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Dossier zur sozialen Situation in Mali

Tahirou Bah

Tahirou Bah ist bei der Mouvement sans voix/Bamako aktiv. Die Mouvement sans voix/Bamako ist Teil von Afrique-Europe-Interact und ebenfalls an der Vorbereitung der Bamako-Dakar-Karawane beteiligt. Das vorliegende Dossier zur sozialen Situation in Mali beschäftigt sich mit unterschiedlichen Aspekten – insbesondere mit Landvertreibungen, Privatisierungen, Arbeitskämpfen und den Auswirkungen des Klimawandels auf Mali bzw. Westafrika. Bislang ist nur der erste Teil des Dossiers auf Deutsch übersetzt, die vollständige Fassung findet sich in der französischen Version der Webseite

I Stichworte zur jüngeren Geschichte Malis

Das westafrikanische Land Mali ist seit dem 22. September 1960 unabhängig, es wird geschätzt, dass die Bevölkerung zwischen 12 und 13 Millionen Personen umfasst. Die erste sozialistische Regierung schuf die Basis für zahlreiche Gründungen: Im Zeitraum von acht Jahren (1960-1908) entstanden mehr als vierunddreißig Gesellschaften und nationale Unternehmen. Mali hat zahlreiche Befreiungskämpfe in Afrika unterstützt, so z.B. in Algerien, Guinea-Bissau und Südafrika….

Über die Schaffung nationaler Unternehmen hinaus wurde auch der „Franc-malien“ eingesetzt, einer der Gründe, weshalb die meisten Malier den Präsidenten Modibo Keita, der 1986 von der Armee gestürzt wurde, in guter Erinnerung behalten haben. Nach dem Fall der ersten Republik haben die Militärs das CMLN (Comité militaire de libération nationale, etwa: Militärkomitee zur Nationalen Befreiung) gegründet, inklusive Repressionen gegen die Demokratisierungsforderungen des malischen Volks. Im Jahr 1979 hat das Militärkomitee seinen Platz der von General Moussa Traoré gegründeten Einheitspartei überlassen.

Durch die schlechte ökonomische Verwaltung des letzteren fiel Mali, wie alle Länder der Dritten Welt, in die Fänge der SAP (Strukturanpassungsprogramme), welche von dem IWF durchgesetzt wurden, und diese hinterließen auf ihrem Weg tausende Opfer im öffentlichen sozialen Bereich, wie der Bildung und dem Gesundheitswesen. Konfrontiert mit dieser Pauperisierung gingen Schüler und Studenten Ende der 70er Jahre auf die Straße und forderten die Verbesserung des Bildungssystems, prangerten die Diktatur genauso an wie das Diktat der internationalen Finanzinstitutionen. Diese studentischen Demonstrationen wurden gewaltsam von der Diktatur unterdrückt. Die Bilanz: zahlreiche verhaftete Studenten, der studentische Führer Abdoul Karim Camara, genannt Cabral, ermordet im Jahr 1981.

Im Jahr 1991 hat die malische Bevölkerung dank der Demokratisierungsbewegungen, die ganz Afrika aufrüttelten, die 23jährige Diktatur abgeschüttelt. Der Preis hierfür sind mehr als 200 Tote und mehr als tausend Verletzte. Im Jahr 1992 wurde Alpha Oumar Konaré zum Präsidenten gewählt. Er führte die wirtschaftliche Liberalisierung in Mali ein, ohne die Schwächen der ökonomischen Strukturen zu berücksichtigen. Dies führte zu der Auflösung aller nationalen Unternehmen in weniger als zwei Jahrzehnten (von 90 im Jahr 1984) z.B.:

  • Huicoma (Baumwollmühle von Mali)
  • Chemin de fer (= Eisenbahn)
  • Compagnie malienne de navigation (COMANAV) (=malische Navigationsgesellschaft)
  • Société des conserves du Mali (SOCOMA) (=malische Konservenfabrik)
  • Société nationale des tabacs et allumettes (SONATAM) (=nationale Tabak- und Zündhölzergesellschaft)

So hatte die Privatisierung folgende direkte Konsequenzen für die Arbeiter: Umsiedlungen von Familien, Entlassung von Kindern aus Schulen, Verlust der Wohnung, Scheidungen, Pfändungen durch Gläubiger, mangelhafte Versorgung von Frauen und Kindern…

Aufgrund dieser massiven Pauperisierung sind viele Malier in Anliegerstaaten ausgewandert, zum Teil in die Elfenbeinküste, manche auch nach Zentralafrika. Daher zählt man mehr als vier Millionen Malier, die in der Welt verstreut sind.

