Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

Bericht Bamako-Station (Aktionskette 2008)

Station Bamako (Mali) der Transnationalen Kette migrationsbezogener Aktionen am 15. und 16. März 2008

Bericht von all included/Amsterdamm

19. April 2008. Am 15. und 16. März 2008 nahmen in der malischen Hauptstadt Bamako rund 200 Menschen an einem Treffen zu Migration und Abschiebung teil. Das Treffen hatte die AME, eine selbstorganisierte Gruppe Abgeschobener, organisiert. Die Assoziation der Abgeschobenen Malis wollte die Erfahrungen der aus Europa und afrikanischen Ländern Abgeschobenen an die “Ausreise-KandidatInnen” weitergeben und über die Repressionen gegen Papierlose in Europa sprechen. Außerdem sollte die beinah vollständige Abschottung der erweiterten europäischen Grenzkontrolle gegenüber Afrika Thema sein. Das AME-Treffen stellte einen Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen Abschiebung und für Bewegungsfreiheit in Afrika und demselben Kampf in Europa her. Bamako ist eine von zehn Stationen der Transnationalen Kette migrationsbezogener Aktionen.

Nach der Eingangsrede stürmen zwölf junge Männer durch eine Seitentür herein. Sie nehmen das Publikum mit nach Paris, wo ein malischer Papierloser während der Arbeit festgenommen, gefesselt und abgeschoben wird. Das ist Nyogolon, eine Form des Straßentheaters über aktuell diskutierte Ereignisse in Mali, eine Theaterform mit Humor und Selbstironie. Das Publikum reagiert spontan mit lautem Schreien und Lachen auf die Performance. Der zweite Sketch handelt von der „Abenteuerroute“, der Reise von Bamako durch die Sahara, Algerien und Marokko nach Ceuta und Melilla in der Hoffnung, Europa zu erreichen. Nach diesen Szenen erzählen einige vor kurzem abgeschobener Leute über ihre 'Erlebnisse. Die Anwesenden hören aufmerksam zu.

Die anschließende Diskussion über Migration, Abschiebung, Widerstand und Entwicklung ist erstaunlich heftig und offenherzig. Nicht nur die europäische Repression wird radikal abgelehnt, auch die Verantwortung der malischen Regierung und der Afrikanischen Union wird benannt. Malische MinisterInnen werden als PolitikerInnen dargestellt, die sich nur um ihren eigenen „Sessel“ sorgen, die niemanden repräsentieren und die Migrationsmanagement als Einkommensquelle betrachten. Lautes Klatschen und Gelächter folgt den radikalen Erklärungen der Sprechenden (JournalistInnen, AkademikerInnen, Jugendliche, LehrerInnen, GewerkschafterInnen, Abgeschobene und NGOs). Der Vertreter der malischen Regierung im Publikum verteidigt sich unter anderem, indem er abstreitet, dass Konsulate in europäischen Ländern eine Vergütung erhalten, wenn sie Reisedokumente für die Abschiebung herbeischaffen. Diese Leugnung ruft wütende Reaktionen im Publikum hervor. Wir müssen bis zum Letzten gehen, “aller jusqu'au bout”, ist das vorherrschende Gefühl während des Treffens.

Der Abschlusskommentar – der Appell von Bamako – richtet sich direkt gegen die Auslagerung der europäischen Grenzkontrollen, durch die afrikanische Regierungen als mitschuldig an der Demütigung von Reisenden ohne Visum angesehen werden. Der Appell von Bamako lehnt die Rückübernahmeabkommen und die neue Rückkehrerrichtline der EU ab und fordert die Legalisierung der Papierlosen und die Wiederzusammenführung von Familien. Außerdem ruft er dazu auf, jegliche Kooperation mit der Europäischen Grenzagentur Frontex und die Eröffnung des CIGEM, des internationalen Zentrums für Migrationsmanagement in Bamako zu stoppen. Diese Arbeitsagentur für zirkuläre Migration, ein Pilotprojekt der EU, soll einen Beitrag zum Kampf gegen irreguläre Migration leisten. Die zehn Millionen Euro für diese „Migration á la carte“ werden aus Mitteln des Entwicklungsbudgets finanziert. Die MalierInnen sprachen von „Kleenex Arbeitern“, weil Wanderarbeiter damit nach dem Gebrauch weggeworfen würden wie Papiertaschentücher.

Das neue Zentrum für Migrationsmanagement verdeutlicht die Dringlichkeit dieses Treffens in Bamako. Als Transitland nach Mauretanien, Senegal und Algerien/ Marokko ist Mali von strategischer Bedeutung. Bamako ist oft der Anfang und manchmal das Ende einer Reise in den europäischen Traum. Gleichzeitig ist Mali eines der ärmsten Länder der Welt. Ein Drittel der 11 Millionen EinwohnerInnen ist unterernährt. Das Geld, das die vier Millionen im Ausland arbeitenden MalierInnen zurücksenden, ist unabdinglich für die malische Wirtschaft.
Die Assoziation der Abgeschobenen Malis hat die Bedeutung der neusten Entwicklungen verstanden. Bis vor Kurzem bestanden ihre Aktivitäten darin, Druck auf die malischen Behörden und die Zivilgesellschaft auszuüben, und den Deportierten am Flughafen Bamako-Sénou direkt zu helfen. Im Durchschnitt finden monatlich rund 50 solcher Abschiebungen statt. Drei Wochen nach dem Treffen, am 6. April, landete eine Chartermaschine mit 124 aus Lybien deportierten Maliern in Bamako.

