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Almeria: Die SOC im Dienst der »Rechtlosen«

Von Spitou Mendy

Wenn man die Bejahung und die Achtung der Menschenrechte als Zeichen für eine fortschrittliche Gesellschaft sieht, so muss paradoxer Weise festgehalten werden, dass seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die industrielle Entwicklung und die damit einhergehende Urbanisierung, die sozialen Fortschritt und Komfort hervorbrachten, allzu oft dazu führen, dass die Ausübung eben dieser Rechte gefährdet werden.
In Almeria, im Südosten Spaniens, sind seit den Pogromen in El Ejido vom Februar 2000 Angst, Zurückweisung, sowie schwierige Lebens- und Arbeitsbedingungen von MigrantInnen Teil des Alltags geworden.
Angesichts der Dringlichkeit, sofortige, mittelfristige und auch langfristige Lösungen für diese Situation zu finden, hat sich die Gewerkschaft SOC (syndicato de HYPERLINK “mailto:obrer@s“obrer@s del campo – auf deutsch LandarbeiterInnengewerkschaft) entschlossen, den Kampf gegen die vielfältigen Hindernisse bei der Durchsetzung der Menschenrechte aufzunehmen.
Dieser Kampf um die Menschenrechte konkretisiert sich im täglichen Leben rund um mehrere Achsen. Dabei geht es um das Recht auf:

  • Identität
  • Arbeit und würdigen Lohn
  • ein Dach über dem Kopf
  • Familienleben
  • wahrheitsgemäße Information, Vereins- und politisches Leben usw.

Der Kampf für ArbeiterInnen, die am Rand der Kämpfe stehen

Die MigrantInnen im Allgemeinen und die « Papierlosen » im Besondern stehen seit Langem abseits des Kampfes. Sämtliche Gesetzgebungen kriminalisieren sie und schließen sie von jeglicher sozio-ökonomischen Realität aus. All das erinnert stark an die Praktiken des politischen und ökonomischen Liberalismus, der die Ausbeutung der proletarischen Klassen im Europa der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichte: Versammlungs- und Vereinsverbot (z.B. das Gesetz von Chapelier in Frankreich), Anstellung mit Arbeitsbuch, ausserdem die Tatsache, dass die Justiz den EigentümerInnen aufs Wort glaubt, während die ArbeiterInnen Beweise liefern müssen.
Die massenhafte Ankunft von papierlosen in Almeria ist für viele der Agrar- Unternehmen eine Wohltat. Das Gesetz verbietet, sie anzustellen – theoretisch…

Der Kampf um Identität

Die SOC steht hinter der Parole « Kein Mensch ist illegal ». Um dies zu erreichen, fordert die SOC seit dem Jahr 2000 « Papiere für alle ». Die SOC mobilisiert für alle großen Demonstrationen, die zum Ziel haben, die uneingeschränkte Regularisierung der Papierlosen zu erreichen. Die SOC ist außerdem Mitglied des andalusischen Netzwerks zur Verteidigung der sozialen Rechte sowie des spanienweiten Netzwerks für die Rechte der MigrantInnen.
Die SOC bekämpft die AusländerInnengesetzgebung, denn sie ist der Auffassung, dass « ein Gesetz, das die Diskriminierung einer gesellschaftlichen Gruppe festschreibt, oft nur eine gesellschaftliche Zurückweisung in eine Form gießt, legalisiert und verstärkt, die das kollektive Bewußtsein der Mehrheit widerspiegelt. »