II. Aufkauf städtischer und ländlicher Grundstücke

1. Ländliches / bäuerliches Gebiet

Die Grundstücksspekulation im ländlichen und städtischen Gebiet ist eins der Probleme, welche sich heute in Mali mit Schärfe stellen. Der Aufkauf von fruchtbarem Boden in bäuerlichen Gebieten ist zu einem banalen Phänomen geworden. Es ist nicht grade harmlos, manche hohen Funktionäre dabei zu beobachten, wie sie in voller Straflosigkeit die Bauern betrügen.

Tausende Bauern wurden nach zahlreichen Schwierigkeiten von ihren Feldern im Gebiet des „Office du Niger“ (1) vertrieben. Folgende Faktoren spielten eine wesentliche Rolle: Zahlungen von Wasserabgaben, Bankkredite (in Material oder Geld), Auswirkung der Händler (Agro-Business), Grundstückspekulation etc.

Die Bauern hatten keine Möglichkeit mehr, ihre Felder zu beackern und waren daher gezwungen, entweder als Landarbeiter (wie in den Lateinamerikanischen Fazendas) zu arbeiten oder seine Felder an Händler für wertloses Geld zu verleihen.

Die politische Förderung des „Agro-Business“ durch die malische Regierung nutzt den Händlern und multinationalen Unternehmen vom Typ MONSANTO (in diesem Fall für die Einführung gentechnisch veränderter Organismen), der französische Gruppe des Agro-Business Dreyfus (hat einen Partnervertrag mit einem Händler namens GGB: Grand Grenier du Bonheur (=etwa großer Kornspeicher des Wohls)). Durch die Verleihung des Millenium-Preises an Präsidenten Amadou Toumani Touré durch die amerikanische Regierung wurde die malische Regierung weiter ermutigt. Sie hat tausende Hektar des „Office du Niger“ an Händler und an die lybische Regierung verkauft (letztere mehr als 100.000 Hektar für die Reisversorgung der lybischen Bevölkerung) und ihnen dabei große Vorteile eingeräumt: Steuerbefreiungen im Namen des Investitionsschutzes – eins der Diktate der Weltbank, erleichterter Zugang zu Bankkrediten…

Hinzu kommt, dass hunderte Hektar an Funktionäre in der Verwaltung, Offiziere der malischen Armee, weiterverkauft wurden, da die Bauern die Wassergebühren nicht zahlen konnten und vertrieben wurden. Die verarmten Bauern sind verpflichtet, jedes Jahr Zahlungen an das „Office du Niger“ zu leisten.

„Tatsächlich sind 24% der Oberfläche des Landes Ackerboden. Es werden nur 10% pro Jahr kultiviert, ungefähr eine Millionen Hektar in Mali sind bewässerungsgeeignet, was das höchste Potential in ganz Westafrika darstellt. Man schätzt, dass etwa 630.000 kleine Familienbetriebe in der Landwirtschaft tätig sind, deren durchschnittliche Größe ungefähr 4,5 Hektar pro Haushalt von neun bis zehn Personen beträgt.

Der Reissektor in Mali ist einer der konkurrenzfähigsten in Afrika mit niedrigen Kosten an internen Ressourcen. Im Jahr 1999 hat der Reissektor in Höhe von 44 Milliarden FCFA zum Bruttoinlandsprodukt des Landes beigetragen, dies entspricht 5% und folgt direkt der Baumwollzucht, welche 8% zum BIP beiträgt. Die angelegten und vollständig mit Wasser versorgten Flächen umfassen 80.000 Hektar, wovon 80% in der Zone des „Office du Niger“ (O.N.) liegen. Hinzu kommt die Bewässerung mittels kontrollierter Überschwemmungen (90.000 Hektar) und weitere ca. 60.000 Hektar, die je nachdem, wie weit sich das Wasser zurückzieht, bewirtschaftet werden können.

