Dieser Vorfall löste heftige Kontroversen auf Regierungsebene aus. Am 23.8. hieß es auf guineenews.org, die guineische Regierung habe sich nicht entschuldigt, sondern nur ihr Bedauern ausgedrückt. Sie habe sich aber auch beklagt, dass Frankreich als einziges Land Abschiebungen nach Guinea durchführe, ohne die dortige Regierung im Voraus darüber zu informieren. Am 25.8. hieß es auf africatime.com, die guineischen Behörden würden dementieren, dass einige ihrer Polizisten an den Handgreiflichkeiten auf dem Flughafen von Conakry beteiligt waren und hätten eine Untersuchung dazu eingeleitet. Guinea wolle auch Aufklärung über die Bedingungen während des Fluges, da die abgeschobenen Guineer Spuren von Gewaltanwendung aufwiesen.

Am 28.8. traf sich Brice Hortefeux, französischer Minister für „Einwanderung, nationale Identität und Entwicklung“, mit dem guineischen Premierminister Lansana Kouyaté. Neben der Erörterung von entwicklungspolitischen Fragen habe Hortefeux von Kouyaté eine Erklärung zu der „Misshandlung“ der sechs französischen Polizisten am Flughafen Conakry gefordert. Kouyaté habe versichert, dass die guineischen Polizisten sich keinesfalls gegen ihre französischen Kollegen gewandt, sondern im Gegenteil diese in Sicherheit gebracht hätten, nachdem schockierte Passagiere den Abgeschobenen geholfen hatten, sich gegen sechs Polizisten zu wehren, die sie ohne Information der guineischen Regierung, also „heimlich“, um vier Uhr morgens auf dem Flughafen abgeliefert hatten. Hortefeux nahm diese Erklärungen positiv auf und bedauerte seinerseits, dass Guinea nicht ordnungsgemäß informiert wurde. Künftig sollten die Rückführungen besser koordiniert werden. Kouyaté habe angekündigt, dass der guineische Außenminister demnächst zur Unterzeichnung eines entsprechenden Abkommens nach Frankreich reisen werde.

Diesen Ereignissen vorangegangen waren Auseinandersetzungen über einen seit dem 15.6.07 andauernden Hungerstreik von ca. 60 Papierlosen in Lille sowie ähnliche Aktionen in Rennes und Toulouse. Auch die beiden Abgeschobenen gehörten zu diesen Sans Papiers. Am 13.8.07 hatte der französische Einwanderungsminister den zuständigen Konsul der guineischen Botschaft zu einem Gespräch einbestellt und ihn aufgefordert, mit Hilfe eines nach Lille geschickten Dorfältesten die guineischen Sans Papiers zur Beendigung ihres Hungerstreiks zu bewegen. Diese seien die Rädelsführer von Aktionen gegen die Regierung Sarkozy, und wenn dies nicht beendet werde, gebe es für GuineerInnen keine Visa und keine Legalisierungen mehr. Am 30.8. schließlich wurde der Abbruch des Hungerstreiks in Lille gemeldet.

Die aktuellen Auseinandersetzungen müssen im Zusammenhang mit der Geschichte Guineas und den politischen Entwicklungen seit Jahresbeginn gesehen werden. Guinea wurde 1958 als erstes westafrikanisches Land von Frankreich unabhängig und wandte sich unter Präsident Sekou Touré scharf von der ehemaligen Kolonialmacht ab und dem „sozialistischen Lager“ zu.
Nach Sekou Tourés Tod 1984 gelangte Lansana Conté durch einen Militärputsch an die Macht und ließ sich in fragwürdigen Wahlen als Präsident bestätigen. Unter seiner Herrschaft öffnete sich Guinea dem Westen und entwickelte sich trotz seines Rohstoffreichtums (u.a. Bauxit) zu einem der ärmsten und korruptesten Länder der Welt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung fand ihren Ausdruck zum einen in zunehmender Auswanderung, zum andern in einer traditionell starken und inzwischen auch politisch oppositionellen Gewerkschaftsbewegung.

