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Von Polizei misshandelt, vom Arzt ertränkt - Tod bleibt ohne Konsequenzen

Zum Tod von Laya Condè

Am 04. Dez 2008 sprach das Bremer Landgericht einen angeklagten Polizeiarzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Der Arzt wendete eine umstrittene Methode an, mit der die Behörden vorgaben, gegen vermeintliche Drogendealer_innen vorzugehen. Laya Alama Condé, wurde im Zuge dieser Behandlung ertränkt.
 
Am 27. Dezember 2004 wurde Laye Condé in Bremen festgenommen. Rassistischen Stereotypen entsprechend unterstellte die Polizei dem Festgenommenen, er sei ein Drogendealer und hätte Kügelchen verschluckt. Trotz massiver Kritik wurden die Aufgegriffenen in der Folge einer Tortur unterzogen: Um verschluckte “Kokainkügelchen” zum Vorschein zu bringen, wurden regelmäßig den Verdächtigten – in einem speziell auf der Polizeiwache eingerichteten Zimmer – mehrere Liter mit Brechmittel versetztem Wasser meist durch die Nase eingeflößt.

Diese Methode war zum Zeitpunkt des Todes von Laye Alama Condé keineswegs unumstritten: Bereits am 9. Dezember 2001 starb in Hamburg :: Achidi-John bei einem solchen Eingriff.

Da sich viele Ärzt_innen weiger(te)n, derartige Maßnahmen durchzuführen, die mit ärztlichen Grundsätzen nicht vereinbar sind, engagierte die Polizei eigene Auftragsärzt_innen, die diese Behandlung regelmäßig durchführten. So auch Ende Dezember 2004: Als der Igor V., Auftragsarzt der Polizei, Laya Alama Condé den Brechsirup Ipecacuanha und literweise Wasser per Schlauch in den Magen pumpte, geriet Wasser in die Lunge. Die Tortur dauerte mindestens 90 Minuten. Am Ende fiel der 35-jährige Condé ins Koma und wurde am 7. Jänner 2005 offiziell für Tod erklärt.

Drei Jahre später, im April 2007, startete am Landgericht Bremen die :: Verhandlung gegen den Arzt. Ihm wurde vorgeworfen, Condé fahrlässig getötet zu haben. Der Strafrahmen im Falle einer Verurteilung reicht von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft. Wie in derartigen Fällen nicht anders zu erwarten, wurde der Arzt in diesem Fall freigesprochen. Mit “schönen” Worten versuchte der Vorsitzende Richter Bernd Asbrock das Urteil zu rechtfertigen: “Wenn dieser Freispruch in weiten Teilen wie ein Schuldspruch klingt, hat das seine Begründung.” Auch ohne die Feststellung strafrechtlicher Verantwortung hätten eine Vielzahl von Versäumnissen, individuellen Fehlern und strukturellen Missständen dazu beigetragen, dass der “mutmaßliche Drogenhändler” in staatlichem Gewahrsam zu Tode gekommen sei.

Kein Einzelfall

Die taz schreibt dazu: “In seiner Urteilsbegründung sagte der Kammervorsitzende Bernd Asbrock, der Angeklagte habe 'objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen', etwa bei der Erstuntersuchung Condés. Auch hätten weder V. noch die Polizisten vor der Maßnahme einen Dolmetscher oder einen Richter gerufen. Vor allem aber hätte V. seine erste erzwungene Brechmittelvergabe viel früher beenden müssen. Condés Zustand war während der rund zweistündigen Maßnahme so kritisch geworden, dass ein Notarzt hinzugerufen werden musste. Doch nachdem das Rettungsteam Condé wieder stabilisiert hatte, flößte V. ihm weiter Wasser ein, damit er seinen Mageninhalt restlos hervorwürgte.”

Der Vorfall gelangte an die Öffentlichkeit, weil der hinzu gerufene Notarzt Kritik an der gängigen Praxis des Brechmitteleinsatzes und deren Durchführung übte und am 03. Jan 2005 über einen Anwalt eine Strafanzeige an den Leitenden Oberstaatsanwalt einreichte. Als Reaktion darauf bezeichnete der damalige Polizei- und Innensenator noch am 4. Jan 2005 via Medien das Vorgehen als “verhältnismäßig”. Drei Tage später wurde Laye Alama Condé für Tod erklärt.

Mittlerweile wurden Brechmitteleinsätze vom :: Europäischen Gerichtshof (EuGH) verboten. Der Einsatz des Brechmittels sei ein Verstoß gegen das Verbot von Folter und menschenunwürdiger Behandlung. Doch derartige Erkenntnisse haben offensichtlich keinen Einfluss auf die Rechtsprechung.