Die Zone des O.N. erstreckt sich über eine bewirtschaftete Fläche von 60.000 Hektar und wird häufig als „Reiskammer Malis“ bezeichnet. Mit seinen ungefähr 32.000 Familienbetrieben sichert die Zone des „Office du Niger“ in der Tat 40% der gesamten Reisproduktion Malis (700 bis 900.000 Tonnen je nach Jahr) und deckt so mehr als 80% des jährlichen Konsumtionsbedarfs an Reis ab. Die Schwierigkeiten des Zugangs zu Land, des Bodeneintrags und der Ausrüstung sind dabei die hauptsächlichen Engpässe für eine große Anzahl an Bauern.

Bezogen auf den Zugang zu Land haben die verarmten Bauern keine spezifischen Probleme, wenn es sich um Regenfeldbau handelt (in Trockenzonen). Dagegen ist es für die bewässerte Landwirtschaft (Office du Niger, Reisanbau von Mopti und Ségou) notwendig, über ein minimales Kapital zu verfügen (zwei Arbeitsochsen, ein Pflug und eine Egge) um Zugang zum Land zu erhalten und es bearbeiten zu können. Dies sind Bedingungen, welche eine große Anzahl an armen Bauern ausschließen. Der Bauer kann zwar einen Landwirtschaftskredit in Anspruch nehmen, um dieses produktive Kapital aufzubringen, aber dafür muss er über die Rückzahlungsfähigkeit verfügen, was selten der Fall ist. Diese armen Bauern sehen sich daher der Bodeneinträge und der landwirtschaftlichen Werkzeuge beraubt“ (Quelle: Mali: Procès permanent, Tahirou Bah).

Daher zog die Zone des „Office du Niger“ die Begehrlichkeiten der Händler und manche Länder (Libyen, Frankreich, USA) an, wodurch die Bauern, denen es an allem mangelt, völlig benachteiligt werden. Die „Groupe Tomota“ (2) hat tausende Dorfbewohner von Monipebougou von ihren Feldern ausgeschlossen, mit dem Ziel, dort Weizen anzubauen. Ebenso hat die GDCM Gruppe (3) des malischen Händlers Modibo Keita hunderte Hektar in Niono enteignet. Im Anschluss an die Bauernproteste sind etwa dreißig Bauern verhaftet und ins Gefängnis von Markala geworfen worden, darunter auch eine Schwangere.

Die fremden multinationalen Konzerne agieren in Komplizenschaft mit lokalen Händlern, was die Aufgabe nicht nur für die Bauern, sondern auch für die Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte schwierig macht. Durch den ökonomischen Aufstieg Chinas ist dieses Land in zahlreiche ähnliche Projekte dieser Art involviert. In Kita, im Zentrum südlich von Mali, wo Forstwirtschaft betrieben wird, wurden hunderte Hektar Wald von chinesischen Bauunternehmen abgehackt. Die Dorfbewohner sind aufgrund von Straßenarbeiten gezwungen, ihre Felder zu verlassen.

2. Städtisches Umfeld

a) Fall Sabalibougou der Kommune 5 im Distrikt Bamako

Die Landfrage stellt sich in fast allen Kommunen von Bamako. Diese Situation ist den Bauträgern in Mittäterschaft mit den Bürgermeistern/Stadtverwaltungen geschuldet, letztere sind zuständig für die Verwaltung von Grund und Boden in den Kommunen von Mali (es gibt 703 Kommunen in Mali).

Etwa mehrere dutzende Viertel (Kognoumani, Yirimadio, Lafiabougou-bougoudani, Djicoroni, Niamakoro….) waren das Objekt von Zerstörung und Enteignung. Andere Viertel wie Daoudabougou sind bedroht.

