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9. Januar 2017 | »Die malische Gesellschaft ist aufgeschreckt«

Zwei Männer wurden nach Bamako per Minicharter-Flugzeug abgeschoben . Ein Gespräch mit Olaf Bernau von Afrique-Europe-Interact. Interview: Gitta Düpertha. Erschienen in: Junge Welt, 09.01.2017

Junge Welt: Amadou Ba, der seit 13 Jahren in Deutschland gelebt hat, sollte erstmals am 27. Oktober nach Mali abgeschoben werden, hatte sich aber erfolgreich gewehrt. Wieso wurde er nun am Freitag deportiert?

Im Oktober hatte Amadou Bas Fall auch deshalb Aufsehen erregt, weil sich Passagiere des Flugs bei der versuchten erzwungenen Rückführung nach Mali eingemischt und lautstark ein Ende der Polizeigewalt gefordert hatten. Nun, am Freitag, wurden Amadou Ba und ein zweiter Malier mit Namen Mamadou Drame tatsächlich mit einer Kleinstmaschine direkt aus dem Abschiebegefängnis in Büren vom Flughafen Düsseldorf aus nach Bamako abgeschoben. Zwei Piloten und drei Polizisten waren zudem an Bord. Ousmane Diarra von der Assoziation der Abgeschobenen Malis, Association Malienne des Expulsés, AME, einer Organisation, die dort Angekommene aufnimmt und sich um sie kümmert, hat bestätigt, dass sie in der malischen Hauptstadt gelandet sind.

Weshalb wird dem Fall solche Brisanz beigemessen, dass noch am Donnerstag der malische Botschafter zusammen mit seiner Frau aus Berlin angereist war, um beide Gefangene im Abschiebeknast zu besuchen?

Die nun so spektakulär durchgeführten Abschiebungen waren im Vorfeld Thema im malischen Parlament und der öffentlichen Debatte: Es wurde diskutiert, ob die Regierung ein Abschiebeabkommen mit Europa unterschrieben hat oder doch nur eine Absichtserklärung. Es gab Proteste. Deshalb hatte der Botschafter versucht, mit seinem Besuch im Knast gute Stimmung zu machen. Er habe alles getan, um die Abschiebungen zu verhindern. Daran, dass er nicht habe helfen können, sei der deutsche Staat schuld. Auf die Frage der beiden, ob er ihre inzwischen abgelaufenen Passersatzpapiere verlängert und unterzeichnet habe, antwortete der Botschafter, sich nicht erinnern zu können. Das ist eine Lüge. Er wird sich wohl kaum auf die lange Reise nach Büren gemacht haben, ohne sich zuvor über den Fall zu informieren. Er hat Ba und Drame zudem einen Brief gezeigt, den er angeblich ans deutsche Innenministerium geschickt habe, mit der Bitte, den Fall erneut zu überprüfen. Als »Hilfe zum Ankommen« hat er ihnen jeweils 500 Euro in die Hand gedrückt. Ein Klacks, wenn man bedenkt, dass sie an ihre Familien dort sonst monatlich zwischen 50 und 100 Euro überwiesen hätten.

Das Thema wird also in Mali als sehr relevant angesehen?

Ja. Die malische Gesellschaft ist durch das Geschehen aufgeschreckt. Am Flughafen in Bamako hatten am Freitag etwa 15 Journalisten gewartet, um mit den beiden Abgeschobenen nach ihrer Landung eine Pressekonferenz abzuhalten. In Mali wird die Bewegungsfreiheit – sprich die Mobilität – als selbstverständliches Recht angesehen, genau wie in Deutschland. Migration hat bei den Afrikanern Tradition, ist maßgeblicher Wirtschaftsfaktor. Viertgrößte Einnahmequelle nach Entwicklungshilfe, Gold und Baumwolle sind die Überweisungen von Migranten an ihre Familien. Länder wie Mali wurden aufgrund von sogenannten Strukturanpassungen an westliche Industrieländer in den vergangenen Jahren arm gemacht. Sie sind demzufolge stärker als je zuvor auch auf solche Einnahmen angewiesen.

Wie ist zu erklären, dass der deutsche Staat derartigen Aufwand mit einem Minicharter-Flugzeug betreibt, um zwei Menschen abzuschieben?

Offenbar geht es um psychologische Kriegsführung, um Abschreckung. Malischen Migranten soll signalisiert werden: Der deutsche Staat scheut weder Kosten noch Mühen, um euch wieder loszuwerden. Übrigens droht er damit auch allen Durchreisenden aus den Nachbarstaaten Malis, wie Senegal, Niger, der Elfenbeinküste etc. Die deutsche Bundesregierung nutzt dazu eine derzeit innenpolitisch hochgeputschte Stimmung. Sie hofft darauf, bei der Bevölkerung zu punkten, statt den Vorwurf zu hören, jedes Maß verloren zu haben.

Ihr Fazit …?

Der deutsche Staat setzt den malischen brutal unter Druck, indem er seine Entwicklungsarbeit an eine dortige Migrationskontrolle bindet. Diese Erpressung ist nicht neu, nun aber verschärft. Doch auch der Widerstand dagegen organisiert sich. Afrikanische Aktivisten arbeiten Hand in Hand mit europäischen: eine neue Art des Klassenkampfes.