Für Bewegungsfreiheit & selbstbestimmte Entwicklung!

Zweiter Rundbrief an die UnterzeicherInnen der Deklaration „Freiheit statt Frontex“

Liebe FreundInnen und Freunde!

„Die offene Umbruchsituation in Tunesien legt es nahe, sich unmittelbare Eindrücke zu verschaffen, zu lernen, was dort schon passiert und weiter möglich ist, die entstandenen Kontakte zu vertiefen bzw. neue zu knüpfen.“ Wir hatten es in unserem letzten Schreiben schon angedeutet, und kommendes Wochenende ist es nun soweit: eine kleine Reisedelegation macht sich auf den Weg nach Tunis. Die gesamte Ankündigung findet sich angehängt, und mit Ausschlag gebend für die Entscheidung zu dieser Erkundungstour war das direkte Zusammentreffen mit Aktiven aus Tunesien in einer Konferenz Anfang April in Berlin (die von Borderline Europe und der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert worden war).

Gleichzeitig waren die sich überschlagenden Ereignisse in Nordafrika via Migration gleich doppelt in Europa angekommen. Zum einen im weiteren Sterben an den Grenzen, nachdem am 6.4. erneut über 250 Menschen vor Lampedusa ertrunken sind. Sie kamen im überfüllten Boot von der libyschen Küste, darunter aller Wahrscheinlichkeit nach viele eritreische und somalische Flüchtlinge, deren Evakuierung in Appellen u.a. auch von Pro Asyl und Medico International an die Kanzlerin Merkel gefordert und möglich gewesen wäre. ?Zum zweiten in den wieder errichteten Grenzkontrollen durch die französische Regierung und zumindest angedroht auch von der deutschen, die sich vor allem gegen die tunesischen MigrantInnen richten. Es sind bislang maximal 30.000 Menschen, die sich mit der demokratischen Revolution in Tunesien das Recht auf Bewegungsfreiheit genommen haben und in Italien angelandet waren. Die Verantwortlichen in Rom, Paris und Berlin nehmen dies nichtsdestotrotz zum wechselseitig streitenden Anlaß, in rassistischer Manier eine „gefährliche Flutwelle“ zu beschwören, kurzerhand die Schengen-Verträge außer Kraft zu setzen und die innereuropäischen Grenzpfähle wieder hochzufahren. Die zugespitzte Situation und die Widersprüche zwischen den europäischen Regierungen zeigen die Brüchigkeit des EU-Grenzregimes und machen deutlich, dass die Frage der Migrationskontrolle in Nordafrika von entscheidender Bedeutung bleibt. Profitieren soll und will aus dieser Situation nicht zuletzt Frontex, und zwar weit über die Operation Hermes hinaus mit der massiven Ausweitung der finanziellen und technischen Mittel als auch der Kompetenzen der Grenzschutzagentur. „Freiheit statt Frontex“ bleibt insofern höchstaktuell und wir werden uns nach der Tunesien-Reise nochmal mit einem weiteren Rundschreiben melden.

Mittlerweile liegt der Aufruf “Freiheit statt Frontex” in sechs Sprachen vor und kann hier oder auf der Webseite von w2eu herauntergeladen werden.

Mit besten Grüßen aus dem Redaktionsteam von

Welcome to Europe, Afrique-Europe-Interact und Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung

Freiheit statt Frontex – Keine Demokratie ohne globale Bewegungsfreiheit: Transnationaler Austausch in Tunesien in Vorbereitung

Im März dieses Jahres haben die drei migrations-politisch aktiven Netzwerke Welcome to Europe, Afrique-Europe-Interact und kritische Migrations- und Grenzregimeforschung die Deklaration „Freiheit statt Frontex“- veröffentlicht. In diesem Text, der in 6 Sprachen vorliegt findet sich eine deutliche Positionierung, sowohl für den revolutionären Aufbruch in der arabischen Welt als auch gegen die machtpolitischen Interessen der EU, in unserem Kontext insbesondere gegen den Erhalt bzw. Wiederaufbau eines rassistischen Migrationsregimes.