Die Bodenspekulanten und die Bürgermeister/Stadtverwaltungen rissen sich die durch mehrere Jahrzehnte Arbeit von der Bevölkerung selbst konstruierten und selbst erschlossenen Viertel unter den Nagel. Besonders der Fall von Sabalibougou in der Kommune 5 fällt ins Auge, besonders bezogen auf die wiederholten Ungerechtigkeiten, welche die Bevölkerung erfahren muss. Vor seiner Zerstörung im Juni 2002 bot Sabalibougou Unterkunft für mehr als zweitausend teilweise stark verarmte Menschen mit niedrigen Einkünften. Da der Bürgermeister/ die Stadtverwaltung von der Erbauung eines Mutter-Kind-Zentrums profitierte, wurden mehr als 400 Wohnungen zerstört. Trotz der Versprechungen und einer Entscheidung des obersten Gerichts, welche den betroffenen Familien Recht gab, warten die Bewohner von Sabalibougou weiterhin darauf, anderweitig untergebracht zu werden.

b) Fall von Tabacoro

Die Bewohner von Tabacoro sind Bauern, Landwirte, Viehzüchter, Malier aus dem Ausland, kleine Angestellte, Rentner, Automechaniker, ehemalige Armeeangehörige …. Die hauptsächlichen Aktivitäten dieser Zone sind Landwirtschaft, Gemüseanbau, Geflügelzucht, Viehzucht, Obstanbau, Herstellung von Holz und Kohle….

In dieser Zone wurden mehr als 500 Hektar zum Zweck der Gemeinnützigkeit enteignet. Mit dem Umweg einer einfachen Radionachricht hat der Staat die Bewohner dazu eingeladen, sich in der Regionalleitung der Stadtplanung in Kati zu präsentieren. Am 23 April 2009 hat der Ministerrat den Erlass des Projekts der Enteignung der ganzen Zone genehmigt. Am 4. Mai 2009 wurde der Erlass N. 09-190 PRM von dem Präsident der Republik unterzeichnet. In diesem Erlass wurde präzisiert, dass eine Liste der betroffenen Personen ermittelt wird, und dass die Entschädigungen aus dem Staatshaushalt bezahlt werden sollen.

Bis heute wurde keine derartige Liste aufgestellt. Am 3. Juni 2009 bestimmte ein weiterer Erlass des Ministeriums für Wohnung, Landangelegenheiten und Städtebau den Rechtstitel Nr 40-395 an Land für eine Fläche von 350 Hektar. Um die illegale Prozedur der Enteignung weiterführen zu können, wurde eine Bekanntmachung am 12. Juni verbreitet, die jede Kultivierung dieser Zone verbietet – während die Winterbestellung des Landes in vollem Gang war. Zahlreiche Bauern hatten mit der Kultivierung begonnen. In diesem Kontext hat sich die Bevölkerung organisiert um den Kampf gegen die Enteignung unter permanenter Verletzung des „code dominale“ (4) weiterzuführen.

Hinzu kommt, dass die zahlreichen administrativen Kakophonien noch mehr Unklarheiten hervorrufen. Die Pläne ändern sich fast jeden Tag. Die Regierung argumentiert, dass die Bevölkerung entschädigt werden wird, obwohl es zahlreiche bereits existierende Fälle gibt, in denen keine Entschädigung geleistet wurde: Fall der Opfer des „stade 26 mars“ (5) , von Kabala…
Die verhängnisvolle Wirkung dieser Enteignungen muss nicht mehr weiter bewiesen werden. Die ökonomischen Aktivitäten der beraubten, schutzbedürftigen Bevölkerung haben ein Ende gefunden, keine Landwirtschaft mehr, keine Viehzucht… Heute argumentiert die Regierung, dass Sozialwohnungen dem Gemeinwohl unterliegen, obwohl der Zugang zu solchen Wohnungen in Mali höchst fraglich ist. Noch besser: es gibt in Mali keinen Textgrundlage, welche die Sozialwohnungen als zum Gemeinwohl zugehörig definiert.

(1) Anm. d. Ü.: Das „Office du Niger“ ist eine 1931 gegründete staatliche Bewässerungsbehörde, kontrolliert einen Teil der Entwicklungsprojekte im mittleren Niger-Flusstal (Dämme, Bewässerungsgraben, Unterstützung für Reis- und Baumwollanbau) vgl. http://www.afdevinfo.com/htmlreports/org/org_33882.html oder http://fr.wikipedia.org/wiki/Office_du_niger
(2) Anm. d. Ü.: Siehe auch http://www.groupe-tomota.net/ lt. Webseite größtes Privatunternehmen Malis, 10 Tochterfirmen mit ca. 2500 Beschäftigten
(3) Anm. d. Ü.: siehe auch http://www.gdcm.com.ml/ „Grand Distributeur Céréalier au Mali“ (etwa:Malischer Getreide-Großhändler), lt. Webseite Import und Export von Zucker und Getreide
(4) Anm. d. Ü.: Code dominale et foncier, Verordnung zum Land(besitz) vom 22.3.2000, Text siehe: faolex.fao.org/docs/texts/mli34246.doc (Seite der Food and Agriculture Organization der UN)
(5) Anm. d. Ü: „Stade 26 mars“ ist ein Fußballstadium in Bamako, siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Stade_26_mars