Kampf um das Recht auf eine geregelte Arbeit und einen menschenwürdigen Lohn

Angesichts der Tatsache, dass mehr als 90% der landwirtschaftlichen ArbeiterInnen in der Provinz Almeria MigrantInnen ohne Papiere sind, kämpft die SOC für die Anerkennung der Arbeit der « Illegalen ». Eine bedeutende Frage. Denn: Alle wissen, dass der spanische Staat Menschen ohne Papiere per Sonderflügen von den Kanarischen Inseln nach Almeria fliegt. Nach ihrer Ankunft in Almeria sind sie polizeilicher Repressionen ausgesetzt, die sie dazu zwingen, sich quasi unsichtbar zu machen. Auf diese Weise geschwächt, sind sie leichter zu handhaben und leichter auszubeuten. Und wie ein senegalesisches Sprichwort sagt: «Wer keine Mutter hat, lässt sich von seiner Großmutter säugen » (sprich: wenn man nicht das kriegt, was man will, begnügt man sich mit dem, was man hat). In der Tat: besser ein Elendslohn als gar keiner.
Im April 2007, anlässlich der Eröffnung ihres neuen Lokals in San Isidro, in der landwirtschaftlichen Region von Nijar, brachte die SOC alle AkteurInnen der sozialen Bewegungen der Provinz an einen runden Tisch um folgende brennende Themen zu behandeln:
Anwerbung von MigrantInnen in ihren Herkunftsländern für die industrielle Landwirtschaft
Forderung nach Rechten und Verteidigung von Rechten
ökologische Konsequenzen der Landwirtschaft in Almeria
Grenzen der mediterranen Landwirtschaft und ihre sozialen Folgen

Die Sicherheit…

Wenn wir von Sicherheit sprechen, dann sprechen wir nicht von jener sozialen Sicherheit, die theoretisch durch den Artikel 22 der universellen Deklaration der Menschenrechte garantiert wird. Die Papierlosen sind davon ausgeschlossen, denn die Deklaration bezieht sich auf den ArbeiterInnen- Status. Wir sprechen vielmehr vom Schutz des Lebens und der Integrität der Person durch das Gesetz.
Im Laufe der letzten Jahre mußte die SOC eine große Anzahl an Klagen wegen rassistischen Angriffen feststellen, die von Schlägen und Verletzungen bis hin zum Verlust des Lebens reichen. Die meisten dieser Fälle betreffen die marokkanische community in Almeria – eine Großzahl blieb ohne rechtliche Konsequenzen. Die SOC wartet noch immer auf die Festnahme und die Verurteilung der Mörder von Azzouz Hosni, nachdem sie alle Klagen begleitet und unterstützt hat.
Am 1. Oktober 2007, nach einer Kampagne gegen die willkürliche Festnahme dreier marokkanischer Arbeiter durch die guardia civil, gab die SOC, unterstützt vom Sozialforum in Almeria und der andalusischen CGT, eine Pressekonferenz, um den schlussendlichen Freispruch der Genossen zu feiern, der einige Tage zuvor stattgefunden hatte.
Am 24. November 2007 wurde in Almeria ein Protest- Sit-in abgehalten, um gegen Agressionen, Ausgrenzung und Rassismus zu protestieren.

Wohnbedingungen

Ausgehend von der Tatsache, dass die meisten westlichen Länder umfangreiche Sozialprogramme geschaffen haben, um jeden Bürger und jeder Bürgerin das Recht zu garantieren, ein Dach über dem Kopf zu haben, kritisiert die SOC die Tatsache, dass die Behörden den MigrantInnen in El Ejido seit langem mehrere hundert Wohnungen vorenthalten – denn nicht wenige schlafen unter freiem Himmel oder in Kartonhütten und Chabolasin der Nähe der Gewächshäuser.
Die Mieten steigen Tag für Tag, ohne Rücksicht auf die Notlage der ärmsten und angreifbarsten Klassen. Der größte Skandal ist die Umwidmung und Vermietung von Garagen zum Preis einer Villa – bis zu zehn MigrantInnen sind in diesen Fällen gezwungen, sich zusammenzuschließen, um in der Lage zu sein, gemeinsam die Miete zu bezahlen.

