Was versteht man unter Rückübernahme(abkommen)?
Von Claudia Charles, GISTI
Ein Rückübernahmeabkommen definiert man als ein Abkommen, durch das die Unterzeichnerstaaten sich verpflichten, auf ihr Territorium ihre eigenen Staatsangehörigen zurück zu nehmen, die festgenommen wurden, weil sie sich ohne gültige Aufenthaltspapiere auf dem Territorium eines anderen Staats befanden, aber auch andere AusländerInnen, die nicht ihre Staatsangehörigen sind, jedoch auf der Durchreise in ihrem Land waren, bevor sie in einem anderen Staat festgenommen wurden.
Es handelt sich um eine Logik, die nicht neu ist und die sich mehr und mehr ebenso auf bilateraler Ebene (zwischen zwei Staaten) wie auf multilateraler Ebene (z.B. in Rückübernahmeabkommen der EU) entwickelt.
So definiert, könnten wir denken, dass die Rückübernahmeabkommen und darüber hinaus die „Logik“ der Rückübernahme ziemlich einfach zu verstehen und zu erfassen ist, da sie keine besonderen Probleme aufwerfen. Es ist keinesfalls so.
Betrachten wir zuerst den Begriff Abkommen: Verständigung, Einwilligung, Übereinstimmung. Es wäre also logisch zu denken, dass ein Rückübernahmeabkommen ausgehandelt, diskutiert wurde, das, was jede Seite einbringt, debattiert wurde zwischen beiden oder mehr Staaten mehr, bei Gleichheit der Kräfte und Mittel. Aber wir wissen, dass bei der Materie, die uns beschäftigt, die Kräfteverhältnisse bei weitem nicht gleich sind. Es reicht, die Beschlüsse des Rats der EU in ihrem „Globalen Plan zum Kampf gegen die illegale Migration und den Menschenhandel in der Europäischen Union“ vom 27. Februar 2002 zu lesen: „(…) vor der Aushandlung jedes Rückübernahmeabkommens, empfiehlt es sich, das Interesse der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten in Erwägung zu ziehen.“ Beispiele zur Illustration dieser Schwierigkeiten sind z.B. das Abkommen EU-Pakistan (das inzwischen unterschrieben wurde, d.Ü.) und das mit Marokko (siehe unten und Artikel unter „Marokko“, d.Ü.).
Im Übrigen garantiert ein Rückübernahmeabkommen, abgesehen von den Problemen bei seiner Aushandlung, nicht schon als solches, dass die „Rückschiebungen“ von Personen mit irregulärem Aufenthalt in einen Staat mit der Respektierung aller internationalen Normen und dem Schutz der Grundrechte ausgeführt werden. Das zeigt das Abkommen zwischen Griechenland und der Türkei. In Kraft seit 2002, sieht es vor, dass jede staatliche Seite die Rückschiebung von aufgegriffenen MigrantInnen in irregulärer Situation auf sein Territorium akzeptiert. In Wirklichkeit wird die Mehrzahl der Abschiebungen von Griechenland in die Türkei nicht im Rahmen dieses Abkommens durchgeführt, sondern in massenhafter und illegaler Weise. Man könnte auch das Beispiel der Zurückschiebungen (Refoulements) zwischen Italien und Griechenland nehmen. Das ist genauso. (Auf der Tagung gab es zwei Beiträge zu diesen Situationen. Außerdem ist die Frage Inhalt eines Berichts von Migreurop im Oktober 2009, „Die mörderischen Grenzen Europas“, der auf Französisch und Englisch vorliegt.)