III. Politische /gesellschaftliche Lage in Mali

Die Menschenrechtsorganisationen Malis richten ihre Aktivität darauf aus, die EntscheidungsträgerInnen auf nationaler und afrikanischer Ebene auf die fatalen Folgen neoliberaler Politik für die mittellose Bevölkerung hinzuweisen. Es geht diesen Vereinigungen darum, Raum für die Schutzlosesten zu schaffen, tägliche soziale Kämpfe gegen jede ökonomische, politische, intellektuelle, kulturelle, rassistische Unterdrückung und neoliberale Politik auszutragen, Möglichkeiten einer Bildung von unten zu ermöglichen und auszuweiten und auf die Konvergenz aller sozialen Kämpfe auf nationaler, afrikanischer und internationaler Ebene hinzuarbeiten – eine notwendige Voraussetzung für die Befreiung aller Völker vom Joch des internationalen Finanzkapitalismus. Denn der Kapitalismus schafft eine Welt voller Ungleichheiten und Ungerechtigkeit.

Die berechtigte Feststellung lautet, dass die Rolle und die direkte Verantwortung der afrikanischen Staaten bei der Verarmung der benachteiligten Schichten nicht mehr verschwiegen werden dürfen. Die Angelegenheiten der Streikenden der Goldmine von Morila, der entlassenen ArbeiterInnen von Huicoma, der Vertriebenen, der entlassenen EisenbahnerInnen und der von Europa und anderswo Ausgewiesenen sind heutzutage konkrete soziale Kämpfe in Mali, die von den Menschenrechtsorganisationen unter Einbindung der direkt Betroffenen unterstützt werden.

Das Jahr 2006 war für die Opfer des Systems eine Gelegenheit, sich im Rahmen des Polyzentrischen Sozialforums in Bamako im Jänner 2006 sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene vorzustellen. Außerdem fanden noch weitere von verschiedenen Organisationen veranstaltete Zusammenkünfte statt, wie das Forum der Völker der CAD-Mali, das Forum der „sans“, organisiert von der „Bewegung der Stimmlosen“, sowie die Tage der AME

Zu weiteren sozialen Kämpfen, die mit dem Fall der Morila-Streikenden vergleichbar sind, zählen die entlassenen ArbeiterInnen von Huicoma, die 600 entlassenen EisenbahnerInnen nach dem Einstieg der CANAC (einer kanadischen Firma) in die nationale Eisenbahnlinie unter dem Namen Transrail, die freiwillig Pensionierten aus dem Bildungs- und Gesundheitsbereich, das abgebaute Arbeitspersonal, die jungen Freiwilligen der „Anstalt für Jugendbeschäftigung“ (Agence pour la promotion de l'emploi jeunes, APEJ), alle Opfer des „Strategischen Rahmens zur Armutsbekämpfung“ (Cadre stratégique de lutte contre la pauvreté, CSLP), der von der BM aufgezwungen wurde, welche die Initiatorin von unpopulären, undemokratischen und ungerechten Maßnahmen in Afrika ist.

Die Strukturanpassungsprogramme, Spiegel der sozioökonomischen Misere, die falschen Entscheidungen und die Verhandlungsschwäche der RegierungsvertreterInnen bei den bilateralen und multilateralen Verträgen, welche die Kredite und die Politik der öffentlichen Auslandsschulden begleiten sowie die schlechten Entscheidungen der Regierungen vor allem im Feld der politischen Optionen, sind die Ursache für die Verarmung der ArbeiterInnen und der Bevölkerung.

