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09. Juni 2016 | Bilder und Berichte: Berlin, Sokodé (Togo) und Kita (Mali)

Station I: Berlin

Bilder von Marc Menningmann (Raute Film), Kurzbericht weiter unten

Kurzbericht & PDF des Flugblatts, Berlin

Als im Oktober 2013 bei zwei Bootskatastrophen über 370 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa ums Leben gekommen sind, ging ein Aufschrei quer durch Europa. Folge war unter anderem der Start des italienischen Seenotrettungsprogramms Mare Nostrum. Ähnliches wiederholte sich im April 2015, als an einem Wochenende im Zentralen Mittelmeer mindestens 1.200 Mensche starben: In zahlreichen Städten Europas und Afrikas gingen Leute auf die Straße, verschiedenste Organisationen luden zu Trauerveranstaltungen oder Pressekonferenzen ein. Es folgten zusätzliche private Rettungsinitiativen auf dem Mittelmeer und der Sommer der Migration nahm seinen Lauf. Doch von der damit verknüpften Aufbruchstimmung ist derzeit wenig übrig geblieben: Als im Mai 2016 in gerade mal zwei Wochen über 1.000 Menschen ihr Leben im Mittelmeer verloren, herrschte ohnmächtig anmutendes Schweigen – entsprechend nahmen am 9. Juni 2016 an einer lange und breit angekündigten Demonstration von Afrique-Europe-Interact in Berlin noch nicht einmal 100 Leute teil. Es stellt sich also die Frage, was dies bedeutet (jenseits davon, dass an einer Demo an einem normalen Wochentag immer nur eine beschränkte Zahl an Leuten teilnehmen kann): Sind die Leute nach mehreren Jahren intensiver Auseinandersetzungen erschöpft und desillusioniert, gerade in Berlin, wo der Senat die Besetzung des O-Platzes auf perfide Weise ins Leere hat laufen lassen? Oder fressen die Alltagskämpfe alle Energien auf? Oder hat der Mainstream der Willkommensinitiativen zu einer buchstäblichen Depolitisierung geführt, wie Sunny Omwenyeke von The Voice Refugee Forum bei einer Präsentation von Christian Jakobs neuem Buch “Die Bleibenden” in Bremen formuliert hat? Oder alles zusammen? Auf jeden Fall sind dies Fragen, über die dringend diskutiert werden sollte.

Erwähnt sei des weiteren, dass bei der Demo am 9. Juni nicht nur der Toten gedacht wurde. Vielmehr sind auch die von der EU mit Hochdruck auf den Weg gebrachten Abschiebe- und Migrationsverhinderungsabkommen mit zahlreichen Ländern in Nord-, West- und Ostafrika zur Sprache gekommen (aufbauend auf einer von Afrique-Europe-Interact und Africavenir gemeinsam organisierten Abendveranstaltung am 8. Juni im Haus der Demokratie und Menschenrechte). Zudem haben am frühen Nachmittag vor der nigrischen und tunesischen Botschaft kleine Kundgebungen stattgefunden. Bei der tunesischen Botschaft gab es dabei auch ein Gespräch mit dem Botschafter, der angekündigt hat, nach Sachsen kommen und dort in Flüchtlingslagern mit tunesischen Migrant_innen sprechen zu wollen. Ebenfalls wichtig war, dass Ousmane Diarra von der Assoziation der Abgeschobenen Malis mit von der Partie war und insbesondere dem Niger zurufen konnte, sich nicht zum neuen Wachhund des europäischen Migrationsregimes in Subsahara-Afrika degradieren zu lassen. Zu letzterem passt, dass am 9. Juni auch in Sokodé in Togo und in Kita in Mali Gruppen von Afrique-Europe-Interact gegen die EU-Migrationspolitik demonstriert haben, auch dort mit Fokus auf die willfährige Kollaboration afrikanischer Regierung mit der europäischen (auf nackter Erpressung basierenden) Migrationspolitik.

