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11.05.2013 | „Konflikte entladen sich“

Interview mit Bernhard Böddeker, Dezernent für Sicherheit, Ordnung und Kommunales im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, erschienen in Mitteldeutscher Zeitung

Der Tod Saizon Cosmos hat eine Diskussion um die medizinische Versorgung von Flüchtlingen entfesselt. Die Vorwürfe wertet Bernhard Böddeker, der Dezernent für Sicherheit, Ordnung und Kommunales im Landkreis, als überzogen. Er sieht den Fall auch als politische Instrumentalisierung. Im Interview mit Lisa Garn erklärt Böddeker, welche Behandlungskosten für Flüchtlinge übernommen werden und welche nicht. Und: Der Landkreis will eine neue Strategie fahren – mehr Flüchtlinge sollen in Wohnungen untergebracht werden.

Der Fall Saizon Cosmo erhitzt noch immer die Gemüter. Was hat der Tod des 33-Jährigen in Ihnen ausgelöst?

Böddeker: Es ist sehr tragisch und traurig. Dass ein Mann, der an einer Krankheit litt, nach der Operation stirbt, ist zutiefst zu bedauern. Aber man muss angesichts der schweren Vorwürfe auch sagen: Ich kann die Kritikpunkte nicht nachvollziehen. Er wurde umfassend medizinisch behandelt.

Wie gefährlich ist es, als Flüchtling in Deutschland krank zu werden?

Böddeker: Überhaupt nicht. Grundsätzlich bekommen sie – egal, ob der Asylantrag abgelehnt wurde oder das Verfahren noch läuft – jede notwendige medizinische Versorgung. Vom Hausarzt über schwierige Operationen bis hin zur Nachsorge. Alle notwendigen Krankenkassenleistungen werden bezahlt.

Aber was heißt „notwendig“? Welche Behandlungen werden nicht übernommen?

Böddeker: Die nicht notwendigen, also beispielsweise eine Schönheitsoperation. Auch bei zahnärztlichen Behandlungen gibt es Einschränkungen: Es ist schwieriger, einen Zahnersatz zu bekommen. Wenn jemand nicht mehr kauen kann, gibt es natürlich einen – aber eben einen einfachen, kein Goldinlay oder so etwas.

Flüchtlinge sind mitunter traumatisiert. Warum bekommen so wenige eine psychiatrische Behandlung?

Böddeker: Nicht, weil wir nicht wollen, sondern weil wir in diesem Bereich einen Ärztemangel haben. Prinzipiell könnten sie eine Therapie machen, aber im Landkreis fehlen Psychiater. Wir haben zwar auch eine psychiatrische Tagesklinik, die niederschwellige Angebote für jeden macht. Aber auch für diejenigen, die nicht asylsuchend sind, ist es schwierig, einen Platz zu bekommen.

Der Flüchtlingsrat kritisierte: Auch die Kosten für Orthopäden würden teilweise nicht übernommen.

Böddeker: Da besteht das gleiche Problem – es gibt zu wenig Orthopäden im Landkreis. Aber tatsächlich werden manche Kosten nicht übernommen. Der Bereich Orthopädie geht sehr weit, man muss dann im Einzelfall schon fragen: Ist das wirklich nötig oder nicht?

Ist es denn zumutbar, dass der Kranke erst einmal zum Sozialamt muss, um eine Kostenübernahme zu beantragen?

Böddeker: Asylsuchende haben keine Chip-Karte und sind nicht privat versichert. Deshalb braucht es diesen bürokratischen Weg: Ärzte müssen wissen, ob die Kosten bezahlt werden. Man mag das als Erschwernis sehen, ich halte den Aufwand für zumutbar. Es gab auch noch nie Probleme. Und es ist ja so: Wer akut krank ist, ruft den Rettungsdienst oder geht zum Arzt. Der ruft dann bei uns an und fragt, wie es mit der Kostenübernahme aussieht. Das ganze Prozedere ist oftmals weniger eine Frage des Amtes, sondern der Ärzte.

Weil die nicht erfreut sind, wenn die Kostenübernahme unklar ist?

Böddeker: Manche sind vielleicht empfindlicher, weil sie teilweise die Erfahrung machen, dass Geld für die Behandlung nicht kommt. Da sieht man eine Akut-Behandlung eines Asylsuchenden möglicherweise als Risiko.