Die verschiedenen Entwicklungsprogramme (öffentliche Entwicklungshilfe, Verschuldungsmodalitäten, PRSP (Poverty Reduction Strategy Papers), WPA (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen), SAP (Structural Adjustment Program, Strukturanpassungsprogramm, IWF), Schul- und Gesundheitsentwicklungsprogramme) sind nicht gut durchdacht, nicht situationsangepasst und werden schlecht umgesetzt. Diese Programme resultieren zumeist aus der Notwendigkeit technischen oder wirtschaftlichen PartnerInnen entgegenzukommen und führen dazu, dass Reformen durchgeführt werden die im Wesentlichen nicht den Zielgruppen zu Gute kommen, in deren Namen sie konzipiert wurden; in vielen Fällen verfehlen diese Programme die tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung gänzlich.

Finanzielle Ressourcen werden zum Beispiel großteils für die Bereiche Logistik, Ausstattung, Infrastruktur, Gehälter und Forschung aufgewandt. Statt Projekte mit Fokus auf die Landwirtschaft wie Zugang zu landwirtschaftlichem Gerät und Zubehör zu ermöglichen, werden politische Reformen und die Privatisierung von staatlichen Unternehmen bevorzugt, was massive Entlassungen von ArbeiterInnen und eine chronische Arbeitslosigkeit mit sich bringt.

Diese Handhabung der Regierungen zerrüttet die Sozioökonomie und die gesellschaftlichen Werte, die im Falle Malis auf Solidarität und gerechter Verteilung beruhen. Tatsächlich war der Austausch und der Diskurs sozialer Bewegungen immer die Basis eines alltäglichen Kampfes, der sich solidarisch mit anderen Varianten dieser Bewegung weltweit zeigte. Das Ziel ist dabei fortwährend die Aufdeckung von Politiken und Praktiken der neoliberalen, imperialistischen Globalisierung. Aber auf Grund der Undurchsichtigkeit des Dialoges reicht eine weltweite Finanz- und Nahrungskrise um die Welt zu erschüttern. Der Hauptbeweis dafür ist, dass Afrika darunter leiden wird – im Rahmen seiner Landwirtschaft, seiner Industrie und seiner Position am Weltmarkt.

Die Probleme unter denen Mali heute leidet sind unter anderen: die internationale Krise: Auswirkungen finanzieller, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Natur, Governance, Konsequenzen der liberalen Politik in den Sektoren der Industrie und der Landwirtschaft, der Zugang der Bauern und Bäuerinnen zu Grund und Boden und der Kampf gegen die Agrarindustrie und die Einführung von GVOs (gentechnisch veränderter Organismen), die Spekulation auf Grund und Boden sowie auf Immobilien in urbanen und ländlichen Gegenden, Frauenrechte, der Neo-Kolonialismus, insbesondere in Bezug auf Frankreich, die Emigration und die Migrationspolitik der EU, Konsequenzen der neuen Kooperationsformen und der Entwicklung von Immigrationskontrollsystemen, zentral-afrikanische Abschiebungen und die Situation der Flüchtlinge in den Transitstaaten…

Die Opfer der neoliberalen Praktiken leben in Mali und in Afrika in einer Situation, die von dem fünfzigjährigen Unabhängigkeits-Jubiläum von siebzehn afrikanischen Staaten (darunter Mali) geprägt ist. Dieser Kontext markiert die Grenzen der Entwicklungspolitik wirtschaftlicher und sozialer Natur. In den fünfzig Jahren der Pseudo- Unabhängigkeit haben die Bewegungen der Sozialschwachen im Rahmen verschiedener sozialer Gipfel in Mali eine kritische Reflexion der Bilanz angeregt, und mehrere andere Krisen aufgezeigt, die sich unter anderem wie folgt äußern:
Die sich abwechselnden und wiederkehrenden Konflikte, das Drama der Krankheit AIDS, die immer noch hohe Kindersterblichkeit, die Unter- bzw. Fehlernährung und die Lebensmittelknappheit, der mangelhafte Zugang zu Trinkwasser, Hygiene und Abwasserreinigung, der immer noch massive Analphabetismus, die Abwanderung in Form von riskanter Emigration, die die afrikanische Jugend dazu bewegt ohne Retourticket in Länder zu migrieren, in denen ihnen die lokale Politik feindlich gesinnt ist, die ungerechte und illegitime Verschuldung, die unüberwindbar geworden ist und die die Dominanz des Südens über den Norden erhält, das Hamstern von fruchtbaren Böden im urbanen und im ländlichen Raum zu Zwecken der Spekulation… Diese Elemente beschreiben ein Mali in einem Afrika, das Opfer der neoliberalen Globalisierung wurde, und in dem die Entwicklung stagniert, in Ermangelung besserer Strategien und sinnvoller Entwicklungsmodelle.