Opfer-Täter_innen-Umkehr

Wie so oft wurde der Getötete vor Gericht selbst für seinen Tod verantwortlich gemacht: Insgesamt vier Gutachter hatten eindeutig festgestellt, dass Condé “still ertrunken” ist, weil ihm das von V. eingetrichterte Wasser in die Lunge gelaufen war. Eine eindeutige Angelegenheit. Bis im Herbst dieses Jahres die Verteidigung des angeklagten Arztes vier weitere Sachverständige in den Prozess einbrachte, die via beauftragtem Gutachten einen “zuvor nicht festgestellten” Herzfehler entdeckten und diesen als Todesursache darstellten – und nicht etwa das durch den Brechmitteleinsatz hinein gelaufene Wasser.

Der Berliner Kardiologen Rudolf Meyer will bei der Untersuchung von Condés Leichnam festgestellt haben, dass dessen Herzwand krankhaft verdickt war. Dieser “toxische Herzmuskelschaden” soll “mit hoher Wahrscheinlichkeit” allein für das bei Condé festgestellte Lungenödem verantwortlich sein – und nicht etwa das durch den Brechmitteleinsatz in die Lunge gelaufene Wasser. Condé habe durch den Herzschaden in beinahe jeder Stresssituation sterben können. Seine These wurde vor Gericht von dem ehemaligem Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Berliner Charité, Volkmar Schneider, und dem Berliner Radiologie-Professor Karl-Jürgen Wolff gestützt (vgl. dazu :: Freispruch für Brechmittelarzt?).

Wiederholungstäter_innen

Interessant ist, dass Meyer und Schneider schon einmal, nach dem Tod von Achidi John im Jahr 2001, eine ähnliche Expertise abgegeben haben. Damals diente diese These dazu, Johns Hirntod während des Brechmitteleinsatzes “auf eine vorstehende schwere Herzerkrankung zurückzuführen” sei. Das Ermittlungsverfahren gegen die verantwortliche Rechtsmedizin-Professorin der Eppendorfer Uniklinik wurde darauf hin eingestellt.

Die These der Herzerkrankung Laye Alama Condé wurde von einem weiterem Gutachter bestätigt, der bereits Erfahrung vor Gericht in Zusammenhang mit Brechmittelfolter sammeln konnte, und von der Verteidigung in den Zeug_innenstand gerufen wurde. Klaus Püschel, Chefpathologen des Hamburger Uniklinikums Eppendorf und Kollege der im Fall Achidi John die tödliche Maßnahme durchführenden Ärztin. Püschel hat nach eigenen Angabe selbst 400 mal einen Einsatz des Brechmittelsirups Ipecahuana verantwortet und stellte die Zwangsmaßnahme wiederholt als “prinzipiell ungefährlich” dar. Eine “Einschätzung”, die er bereits unmittelbar nach dem Tod Achidi John's öffentlich vertrat. Bereits wenige Tage nach diesem tödlichen Vorfall, den Püschel als “Zwischenfall” bezeichnete, war er erneut für einen weiteren derartigen solchen Einsatz verantwortlich.

Dass in derartigen Fällen kaum von unabhängigen Gutachter_innen gesprochen werden kann, liegt auf der Hand. Und es ist auffällig, dass derartige Thesen immer wieder vor Gericht geäußert werden. Immer wieder werden “Herzfehler” von Sachverständigen als Todesursache “festgestellt”. Ein Beispiel dafür ist der :: Prozess gegen jene drei Fremdenpolizisten, die am 1. Mai 1999 :: Marcus Omofuma im Zuge einer gewalttätigen Abschiebung umbrachten. Damals behauptete Gutachter Dr. Christian Reiter vom Institut für gerichtliche Medizin der Universität Wien einen Herzfehler. Seine These konnte angesichts der sachlichen :: Argumentation des hinzugezogenen Obergutachters nicht standhalten. Trotzdem wurden die drei Fremdenpolizisten lediglich zu bedingten Haftstrafen verurteilt und konnten ihren Dienst weiter versehen.

Staatlicher Rassismus

Der Freispruch für Igor V. kam :: nicht unerwartet. Und er zeigt einmal mehr auf: Staatlicher Rassismus schreckt vor Toten nicht zurück, die Taten bleiben ungesühnt. Um darauf aufmerksam zu machen, hatten sich laut taz rund 70 Aktivist_innen zur Urteilsverkündung im Gerichtsgebäude versammelt. Als der Kammervorsitzende Bernd Asbrock das Urteil verkündete, entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift “Das war Mord” und riefen: “Afrikaner haben vor deutschen Gerichten selbst dann Unrecht, wenn sie von weißen Polizisten getötet werden.” Eine bereitstehende Polizeieinheit räumte die Protestierenden aus dem Gerichtssaal.

Qelle: http://no-racism.net/article/2754/

Weitere Infos zu den genauen Todesumständen von von Laya Condé unter: http://no-racism.net/article/1083/