Es ging uns bei dieser Intervention auch um eine klare Absage an die gewaltförmige EU-Außenpolitik, die ihre Nachbarstaaten überwiegend als Vollstrecker ihrer sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen missbraucht. Oder – wie es ein tunesischer Aktivist unlängst in Berlin auf einer Konferenz formulierte: Es geht um den Bruch mit der herrschenden Kontinuität in den Beziehungen zwischen der EU und den Regierungen, die von den demokratischen Bewegungen in den arabischen Ländern aufgebaut werden.

Um diese Deklaration auch praktisch werden zu lassen, planen einige aus dem Umkreis der drei Netzwerke, die an unterschiedlichen Punkten zu der Externalisierung des Grenzregimes arbeiten, im Mai eine Recherche- und Kontaktreise nach Tunesien. Wir wollen ausloten, ob und wie eine längerfristige Zusammenarbeit mit Gruppen in Tunesien entwickelt und unterstützt werden kann. Ist es gemeinsam möglich, die Installierung eines neuen Wachhundregimes, wie es die EU derzeit versucht, zu verhindern oder jedenfalls zu stören? Ist z.B. eine gemeinsame Kampagne gegen das Visumsregime gewünscht und denkbar? Wie also können wir die Forderungen nach Bewegungsfreiheit – sowohl der tunesischen Reise- oder Emigrationswilligen wie auch der subsaharischen Transitflüchtlinge oder -migrantInnen – konkret aufgreifen und praktisch unterstützen?
Einige von uns waren Anfang des Jahres mit Afrique-Europe-Interact in der Westafrika-Karawane unterwegs, einige sind beim Netzwerk Welcome to Europe und der Anti-Frontex-Kampagne aktiv. Weiterhin beteiligt sind zwei Vertreter der ABCDS, einer Organisation aus Oujda, die für die Rechte von TransitmigranInnen in Marokko arbeitet. Gemeinsam ist uns das Interesse, mit AktivistInnen im Maghreb zu diskutieren und Strategien für ein anderes Verhältnis zwischen Nordafrika und Europa – besonders was das Migrationsregime betrifft – zu entwickeln.

Für diese Erkundungsreise, die wir Mitte Mai für 5 bis 10 Tage unternehmen wollen, haben wir uns recht kurzfristig entschieden, doch die Zusammensetzung der Reisegruppe ist alles andere als Zufall. Die meisten von uns sind seit vielen Jahren in Projekten an den Außengrenzen involviert, die Situation in Nordafrika haben wir kontinuierlich und mit besonderem Interesse verfolgt. Die offene Umbruchsituation in Tunesien legt es nahe, sich unmittelbare Eindrücke zu verschaffen, zu lernen, was dort schon passiert und weiter möglich ist, die entstandenen Kontakte zu vertiefen bzw. neue zu knüpfen.

Mit diesen Fragen wollen wir nach Tunis, evtl. in Orte im Hinterland, wo der Aufstand begann, sowie zu den Flüchtlingslagern an der tunesisch-libyschen Grenze fahren. Wir bauen dabei auf Kontakte, die über FreundInnen von Boderline Europe entstanden sind, und wir werden die Kooperation mit der zeitgleichen „Liberation without Borders Tour“ der vor allem universitären AktivistInnen suchen.
Wir verstehen dies als kleinen Schritt transnationalen Austauschs, dessen Horizont in schon erwähnter Deklaration treffend formuliert war: „Der Aufbruch in Nordafrika zeigt, was alles möglich ist. Es geht um nicht weniger als um ein neues Europa, ein neues Afrika, eine neue arabische Welt. Es geht um neue Räume der Freiheit und Gleichheit, die es in transnationalen Kämpfen zu entwickeln gilt: in Tunis, Kairo oder Bengazi genauso wie in Europa und den Bewegungen der Migration, die die beiden Kontinente durchziehen.“

Die Reisegruppe von Afrique-Europe-Interact, Welcome to Europe und ABCDS