Das Recht auf Familienleben und auf Familienzusammenführung

Angesichts der Versuche, die Migrationsströme nach Spanien um jeden Preis einzudämmen, hat die Ausländerbehörde der Provinz im April und im Mai diesen Jahres in der Ausländergesetzgebung eine Zusatzklausel verabschiedet, mit dem Ziel, die Familienzusammenführung für MigrantInnen massiv zu erschweren: Es muss 6 Monate Lohn- Bezug nachgewiesen werden, ausserdem muss der/die AntragstellerIn für jedes Familienmitglied 320 Euro pro Monat bereit haben. Die SOC mobilisierte gegen diese Mißstände und gab am 29. Juni 2007 eine Pressekonferenz vor der Präfektur. Gezwungen zu sein, von zu Hause wegzugehen, ist bereits ein drama; nicht die Möglichkeit zu haben, die eigene Familie wieder zusammen zu bringen, ist eine noch größere Tragödie. Die MigrantInnen werden oft über die Dauer von mindestens fünf oder sechs Jahren von ihren Familien abgeschnitten.

Recht auf Information, Recht auf Gründung von Vereinen und politischen Organisationen

Haben die Papierlosen denn mindestens ein Recht auf Information, ein Recht auf die Gründung von Vereinen und politischen Organisationen? Für die SOC besteht in dieser Hinsicht kein Zweifel, selbst wenn Migrations- Gesetzte, die die PP (Partido Popular, rechte Volkspartei, Anm.) im Jahr 2000 eingeführt hat, dies zurückweist.
Hervorzuheben ist allerdings, dass erst am 8. November 2006 der Verfassungsgerichtshof die Artikel 7.1, 8 und 11.1 für verfassungswidrig erklärt hat, die den Papierlosen das Recht verwehren, sich zu versammeln sowie Vereine oder Gewerkschaften zu gründen!
Die SOC hat bereits seit dem Jahr 2000 öffentliche Versammlungen und Informationsveranstaltungen mit den migrantischen ArbeiterInnen abgehalten. Was die gewerkschaftliche Aktion betrifft, so besuchen die AktivistInnen die ArbeiterInnen an ihren Wohnorten, um mit ihnen über ihre Rechte und Aufgaben zu sprechen sowie über die Notwendigkeit, sich der Gewerkschaft anzuschließen, damit alle ArbeiterInnen im Kampf geschlossen auftreten können.

Die Verletzung von Menschenrechten ist eine Realität, die durch alle Epochen der Geschichte bis zur heutigen Zeit Realität ist – trotz aller Anstrengungen der westlichen Gesellschaften, diese zu Überwinden. Heute ist es das traurige Los der hunderttausenden migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Papiere, die uns diese Tatsache immer wieder vor Augen führt.
Angesichts der Tatsache, dass Rassismus und skrupellose Ausbeutung nach wie vor existieren und strafrechtlich nicht verfolgt werden, kann sich die SOC nicht damit zufrieden geben, Spielball der Marcht zu bleiben. Vielmehr versucht sie, Subjekt der Geschichte und Akteurin für die Zukunft zu sein: Es reicht nicht aus, auf Rechte zu zählen und mit ihnen zu rechnen – wir müssen jederzeit bereit sein, sie zu verteidigen und unsere Meinung laut kundzutun.

Spitou Mendy
Gewerkschafter der SOC in Almeria/Andalusien

Am 13. Februar 2005 erstachen fünf Jugendliche den 40 jährigen Marokkaner Azzouz Hosni, als er in El Ejido aus einer Bar kam. Ohne Untersuchung des Vorfalls waren sich die Polizei und die Medien sofort einig: es handle sich um einen Konflikt im Drogenmilieu. Parallel dazu schloss der Delegierte der Zentralregierung in Almeria einen rassistischen Hintergrund der Tat aus. Azzouz Hosni war Mitglied der SOC, die eine sofortige Untersuchung des Falles verlangte – ohne Resultat. Die Verantwortlichen der SOC in Almeria betonen, dass der Ermordete nie mit Drogen zu tun hatte. Er arbeitete seit fünf Jahren in El Ejido in den Plastiktunnels oder auf dem Bau und wohnte in einer Hütte aus Plastikresten. Für die SOC ist klar: Es handelte sich um eine rassistische Mordtat – ein trauriger Höhepunkt in der Reihe von rassistischen Übergriffen, die bis heute vorkommen.
Chabolas sind notdürftig zusammengebastelte Hütten, meist in verfallenen Gewächshäusern oder in der Nähe von landwirtschatlichen Gebäuden.