Was soll man schließlich sagen zu den (zahlreichen) Rückschiebungen von Regionen, über die es überhaupt kein Abkommen gibt, aber wo die betroffenen Länder nicht davor zurück schrecken, alle Mittel, die ihnen geeignet erscheinen, anzuwenden? Das ist der Fall an den Grenzen zwischen Mali und Mauretanien und Mali – Algerien (die in einem Beitrag genauer dargestellt werden, d.Ü.). Diese Länder sind aber nicht „exklusiv“ von solchen Methoden betroffen. Marokko, das illegal an die algerische Grenze oder in die Wüste Sahara zurück schiebt, ist auch ein gutes Beispiel. Dieses Land leistet seit 2002 „Widerstand“ gegen den Druck der EU, ein Rückübernahmeabkommen zu unterzeichnen. Dieser offensichtliche „Mangel an gutem Willen“ hat das Land aber nicht daran gehindert, den sogenannten „fortgeschrittenen Status“ (Status zwischen EU-Mitgliedschaft und Assoziierung) und von der EU gelobt zu werden für seine Anstrengungen, „der illegalen Migration entgegen zu treten, was zu einem substanziellen Rückgang der Migrationsströme aus diesem Land geführt hat.“
Diese Politik der Rückübernahme entlarvt sich als sehr verschieden, diffus, komplex und entspringt außer aus der Politik zur Kontrolle der Migration auch aus einer ökonomischen Dynamik. (…) Tatsächlich gibt es seit den 1990er Jahren in den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Drittländern wie der Ukraine, Moldavien, Kasachstan, in den Abkommen der euro-mediteranen Assoziierung aus den Jahren ab 2000 (insbesondere Algerien, Marokko und Tunesien) oder in den Abkommen von Cotonou von Juni 2000 eine sogenannte Klausel zur Rückübernahme, durch die das Prinzip der Rückübernahme von Staatsangehörigen geregelt wird und die Möglichkeit, Abkommen, die die Abschiebung auch von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen vorsieht, abzuschließen.
Im Übrigen fordert die EU seit Juni 2002 und der Sitzung des Rats der EU in Sevilla, dass diese Klausel in jedes Kooperations-, Assoziations- oder ähnliches Abkommen aufgenommen wird, das sie abschließt. Diese Verbindung zwischen der Wirtschafts- und Handelspolitik oder die „gefährliche Liaison“ zwischen Entwicklungshilfe und Migrationsmanagement beschränkt sich nicht auf die EU. Die Mitgliedsstaaten haben sich auch an die Entwicklung einer solchen Politik angekoppelt: der Fall von Frankreich und seinen gemeinsamen Abkommen zum Management der „Migrationsströme“, Spanien und sein Afrikaplan oder Italien und seine Freundschaftsverträge mit Libyen oder Tunesien sind dafür Beispiele (die in weiteren Beiträgen erläutert werden).
Wir stehen also einer vielfältigen, unterschiedlichen und diffusen Realität gegenüber. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Diese Realität ist Teil einer einzigen Logik: der der Abschiebung, des „Ausschlusses von MigrantInnen, und der Kriminalisierung von Migration“, mit allen Gefahren, die das mit sich bringt, wie Migreurop das schon 2008 zum Ausdruck brachte in seinem Aufruf „Nein zu den Abschiebeabkommen“. (…)
Ergänzung des französischen Textes um einige Fakten (auf den französischen Einleitungstext folgen dazu ja weitere Beiträge, die nicht übersetzt werden):
Die EU hat mit 13 Staaten Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, darunter keine afrikanischen Länder. Die Verhandlungen mit deren Regierungen werden offensichtlich den ehemaligen Kolonialmächten, vor allem Frankreich, und südeuropäischen Ländern, insbesondere Spanien und Italien, überlassen.
Frankreich hat bis Mitte Mai 2009 „Kooperationsabkommen“ mit acht afrikanischen Staaten abgeschlossen (weitere sieben müssen noch ratifiziert werden), in denen es neben dem Kampf gegen „illegale“ Migration um Quoten für legale (vor allem temporäre) Migration und „co-développement“, inzwischen umgetauft in „solidarische Entwicklung“, geht. Die meisten afrikanischen Regierungen kritisieren jedoch die mangelnde Umsetzung der Migrationsquoten und verweigern deshalb oft die Ausstellung von Abschiebepapieren. Ein weiterer Streitpunkt, der in den Abkommen sehr unterschiedlich geregelt ist, ist die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen.
