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Weißer Marsch trotz militärischer Eskaltion

16.01.2013: Kommentar von Afrique-Europe-Interact zum Beginn der französichen Intervention in Mali

Die am 10. Januar begonnene Intervention der französischen Armee in Mali stößt bislang auf breite Zustimmung innerhalb der malischen Bevölkerung, auch wenn etliche VertreterInnen der Zivilgesellschaft die aktuelle Situation als hochgradig widersprüchliche Wahl zwischen neokolonialer Intervention und islamistischem Terrorregime beschreiben. Entsprechend sind erhebliche Zweifel angebracht, ob es tatsächlich möglich sein wird, die Islamisten mit militärischen Mitteln zu besiegen und somit eine echten Frieden zu erreichen. Denn Fakt ist, dass religiöse Fundamentalisten ein äußerst schwieriger Gegner sind, zumal wenn sie als Guerilla-Einheiten agieren. Das ist – bei aller Unterschiedlichkeit – in Ländern wie Afghanistan oder Somalia hinlänglich deutlich geworden. Und selbst in Mali zeichnen sich bereits seit dem 6. Tag der Intervention erhebliche Probleme ab: Mindestens 11 Tote in der Zivilbevölkerung sowie mehrere hundert Tote auf Seiten der Islamisten, über 30.000 zusätzliche Binnenflüchtlinge sowie die Eroberung des günstig gelegenen Ortes Diabaly durch islamistische Milizen am 14. Januar. Erschwerend kommt hinzu, dass sich in Mali zwei Konfliktlagen überlagern: Einerseits die noch relativ junge Auseinandersetzung mit Islamisten, andererseits der seit 1960 währende Konflikt zwischen Tuareg-Bevölkerung im Norden und malischem Zentralstaat – ein Umstand, der auch darin zum Ausdruck kommt, dass sich Ansar Dine als eine der drei islamistischen Milizen mehrheitlich aus malischen Tuareg zusammensetzt.

Vor diesem Hintergrund hat sich die malische Sektion des transnationalen Netzwerks Afrique-Europe-Interact am Montag entschieden, trotz der militärischen Eskalation an dem bereits seit mehreren Wochen geplanten Projekt eines „Weißen Marsches“ (marche blanche) von Mopti nach Douentza festzuhalten – unter Beteiligung ganz verschiedener Akteure aus der Zivilgesellschaft wie MigrantInnen-Organisationen, bäuerlichen Gruppen, Betroffenen von Grundstücksvertreibungen, FischerInnen, Frauen-Initiativen und dem Anti-Verschuldungnetzwerk CAD. Die InitiatorInnen begreifen den Weißen Marsch als „Dritten Weg“ jenseits von Islamismus und militärischer Eskalation, wobei vor allem drei Zielsetzungen im Zentrum stehen:

Erstens soll mit dem Marsch der zivile Widerstand der lokalen Bevölkerung im Norden gestärkt werden, um die Islamisten umfassend unter Druck zu setzen. Entsprechend richtet sich der Marsch auch ausdrücklich an Tuareg(Flüchtlinge) – aus dem Norden genauso wie aus dem Süden. Denn je stärker Tuareg deutlich machen, dass sie sich durch Ansar Dine keinesfalls repräsentiert fühlen, desto schwächer dürfte langfristig der ohnehin marginale Rückhalt für Ansar Dine innerhalb der malischen Tuareg ausfallen. Zweitens soll mit dem Marsch darauf hingewiesen werden, dass Frankreich keinesfalls selbstlos handelt – schon gar nicht im Namen der Menschen- oder Frauenrechte (wie auch an der Bündnispolitik der westlichen Welt gegenüber Ländern wie Saudi Arabien ablesbar ist). Neben der Sorge vor einem Rückzugsgebiet von Al Quaida spielen vielmehr die zahlreichen Engagements französischer Firmen in Westafrika eine zentrale Rolle, insbesondere der Umstand, dass 30 Prozent des französischen Urans aus dem benachbarten Niger stammen. Ganz in diesem Sinne weisen die Marsch-OrganisatorInnen auch darauf hin, dass die aktuelle Situation in Mali nicht zuletzt der fatalen Freisetzung jener Waffenarsenale geschuldet ist, die Gaddafi unter anderem aufgrund der verhängnisvollen Geschäftemacherei mit europäischen Firmen anhäufen konnte – beispielsweise sind allein im Jahr 2010 Waffen im Wert von 344 Millionen Euro offiziell aus der EU an Libyen exportiert worden. Drittens soll mit dem Marsch zivilgesellschaftlichen Akteuren eine eigene Stimme verliehen werden – eine Forderung, die vor allem im Kontext mit der von großen Teilen der Bevölkerung explizit begrüßten Entmachtung des langjährigen Präsidenten Amadou Toumani Touré am 22. März 2012 steht. Denn trotz garantierter Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist das insbesondere im „Westen“ immer wieder beschworene Bild von Mali als Musterdemokratie absolut fragwürdig. Davon zeugen nicht nur hoffnungslos veralte Wahlregister (inklusive Wahlmanipulationen) oder der Umstand, dass im Parlament französisch gesprochen wird, obwohl gerade mal ein Drittel der Bevölkerung überhaupt französisch versteht. Nein, hierzu gehören auch der Ausverkauf fruchtbarer Ackerböden oder wertvoller Bergbau-Lizenzen an global operierende Investoren – genauso wie eine kaum vorstellbare Plünderung öffentlicher Kassen, was im übrigen auch der Grund für den völlig maladen Zustand der malischen Sicherheitskräfte ist, der den Islamisten überhaupt erst die Eroberung des nördlichen Malis erlaubt hat (eine Feststellung, die sich insbesondere gegen die in europäischen Medien gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung wendet, wonach erst das Machtvakuum nach dem so genannten Putsch den Siegeszug der Islamisten ermöglicht habe).

Im Moment bestimmen die Waffen das Geschehen in Mali. Um so ausdrücklicher begrüßt die europäische Sektion von Afrique-Europe-Interact die Initiative zum „Weißen Marsch“. Wir verbinden das zugleich mit der Aufforderung an die Länder der EU, ihre im Zuge des so genannten Putsches mehr oder weniger weitgehend eingefrorenen Entwicklungshilfegelder im vollen Umfang wieder freizugeben und zudem durch zusätzliche Notfallzahlungen aufzustocken, anstatt die ohnehin dramatische Lage der malischen Bevölkerung massiv zu verschärfen.

Rückfragen zum Weißen Marsch beantwortet ihnen gerne XY (xxx) bei Interesse können wir auch Kontakt zu englisch- und französischsprachigen OrganisatorInnen des Marsches in Mali herstellen.