Flugblatt Berlin (deutsch/englisch)

Download flyer_aktion_berlin_juni_2016_2web.pdf - 143 kB


Station II: Sokodé (Togo)

Neben Protesten in Berlin und Kita (Mali) beteiligte sich auch die Togoische Vereinigung der Abgeschobenen (ATE) in Sokodé (Togo) am transnationalen Aktionstag gegen das EU-Afrika-Migrationsregime.

Sokodé ist seit Jahren Herkunftsort vieler Migrant_innen: Die Stadt wurde gegründet von Reisenden aus Mali, ein Leben als fahrende Händler_innen und Transportarbeiter_innen ist tief verankert in der Tradition der Kotokoli-Community. Seit den 1990ern war Sokodé ein Zentrum des Widerstands gegen die Eyadema-Diktatur, viele Regimegegner_innen mussten flüchten, viele wurden in den Folgejahren u.a. aus Deutschland abgeschoben. In den letzten Jahren machten sich angesichts der desolaten wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Stadt viele junge Menschen auf den Weg in die Migration – nach Nigeria , Ghana und Gabun, aber auch Richtung Norden nach Libyen und z.T. weiter nach Europa. Viele Menschen in Sokodé betrauern Angehörige, die ihr Leben in der Wüste und im Meer verloren haben. Erst kürzlich wurden mehrere junge Menschen auf einem Transport nach Libyen ermordet, als sie um Geld erpresst wurden aber nicht zahlen konnten.

Kernstück des Aktionstages in Sokodé war eine Sensibilisierungs- und Diskussionsveranstaltung unter einer großen Zeltplane an einem öffentlichen, zentralen Platz im Stadtteil Didaouré. Ca. 100 Menschen nahmen an der Veranstaltung teil; gekommen waren insbesondere viele Jugendliche und Frauen, auch in Sokodé lebende Migrant_innen aus den westafrikanischen Nachbarländern wurden eingeladen. Begonnen wurde mit einem Gedenken an alle auf der Reise verstorbenen und ermordeten Migrant_innen. Es gab Grußworte und Gebete des Stadteilimams und städtischer Repräsentant_innen. Die Aktivist_innen der ATE hielten Ansprachen zu den Schikanen und Hürden bei Visavergabe und Grenzübertritt, zur Situation abgeschobener Migrannnt_innen, zu den tödlichen Gefahren in der Wüste und im Meer und zu den aktuellen Plänen der EU zur Verschärfung des Migrationsregimes.

Es entwickelte sich eine rege Diskussion mit den Anwesenden. Diese formulierten als Forderungen:

  • Der togoische Staat muss die Reisefreiheit seiner Bürger_innen unterstützen; es muss legale, sichere Migrationswege geben, um dem Sterben in der Wüste und im Meer einhalt zu gebieten.
  • Als Ausweg aus der schlechten wirtschaftlichen Situation der Stadt muss der Aufbau von Handwerks- und Industriebetrieben gefördert werden; für die jungen Menschen müssen Arbeitsplätze geschaffen werden, um ihnen eine Alternative zur Migration, eine Perspektive des Bleibens, zu bieten.
  • Es wurde beklagt, dass junge Menschen, die im informellen Sektor mit Tätigkeiten wie Verkauf selbst abgefüllter Benzinflaschen ihren Lebensunterhalt verdienen, häufig von der Polizei schikaniert und bestraft werden.
  • Einige erhoben die Forderung nach Bewegungsfreiheit und betonten, dass sie sich durch keine Art von Mauern und Beschränkungen würden aufhalten lassen.

Zusätzlich gab es an dem Aktionstag eine Radiosendung der ATE in einem der Lokalradios, die auch über die anderen Radiostationen weiter übertragen wurde. Die ATE bekam für die Veranstaltung sehr positiven Zuspruch, mit der Anfrage nach weiteren solchen Terminen in allen Stadtteilen.

Kontakt zur Togoischen Vereinigung der Abgeschobenen: atesoko@live.fr

Station III: Kita (Mali)

In Kita in Mali hat eine Versammlung mit 200 Teilnehmer_innen stattgefunden, zu der auch der Präfekt und der Bürgermeister eingeladen waren. Ein ausführlicher Bericht mit Bildern folgt in den nächsten Tagen.