Insbesondere Mali, ein Land, das wesentlich von den Rücküberweisungen von MigrantInnen vor allem aus Frankreich lebt, hat sich bisher standhaft geweigert, ein Rückübernahmeabkommen mit Frankreich zu unterzeichnen, in dem die Ausstellung von Abschiebepapieren einen wesentlichen Punkt darstellt. Kämpfe von sans papiers in Frankreich und von Abgeschobenen in Mali, die sich organisiert haben, spielen dabei eine wichtige Rolle. Die EU reagiert in der letzten Zeit darauf mit dem Versuch der Einbindung dieser Organisationen, nicht zuletzt durch finanzielle Unterstützung. Die AME (Vereinigung der Abgeschobenen in Mali) hat aber Gelder der EU abgelehnt.
Spanien hat bereits mit vielen Ländern Rückübernahmeabkommen, aber deren Umsetzung ist sehr unterschiedlich. Zu den Kapverden wird angemerkt: “no funciona” (funktioniert nicht), während Guinea-Bissau, Guinea-Conakry, Gambia und Mauritannien als “escaso” (ungefähr “dürftig”) eingestuft sind. Die Abkommen mit lateinamerikanischen Ländern scheinen dagegen alle gut zu funktionieren. Etliche Abkommen werden noch verhandelt, z.B. mit Senegal, wo ein schon abgeschlossenes Abkommen 2006 aufgrund von Protesten gegen Abschiebungen während des Wahlkampfs wieder außer Kraft gesetzt wurde.
Mit Marokko hat Spanien bereits seit 1992 ein Rückübernahmeabkommen, bei dem aber vor allem die Übernahme von Drittstaatsangehörigen umstritten ist und das seit 2003 neu verhandelt wird . Als Gegenleistung für Marokkos Rolle als Gendarm der EU kam es zu Verträgen über temporäre Migration, z.B. von marokkanischen Frauen zur Erdbeerente in Spanien.
Im Mai 2008 hat Spanien Abkommen mit Gambia, Guinea Conakry und Guinea Bissau abgeschlossen, um Patrouillen Spaniens und anderer europäischer Länder in der 200-Meilen-Zone und aus der Luft vor den Küsten der drei Länder zu ermöglichen. Gemeinsam mit der Delegation des spanischen Innenministeriums reiste der FRONTEX-Direktor Gil Arias nach Afrika und nahm an den Verhandlungen und der Unterzeichnung der Verträge teil. FRONTEX plant, diese Abkommen in naher Zukunft zu übernehmen und hat bereits Verhandlungen mit Mauretanien, Senegal und den Kapverden aufgenommen. Die Abkommen ermöglichen auch die Beteiligung anderer europäischer Länder und haben bereits zu einem massiven Rückgang der Bootsüberfahrten auf die Kanaren geführt.
Besonders gravierende Folgen haben Abkommen zwischen Italien und Libyen: Nach den ersten direkten Rückschiebungen nach Libyen aus Lampedusa in den Jahren 2004-2006 kam es am 27. Dezember 2007 zu einem Abkommen im Kampf gegen die „illegale“ Migration. Im August 2008 wurde ein Freundschaftsvertrag zwischen Ghaddafi und Berlusconi erweitert, doch erst im Februar 2009 ratifizierte das italienische Parlament den Vertrag endgültig, u.a. über gemeinsame Patrouillen und Ausrüstung. Wesentlich ist, dass Libyen jetzt auch außerhalb seiner Gewässer aufgegriffene Bootsflüchtlinge zurück nimmt. Das hat zu einem fast vollständigen Rückgang der Anlandungen auf Lampedusa und Malta und zum Beschuss von Fischerbooten auf hoher See geführt. Im Oktober 2010 hat die EU ein Abkommen über die Zahlung von 50 Millionen Euro zur Bekämpfung der „illegalen“ Migration mit Libyen abgeschlossen.
Übersetzung des Einleitungstexts eines internationalen Treffens von Migreurop dazu am 27.11.2009 in Paris.
Übersetzerin: Conni Gunsser