Diese Gesamtsituation hat einen notorisch mangelhaften Zugang der Bevölkerung zu sozialen Basisleistungen (Gesundheit, Bildung, Trinkwasser…) verursacht, und eine Desintegration der gesellschaftlichen Werte bewirkt – die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesellschaft sind schwer getroffen.

Der internationale Markt lässt für Afrika keine Möglichkeiten offen. Die international tätigen Konzerne bleiben das stärkste Glied in der Kette – geprägt von der Angst der afrikanischen Länder, die keine Chance zum Schutz ihrer Wirtschaftssysteme oder ihrer Entwicklungsstrategien wahrnehmen.

Die Kürzung der Staatsausgaben im Rahmen der Bildung – verbunden mit dem Wunsch die Anzahl der Personen mit Zugang zum Bildungssystem (um die Millenniums- Entwicklungsziele zu erreichen) um jeden Preis zu steigern – hat außerdem zu einem Qualitätsverlust des Bildungssystems geführt. Schon jetzt wurden, den strategischen Dokumenten zur Verringerung der Armut folgend, hunderttausende LehrerInnen in Frühpension – geschickt. Um die LehrerInnenposten wiederzubesetzen gestalten die Staaten ihre Arbeitsmarktpolitiken mit dem Begriff der „vertraglichen“ Lehre flexibler, was zu prekären Verhältnissen und zu mangelnden Berufsperspektiven für die Jugend, die auf den Arbeitsmarkt strömt, führt.

Diese « Freiwilligen der Bildung », denen man ein angemessenes Gehalt, eine pädagogische Ausbildung und das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung verweigert, haben weder akzeptable Berufsaussichten, noch sind sie die Antwort auf die drastischen Probleme und Bedürfnisse im Rahmen der Bildung der kommenden Generationen.

Wozu soll es gut sein mehr Klassenzimmer zu schaffen, und wozu werden neue Schulen im ländlichen Raum gebaut, wenn keine Lehrkräfte die diesem Beruf gerecht werden vorhanden sind, die diese Rolle von größter sozialer Relevanz erfüllen können? Soll die Bildung denn den Preis der Entwicklung bezahlen?

Zumindest die, die über die finanziellen Mittel verfügen sehen das so. „Geld oder Leben!“ scheint für die BürgerInnen die Devise für morgen zu sein. Vor allem aber greift die Logik der „merchandisation“ (Vermarktung) von essentiellen öffentlichen Dienstleistungen das unabdingbare Recht auf freien Zugang zu Trinkwasser und damit verbunden das Recht auf Leben an.

Träge geworden unter der Last der Verschuldung und nicht in der Lage öffentliche Zugänge zu Trinkwasser zu finanzieren ist Mali eine Partnerschaft des öffentlichen und privaten Sektors mit dem Konzern « Saur international » (FR) eingegangen, welche die Beschaffung, die Verteilung und Abrechnung von Trinkwasser umfasst. Aber Dank des Kampfes verschiedener sozialer Bewegungen und der Verletzung des Pflichtenkataloges seitens „Saur“ hat Mali dem Konzern die Verwaltung der EDM (Énergie de Mali) im Jahr 2005 wieder entzogen. Die Privatisierung von Trinkwasser ist ein schwerer Angriff auf das Recht auf Leben. Tausende Menschen waren nicht in der Lage die neuen Wassertarife zu bezahlen und sahen sich von der Wasserversorgung abgeschnitten. In bestimmten Regionen Afrikas und Amerikas wiederholen sich immer wieder Cholera Epidemien seit die Bevölkerung keinen Zugang mehr zu den ehemals öffentlichen Trinkwasserreserven hat und sich seither Wasser aus verschmutzten Flüssen beschafft.