Machen Ärzte einen Unterschied in der Behandlung? Das kritisieren Flüchtlingsorganisationen.

Böddeker: Das kann ich nicht bestätigen. Asylsuchende werden nach normalen deutschen Standards behandelt. Da machen Ärzte und Krankenhäuser keinen Unterschied.

Die Gemeinschaftsunterkunft Friedersdorf steht zum wiederholten Mal in der Kritik. Mal abgesehen davon, dass sie die gesetzlichen Vorschriften erfüllt – ist sie tatsächlich zumutbar?

Böddeker: Es ist eine Standardunterkunft. Sicher mag es bessere geben, aber sie entspricht eben den Auflagen, und ihr Zustand ist in Ordnung.

Nur „in Ordnung“ reicht offenbar nicht aus. Die Kritik ist ja permanent – ob auf die Lage am Rande der Gesellschaft oder die hygienischen Bedingungen bezogen.

Böddeker: Die Grundsituation ist doch die: Dort leben 155 allein reisende Männer in einer sozial sehr schwierigen Situation. Sie sind heimatlos. Bei allen wurde der Asylantrag abgelehnt, sie sind permanent von Abschiebung bedroht. Das wissen sie auch. Hinzu kommen ethnische und religiöse Unterschiede sowie Langweile. Sie dürfen nicht arbeiten, das Geld reicht nur für ein bescheidenes Leben. Es fehlt ihnen also eine Perspektive. Da kommt es zur Unruhe. Jeder fühlt sich ungerecht behandelt, die Konflikte entladen sich. Wir haben Verständnis für diese schwierige Lage. Diese Unterkunft stellt auch den Betreiber vor hohe Anforderungen.

Die Männer fühlen sich rassistisch behandelt, die Heimleitung soll Briefe der Ausländerbehörde zurückgehalten haben.

Böddeker: Wir haben dort kein Rassismus-Problem, sondern eben ein soziales. Und das ist schwer zu lösen. Verständigt haben wir uns darauf, dass die Postwege verändert werden. Ich habe aber insgesamt den Eindruck, dass diese Konflikte politisch instrumentalisiert werden. Seit einiger Zeit sind politische Vertreter schnell dabei, zu übertreiben und zuzuspitzen, wenn es um die Gemeinschaftsunterkunft Friedersdorf geht.

Die Menschen dort leben am Rande der Gesellschaft isoliert unter sich. Was hat das noch mit einer Willkommenskultur zu tun?

Böddeker: Die Schwierigkeit ist: Sie wollen integriert werden, sollen es aber nicht. Denn sie werden das Land verlassen müssen. Man würde ihnen den Weg zurück erschweren, würde man sie zu stark integrieren. Man will ihnen keine Hoffnungen machen. Wir können das nicht ändern, auch wenn Interessengruppen das wollen.

Dennoch: Wäre eine verstärkte dezentrale Unterbringung in Wohnungen ein Weg?

Böddeker: Wir müssen in jedem Fall daran arbeiten, dass sich die Situation in Friedersdorf entspannt. Das Gesetz sagt: Asylsuchende sollen zentral in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, was übrigens extrem teuer ist – wer länger im Land ist und gut zurecht kommt, soll eher in Wohnungen untergebracht werden. Momentan trifft das im Landkreis vor allem auf Familien zu. Mittelfristig will der Landkreis allerdings mehr Asylsuchende in Wohnungen unterbringen.

Aber?

Böddeker: Die Verteilung ist enorm schwierig, außerdem muss eine Betreuung gewährleistet sein. Man muss aufpassen, wie man das anpackt: Die Menschen sollten möglichst zentral wohnen – aber wir können sie auch nicht in Blocks in Wolfen-Nord unterbringen. Das Risiko für eine Art Ghettobildung wie in Berlin oder im Ruhrgebiet ist dann sehr groß und damit die Gefahr sozialer Spannungen. Andererseits: Das Angebot an kleinen Wohnungen ist begrenzt. Das Ganze muss wohl abgewogen sein. Wir arbeiten daran. Aber: Wir werden nie alle dezentral unterbringen können.