Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

Boats4People Kommuniqué Nr. 5

Eine Delegation trifft den einzigen Überlebenden der Schiffstragödie, die 55 Menschenleben gekostet hat

Zarzis, 11. Juli 2012

Ein Jahr und ein paar Monate nach dem Vorfall, der als „left-to-die-boat“ zu internationaler Empörung geführt hat, ist es zu einem neuen ähnlich dramatischen Vorfall gekommen. Das zeigt, dass trotz veränderter politischer Grosswetterlage weiterhin Flüchtlinge und MigrantInnen unter entsetzlichen Umständen im Mittelmeer sterben.

Im März letzten Jahres starben 63 Personnes: Sie trieben nach einem Motorschaden 14 Tage auf dem Meer, nachdem sie Tripolis mit dem Ziel Süditalien verlassen hatten. Das passierte während der internationalen Militärintervention in Libyen und daher in dicht überwachten Gewässern. Einige belastende Berichte über das Versagen einer Reihe von Akteuren wurden veröffentlicht, und eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung in Frankreich eingereicht. Boats4people hat heute vormittag im südtunesischen Zarzis ein Interview zu dem neuen tragischen Vorfall geführt und nun verstanden, dass die dramatischen Auswirkungen des europäischen Migrationsregimes anhalten – trotz des Falls des Gaddafi-Regimes und des Endes der internationalen Intervention in Libyen.

Abbas, der eritreische einzige Überlebende des Vorfalls wurde am Dienstag (10.07.2012) von tunesischen Fischern 35 Meilen vor der Küste von Zarzis gefunden. Er hing auf den Resten eines Gummiboots. Auf diesem Boot hatte er vor ungefähr 14 Tagen mit 56 Personen an Bord (20 Somaliern, 2 Sudanesen und 34 Eritreern), unter ihnen sein älterer Bruder und seine zwei Schwestern, Tripolis verlassen. Nach ungefähr 26 Stunden Schifffahrt kenterte das Boot, das in sehr schlechtem Zustand war. Nur Abbas schaffte es, sich am Boot weiter festzuhalten. Der Motor war untergetaucht und ausgefallen. Der Überlebende trieb 14 Tage in offener See. Ab und zu sah er in Entfernung andere Schiffe. Nachdem tunesische Fischer ihn gestern gerettet hatten, wurde ein Patrouillenschiff der tunesischen „Nationalen See-Wache“ ausgeschickt. Das übernahm ihn um 15:30 Uhr. Er wurde in das Krankenhaus von Zarzis gebracht, wo er wegen Dehydrierung und äusserster Erschöpfung behandelt
wurde.

Boats4people kritisiert aufs Neue die Politik der Abschottung, die Flüchtlinge und MigrantInnen dazu zwingt, auf unsichere Boote zur Überquerung des Mittelmeers zu steigen. Boats4People kritisiert nochmals die Kriminalisierung der Hilfe für Flüchtlinge und MigrantInnen in Seenot. Denn das hat das Mittelmeer de facto in einen Friedhof verwandelt. In Zusammenarbeit mit dem Forensic Oceanography Projekt des Goldsmiths College wird Boats4People nachforschen, ob es irgendwelche Möglichkeiten gab, mit denen das tragische Schicksal dieser Bootspassagiere hätte abgewendet werden können.

Ein Video des Interviews wird bald zur Verfügung stehen.

Mehr Informationen zum Ort des Vorfalls auf der interaktiven Landkarte
(Echtzeit) auf WatchTheMed: https://watchthemed.crowdmap.com/reports/view/23