Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

Frontex – die treibende Kraft im Krieg gegen Bootsflüchtlinge und Papierlose

Einsätze auf See, EuroSur und neue Grenztechnologien

Crossing Borders

Vor 5 Jahren, im Mai 2005, begann die europäische Grenzschutzagentur mit einzelnen Pilotprojekten. Heute ist Frontex im militarisierten Dauereinsatz gegen Flüchtlinge und MigrantInnen, sei es an den See- oder Landaußengrenzen oder in der Koordination von Charterabschiebungen. Frontex ist die treibende Kraft zur Verschärfung einer repressiven Migrationskontrolle, sogar über die EU-Grenzen hinaus. Die Bekämpfung der sogenannten illegalen Migration ist ihr Auftrag, dafür nimmt Frontex den Tod von tausenden Flüchtlingen im Mittelmeer und Atlantik in Kauf. Frontex symbolisiert einen der zentralen Gegenspieler in unserem Kampf für globale Bewegungsfreiheit.

Der Kontext war klar formuliert im Stockholmer Programm, dem neuen 5-Jahres-Programm für Justiz und Inneres des EU-Rates, das im Dezember 2009 verabschiedet wurde: „Europa braucht eine flexible und nachfrage-orientierte Politik der Arbeitsmigration, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der jeweiligen nationalen Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten… Europa muss strategisch und systematisch alle verfügbaren Instrumente seines globalen Ansatzes nutzen – Migrationsprofile und -projekte, Kooperationen zwischen Migration und Entwicklung, Mobilitätspartnerschaften – zugunsten einer langfristigen Zusammenarbeit auf allen Ebenen mit ausgewählten Drittländern entlang der zentralen Migrationsrouten …“ Der entscheidende Akteur zur Umsetzung wurde im Papier mehrfach benannt: Frontex. Laut Programm kommt der Stärkung der Europäischen Grenzschutzagentur eine Schlüsselrolle zu.

Dass für Frontex die Seegrenzen eine besondere Bedeutung haben, wurde seit der Einrichtung der Agentur im Jahre 2004 deutlich. Ihre ersten großen Gemeinschaftsoperationen fanden auf See statt, Umfang und Dauer weiteten sich schnell aus. Das spiegelt sich auch im Budget wieder, denn die Einsätze im Meer sind beständig der größte Ausgabeposten. Die besondere Aufmerksamkeit, die Frontex den Seegrenzen widmet, mag mit deren speziellem Charakter zusammenhängen: es gibt dort keine klare Linie mit Grenzposten und -pfosten. Vielmehr bleibt das Meer ein weites, diffuses Areal, eine „ fließende Grenze des Rechtsraums“, ein ideales Experimentierfeld für eine Agentur, die beabsichtigt, eine neue Form von Grenzmanagement zu erfinden, zu testen und letztlich zu etablieren. Die Rechte und häufig auch das Leben der MigrantInnen gehen verloren in diesen Prozessen. Tausende sterben auf See nach oder bei illegalen Rückschiebungen, das Abfangen und „Umdrehen“ der Bootsflüchtlinge ist das tägliche Geschäft von Frontex: vor den Küsten Westafrikas (Operation Hera), im Mittelmeer (Operation Nautilus) oder in der Ägäis (Operation Poseidon). Natürlich spielen die spanischen, italienischen oder griechischen Grenzpolizeien eine zentrale und oftmals die schlimmere Rolle bei der Blockierung und Rückschiebung von Flüchtlingen und MigrantInnen nach Senegal, Libyen oder in die Türkei. Aber die militarisierte Frontex-Armada toleriert nicht nur diese lebensgefährlichen Praktiken der Menschenjagd und unrechtmäßigen Abschiebungen. Frontex moderiert, koordiniert und bilanziert diesen Krieg gegen Flüchtlinge und MigrantInnen in der Absicht, ein Abschreckungsregime zu installieren.

„Darüberhinaus hat Frontex den Auftrag, die Entwicklung des Europäischen Grenzüberwachungssystems (EuroSur) zwischen den Mitgliedsstaaten zu koordinieren und den Austausch der Überwachungsdaten an den östlichen und südlichen Grenzen bis zum Jahr 2013 sicherzustellen“ (Stockholmer Programm). Frontexeinsätze an Landgrenzen und Flughäfen bleiben bislang relativ begrenzt oder auf der Ebene von Pilotprojekten. Aber wie im Stockholmer Programm ausdrücklich formuliert, soll die Agentur ein europäisches Grenzmanagement unter gemeinsamer Verantwortung vorantreiben. EuroSur ist der Name eines ambitionierten umfassenden Überwachungssystems, für das alle technischen Möglichkeiten zum Einsatz kommen sollen. Satelliten und Dronen, jede verfügbare technische Ausrüstung soll genutzt und in diesem System „integriert“ werden. High-Tech-Firmen werden aufgefordert, passende Instrumente zu entwickeln. „Neue Technologien bieten ein großes Potential, um das Grenzmanagement effektiver und sicherer zu machen. Das beinhaltet u.a. die Einführung automatisierter Grenzübergänge. Der Europäische Rat nimmt die laufenden Studien von Frontex in diesem Bereich zur Kenntnis und ermutigt sie, diese zugunsten der bestmöglichen Anwendung weiterzuentwickeln…“ Dieses Zitat aus dem Stockholmer Programm bezieht sich nicht alleine auf die Außengrenzen. Sowohl Frontex als auch die EU-Kommission wissen, dass die Mehrheit derer, die in der EU ohne Aufenthaltspapiere leben, ursprünglich legal eingereist sind. Aber als ihre Visas abgelaufen waren, sind sie nicht wieder ausgreist (sog. Overstayer). Demzufolge wurde bereits vor 2 Jahren ein „Entry-Exit“ (Einreise-Ausreise)-System vorgeschlagen, das in Kombination mit dem angelaufenen Visa-Informations-System vor allem auf der Grundlage biometrischer Technologien das Aufspüren Illegalisierter ermöglichen soll.

Frontex hat in den vergangenen Jahren gelernt und versucht, sein zunehmend ramponiertes Image neu zu aufpolieren. Frontex stellt sich als neutrale Dienstleistungsagentur dar, die lediglich Technologien bereitstellt, um eine „bestmögliche Anwendung“ zu ermöglichen. Sie bedient sich des Menschenrechtsdiskurses und gibt vor, dass ihre Massnahmen der Rettung von Bootsflüchtlingen dienen. Aber diese Worthülsen können die eigentlichen Ziele nicht verdecken. Sei es gegen Menschen ohne Papiere innerhalb der EU oder gegen Bootsflüchtlinge an den Außengrenzen: Frontex kommt auf vielfältiger Ebene eine Schlüsselrolle in der „Bekämpfung illegaler Migration“ zu. Folgerichtig formulierte der Aufruf des Netzwerks Welcome to Europe: „Frontex repräsentiert einen zentralen Gegenspieler in unserem Kampf für globale Bewegungsfreiheit“. Lasst uns diese Agentur angreifen, mit allen Mitteln, die notwendig sind!

Aus: Transnational Newsletter Crossing Borders Newsletter Nr. 8, Mai 2010