Am 10. Januar 2007 wurde ein Generalstreik ausgerufen, der im ganzen Land zu einer Bewegung anwuchs, der es nicht nur um ökonomische Forderungen (z.B. Preissenkungen für Grundnahrungsmittel), sondern auch um den Rücktritt des Präsidenten und Bildung einer neuen Regierung ging. Präsident Conté antwortete am 9. Februar mit der Verhängung des Kriegsrechts, worauf bei Demonstrationen und willkürlichen Hausdurchsuchungen ca. 150 Menschen getötet und Tausende verletzt wurden. Durch Vermittlung der ECOWAS (1) wurde Ende Februar Lansana Kouyaté als neuer Premierminister ernannt. Dieser versprach eine Neubesetzung der Funktionärskader, Preissenkungen und eine Verbesserung der Wasser- und Stromversorgung. Vor allem gestützt auf Teile des Militärs blieb jedoch Präsident Lansana Conté weiter im Amt. Weltbank, EU-Kommission und andere Geldgeber sagten 90 Milllionen Dollar zu für Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und Armutsbekämpfung zu, und der IWF sprach von sichtbaren Fortschritten seit Kouyatés Regierungsübernahme. Die außerparlamentarische Opposition zog jedoch Anfang Juli eine vernichtende Bilanz der neuen Regierung, Zusagen seien nicht erfüllt worden. Die Gewerkschaften schließen für den Herbst weitere Streiks nicht aus. Dabei geht es auch um Korruption und die Besetzung von Posten in der Verwaltung.

Ein Beispiel für Korruption und Kollaboration guineischer Staatsbediensteter mit europäischen Abschiebebehörden sind die Besuche dubioser Delegationen aus Guinea, die seit 2005 mehrfach in Deutschland (Hamburg, Dortmund, Braunschweig), der Schweiz, Frankreich, auf den Kanarischen Inseln und wahrscheinlich auch in weiteren EU-Ländern stattfanden und meist von Protesten begleitet waren. Zweck der Reisen von jeweils vier hohen BeamtInnen des guineischen Innen- und Außenministeriums: „Identifizierung“ afrikanischer Flüchtlinge als guineische Staatsangehörige und Ausstellung von Papieren für die Abschiebung. Eigentlich ist dies Aufgabe der Botschaft, aber da die diplomatischen Vertretungen Guineas nicht genug „Kooperationsbereitschaft“ zeigten, sprich: nicht jedem afrikanischen Flüchtling, den europäische Behörden zum Guineer erklärten, entsprechende Papiere ausstellten, wurden mit erheblichen Geldbeträgen (2) willige Staatsbedienstete aus Guinea eingeflogen und Hunderte von AfrikanerInnen zu „Interviews“ in die Ausländerbehörden vorgeladen. Beim dritten Besuch der Delegation in Deutschland stellte sich heraus, dass ihr Leiter, Herr N’Faly Keita, leitender Beamter der Visaabteilung im guineischen Außenministerium, sich auch als so genannter „Schleuser“ betätigt und ausreisewilligen GuineerInnen für horrende Beträge Visa und Flugtickets nach Europa besorgt hatte. Nach Zeugenaussagen betroffener Flüchtlinge ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund seit gut einem Jahr in dieser Angelegenheit.

Neuer Delegationsleiter ist inzwischen Ousmane Diao Balde, Keitas (ehemaliger) Vorgesetzter. Er soll auch mit dem Bundesinnenministerium über ein Rückübernahmeabkommen verhandeln, tauchte allerdings entgegen den Ankündigungen nicht in Deutschland auf. Aufgrund von Protesten von Betroffenen und und einer Oppositionspartei erklärte das guineische Außenministerium in einem Communiqué vom 1.8.07 (einen Tag vor der Beendigung der Anhörungen in Braunschweig) den Stopp jeder Mission zur Identifizierung und Abschiebung. Vorher müsse ein Abkommen abgeschlossen werden, das die Sorgen Guineas berücksichtige. Ob das nun heißt, dass die bereits ausgestellten Abschiebepapiere keine Gültigkeit haben, ist fraglich.