Während des Treffens erklärte die AME, dass sie in ihre Aktionen jetzt auch die so genannten “refoulés” einbeziehe. Im Juli 2007 besuchte eine Delegation der AME Tinzawaten, einen malischen Weiler an der algerischen Grenze, 1750 Kilometer entfernt von Bamako. 800 bis 1.000 AfrikanerInnen überleben dort unter unmenschlichen Bedingungen zwischen den Felsen. Sie sind „AusreisekandidatInnen“ und „Zurückgeschickte”, die während ihres Versuchs, nach Europa zu gelangen, festgenommen, eingesperrt und abgeschoben wurden: „Lauft geradeaus, ihr seid in Mali“. Erstere warten auf eine Gelegenheit, in den Norden zu kommen, letztere wollen zurück nach Hause gehen, haben aber kein Geld oder können sich nicht vorstellen, mit leeren Händen zurückzukehren, nachdem so viel in ihre Reise investiert wurde. Es gilt „l´Europe ou la mort“, Europa oder der Tod. Sie überleben von drei Broten und einem Liter Milch am Tag für sechs Personen. In der Oase von Tinaouatine, der „Stadt in der Gott nicht existiert“, leben ebenfalls Hunderte „Zurückgeschickter“ unter prekären Bedingungen.

Die AME hat nun eine „Antenne“ an der algerischen Grenze. Modibo Diakite ist extra zu dem Treffen in Bamako angereist, wofür er seine blaue Wüstenkleidung gegen ein Paar Hosen und ein weißes T-Shirt eingetauscht hat. Obwohl er keiner der Redner ist, hat er eine Menge über seine Arbeit zu erzählen. Modibo nimmt Kontakt zu den „refoulés“ auf, indem er Polizeistationen und Verstecke besucht. Seit dem 11. November 2007 und dem 6. März 2008 hat er 597 Menschen ausfindig gemacht, die Hilfe brauchten, davon 357 MalierInnen und 230 aus Ländern wie Senegal, Burkina Faso, Kamerun und dem Kongo. Sieben Lastwagen mit jeweils mindestens 50 Menschen darauf werden jede Woche an der malisch-algerischen Grenze „ausgeleert“ – doppelt so viele wie vor einigen Monaten. In Algerien wurden zwischen 2000 und 2007 mindestens 40.000 MigrantInnen mit 54 Nationalitäten ohne Verfahren und unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Im selben Zeitraum wurden 27.500 MigrantInnen in der Wüste an der Grenze zu Niger und Mali ausgesetzt. Dutzende starben dort.

Die AME berichtete über die erfindungsreiche Rettungslinie, die sie in dieser Gegend errichtet hat. Modibo hat eine Teestube, wo die Zurückgeschickten auf Kredit und zum Selbstkostenpreis essen können. Wenn nötig, organisiert er medizinische Versorgung und ruft ihre Familien in Europa oder Afrika an, damit sie Geld für den Transport aus der Gegend schicken. Die AME hat erreicht, dass den Zurückgeschickten, die keine Papiere mehr besitzen, im Postbüro Passierscheine ausgestellt werden können. Wenn über Western Union Geld bei der AME in Bamako eingegangen ist, wird der Transport von „refoulés“ in ihre Dörfern organisiert. Viele Nicht-MalierInnen stranden jedoch in Bamako, wo sie in Bushaltestellen, auf Märkten oder in überfüllten Zimmern bleiben.

Im letzten Jahr berichteten die malischen Nachrichten, dass 17 malische Grenzposten nahe Mauretanien und Algerien von der EU und Frontex beliefert würden. Seit inzwischen vier Monaten benutzen diese Posten Infrarotkameras, Allradfahrzeuge und andere Kommunikationsausrüstung, um alle möglichen illegalen AuswanderInnen zu orten. Die AME nimmt an, dass die gegenwärtige irreguläre Migration stark von der Europäischen Politik und der Sicherheitspolitik von Frontex beeinflusst ist. Deshalb betreibt die AME Nachforschungen über Frontex in Mali und wird sich vermutlich am Aktionstag am 6. Juni gegen Frontex (Station Warschau) beteiligen. Während des Treffens in Bamako erstellte die AME ein Transparent, um ihre Verbindung mit der Transnationalen Kette migrationsbezogener Aktionen sichtbar zu machen. Dieses Transparent wird in den nächsten Monaten zu den anderen Stationen reisen.

Am ersten Abend des Treffens gab es ein Konzert mit verschiedenen malischen MusikerInnen, darunter der berühmte Reggaestar Tiken Jah Fakoly. Tiken Jah war selbst Exilant seines Heimatlandes Elfenbeinküste, erhielt dann politisches Asyl in Mali und wurde im Senegal zur persona non grata abgestempelt, nachdem er Kritik am Präsidenten geübt hatte. Er singt politische Texte „Öffnet die Grenzen, lasst uns durch“, „Nein zur Beschneidung von Frauen“ und ist ein Idol für Millionen AfrikanerInnen, die sich entrechtet und unterdrückt fühlen.

Das erfolgreiche zweitägige Treffen endete mit dem “Appell von Bamako 2008” und mit dem Aufruf an alle Sans-Papiers, abgeschobenen und zurückgeschickten AfrikanerInnen, jenseits der Scham, aus der Klandestinität herauszutreten und für ihre Rechte zu kämpfen.