Die Vermehrung und die Intensivierung der neoliberalen Politiken – die man wieder in Plänen für strukturelle Anpassung findet, den strategischen Dokumenten zur Eindämmung der Armut (Poverty Reduction Strategy Papers, PRSP), im amerikanischen Africa Growth and Opportunity Act (AGOA) und in anderen bi- oder multilateralen Handelabkommen, im Rahmen der Initiative hochverschuldeter Entwicklungsländer (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC) für Schuldenerlässe, in der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (New Partnership for Africa's Development, NEPAD) – hat zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit in Mali geführt.

Diese Politik ist Auslöser einer nachhaltigen Verarmung der Menschen, die in Zukunft keine andere Wahl haben werden als noch dramatischere Arbeitsbedingungen und minimale Löhne zu akzeptieren. Das Defizit an demokratischen Strukturen, mit dem unser Land heute konfrontiert ist, wird besonders in Anbetracht der Tatsache deutlich, dass in Mali unbedacht der Zustand des Arbeitsmarktes zerstört wird. Dies führt zu einer Nivellierung nach unten, welche die Flexibilisierung und die prekären Verhältnisse am Arbeitsmarkt abbildet.

Die Ausweitung dieser Handelslogik auf ein größeres Umfeld könnte sich negativ auf die Möglichkeiten auswirken die Bedürfnisse der kommenden Generationen zu erfüllen. Die Überproduktion im landwirtschaftlichen Bereich, die Beeinträchtigung durch Pestizide, chemische Hilfsmittel und GVOs (gentechnisch veränderte Organismen) – in vielen Fällen mit dem einzigen Ziel Exportgüter für internationale Absatzmärkte zu produzieren – hat bereits Millionen Hektar unfruchtbar gemacht. Die Zerstörung von Wäldern und Wasserläufen, verschuldet von der Privatwirtschaft, stellt eine Gefahr für die irdische Artenvielfalt und Umwelt dar.
Die Ausweitung der Eigentumsrechte im traditionellen Sinn, würde die Bedürftigen um Medikamente (die ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen sichern) bringen, und die einzigen Profiteure wären ausschließlich einige Konzerne.

Der Kontext ist auch vom Aufstieg Chinas zur ökonomischen Macht auf internationaler Ebene geprägt, die den Großteil des weltweiten Marktes ausmacht und systematisch Oberhand über die Produktion (Elektrogeräte, Maschinen, Textilien, etc.) des afrikanischen Marktes nimmt.
Dieser ökonomische Boom oder phänomenale Aufstieg, eröffnet China heute die Möglichkeit mit den USA um die weltweite ökonomische Führungsposition zu rangeln. Die sozialen Kämpfe und die prekären Bewegungen in Mali, und darüber hinaus in ganz Afrika, verstärken den Widerstand gegenüber den illegalen und illegitimen G8, den internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und dem IWF.

Diese Politiken denunzierend, begannen die großen Vergessenen der Republik, die Tuareg, eine Rebellion gegen die Zentralgewalt in Bamako. Im Mai 2007, brachen sie die 1990 unterzeichneten Verträge, griffen zu den Waffen und richteten sie gegen ein Militärcamp in Kidal, im Norden Malis.
Die Tuareg-Frage tritt wieder neu zu Tage, denn die salafistischen Islamisten der Al Qaida haben die Große Sahara Malis zu ihrer Basis im Hinterland gemacht, nachdem sie in Algerien gescheitert sind. Der malische Staat ist in die eigene Falle gegangen. Dazu kommen die Anordnungen Libyens an bestimmten RebellInnen, die die Aufgabe Bamakos nicht vereinfachen den Verpflichtungen gegenüber dem Norden wirksam nachzukommen. Der Norden Malis ist ein Ort strategischer Bedeutung, auf den auch die USA über den Umweg der militärischen Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus und im besonderen gegen Al Qaida Einfluss genommen haben. Auch Großbritannien bekam von Mail das unlimitierte Überflugrecht des malischen Luftraumes um gegen TerroristInnen vorgehen zu können.
Die autochthonen Bevölkerungen geraten so zwischen die Fronten und wissen nicht mehr an welchen „Heiligen“ sie sich wenden sollen. Folglich werden alle Versuche seitens der « Tuareg- NomadInnen » des Nordens soziale, ökonomische und kulturelle Rechte einzufordern von der Zentralgewalt in Bamako als separatistische Akte bezeichnet.