In der Schweiz war die dubiose Guinea-Delegation im November 2006 aktiv. Außerdem sollen die für die Schweiz zuständigen Mitarbeiter der guineischen Botschaft in Paris mit Hilfe von Herrn Keita einigen Schweizer Kantonen Blankopapiere zur Abschiebung guineischer Flüchtlinge verkauft haben. Als Folge dieser Dienstleistungen verlässt monatlich ein Abschiebecharter mit fünf bis sieben angeblichen GuineerInnen die Schweiz Richtung Conakry. Die Zahl der aus der Schweiz abgeschobenen GuineerInnen hat sich gegenüber 2004 auf 53 vervierfacht, zehnmal so viele sind untergetaucht. Inzwischen wurde auch von den Kanarischen Inseln von Besuchen einer Delegation aus Guinea berichtet.

Auch in Afrika selbst hat die guineische Regierung ihre Dienste als Abschiebehelfer angeboten: So gab es Anfang Februar 2007 Streit um die Aufnahme von ca. 400 Flüchtlingen von einem auf dem Weg zu den Kanaren in Seenot geratenen Frachter namens „Marine I“. Nach etlichem Hin und Her wurde er nach Mauretanien geschleppt – unter der Bedingung, dass die Flüchtlinge von dort mit spanischer Finanzhilfe sofort abgeschoben werden. Nach der Weigerung anderer Länder akzeptierte der guineische Präsident die afrikanischen Flüchtlinge und steckte sie in Guinea in ein Lager. Auch Ende März ließ Conté ein von Frontex-Booten (3) gestopptes Schiff mit 350 asiatischen Flüchtlingen in den Hafen von Conakry schicken, da es angeblich von dort ausgelaufen sei. EU-Justizkommissar Frattini sprach in einem Interview der FAZ vom 29.3.07 der guineischen Regierung für ihre Abschiebehilfe ein großes Lob aus: „Guinea hat dabei bisher einen positiven Geist der Kooperation gezeigt.“

All diese Vorfälle zeigen, dass im Feld der Migration widersprüchliche Interessen eine Rolle spielen: Zuerst natürlich das berechtigte Interesse von Flüchtlinge und MigrantInnen, selbst entscheiden zu können, wohin sie gehen, um in Sicherheit leben und Geld nach Hause schicken zu können. Inzwischen machen die Rücküberweisungen weltweit offiziell fast das Dreifache der „Entwicklungshilfe“ aus. Somit haben nicht nur die Familien der MigrantInnen Interesse an diesen Rücküberweisungen, sondern auch die Regierungen der Herkunftsländer. Diese müssten sonst sehr viel mehr soziale Unruhen fürchten – oder Ernährung, Schulbesuch, Gesundheitsversorgung etc. der Mehrheit ihrer Bevölkerung auf andere Weise finanzieren. Nicht zuletzt haben auch korrupte Staatsbedienstete ein Interesse an Migration, vom Leiter der Visaabteilung bis zum Polizisten am Flughafen, der für entsprechendes Geld Ausreisewillige passieren lässt. Dem stehen die Interessen von Regierungs- und Verwaltungsmitgliedern an Geldern entgegen, die europäische Regierungen für Rückübernahmeabkommen und entsprechende Dienstleistungen bei Abschiebungen zahlen. In den EU-Ländern hingegen gibt es nicht nur das Interesse der Regierungen, sich unerwünschter Flüchtlinge zu entledigen. Der Wirtschaft und den Unternehmen kommen rechtlose und damit optimal ausbeutbare Arbeitskräften durchaus zupass. Welche Interessen sich jeweils durchsetzen, hängt nicht zuletzt von politischen Kämpfen ab – z.B. von Opposition und Gewerkschaften im Herkunftsland, aber auch von Flüchtlingen, MigrantInnen und ihren UnterstützerInnen in den Zielländern der Migration.

Anmerkungen:
1) Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States)
2) Neben Reisekosten gab es pro Person Tagegelder von 100 Euro und „Gebühren“ pro Reisepapier in unbekannter Höhe.
3) Gegen MigrantInnen gerichtete gemeinsame Grenzsicherungsinstitution der EU (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union)

Quelle: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 520 / 21.9.2007