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September 2014 | Aufgeflogen: Die malische Regierung übergeht lokale Verantwortliche

Internationale Bergbaufirmen erwarben 2007 Konzessionen für den Abbau der Uranvorkommen in der Region Falea in Mali. Erst durch eigene Recherchen erfuhren die BewohnerInnen von Falea vom geplanten Abbau. Mittlerweile wächst breiter Widerstand. Von Olaf Bernau, in: IZ3W 334 (September/Oktober 2014)

„Nehmt reichlich Essen und Wasser mit, vor allem stellt euch auf eine ziemlich ungemütliche Reise ein.“ Mit diesen Worten wurde eine Delegation aus malischen und europäischen AktivistInnen des transnationalen Netzwerks Afrique-Europe-Interact von Ortskundigen bereits in der Hauptstadt Bamako auf ihre Fahrt nach Falea eingestimmt. Die Warnungen waren keineswegs übertrieben, auch die malischen DelegationsteilnehmerInnen zeigten sich schockiert. Nicht nur ob des grotesk anmutenden Streckenetzes, das selbst dem Vierrad-Jeep bisweilen Schwierigkeiten bereitete. Vielmehr ließ die staatlicherseits seit Jahrzehnten billigend in Kauf genommene Peripherisierung der Region auf plastische Weise erahnen, weshalb die Bevölkerung den Machenschaften der internationalen Bergbaukonzerne anfangs wenig entgegenzusetzen hatte. Dass es überhaupt zu der Delegationsreise gekommen ist, war Ausdruck gezielter Bündnisarbeit sowohl in Bamako als auch auf europäischer Seite. Als Anlaufpunkt fungierte zunächst Falea – eines von 21 Dörfern der gleichnamigen Region, die sich auf einem Hochplateau mit reichhaltigen Wasserressourcen und einzigartiger Biodiversität im Grenzgebiet zu Guinea und Senegal erstreckt.

Große Mühlen

Bereits 1970 hatte der französische Atomkonzern Areva, damals noch Cogema, in der Region Falea Uran-, Kupfer- und Bauxitvorkommen entdeckt. Im Jahre 2007 erhielt die kanadische Firma Delta Exploration von der malischen Regierung eine Konzession für den Abbau von Uran – ein Recht, das sie kurz darauf an die ebenfalls in Kanada registrierte Firma Rockgate Capital abtrat. Einziger Haken: Bei den Konzessionen handelt es sich korrupt eingefädelte Geheimverträge. Die Dorfältesten bzw. die gewählten Gemeinderäte wurden entgegen der gesetzlichen Bestimmungen nicht informiert, geschweige denn beteiligt. Rockgate Capital begann 2008 ohne jede Absprache im Abstand von 200 Metern Gesteinsproben aus bis zu 300 Meter tiefen Bohrlöchern zu entnehmen und ließ die Proben einmal pro Woche zur Erstellung einer geologischen Kartographie nach Südafrika ausfliegen. Die AnwohnerInnen waren ob des handstreichartigen Vorgehens irritiert, auch wenn sie von den in der Region ansässigen Goldminen ähnliche Verhaltensweisen kannten. Gleichwohl nahm die allgemeine Verunsicherung rasch zu. Nicht nur, weil die Bohrmaschinen in 24-Stunden-Schichten liefen, häufig direkt neben bewohnten Häusern. Auch verendeten Tiere an unversiegelten Bohrlöchern, aus denen kontaminiertes Wasser sickerte. Schweres Gerät beschädigte heilige Orte und Kultstätten, später wurde einer der Dorfbrunnen durch die für die Kernbohrungen verwendeten chemischen Präparate verseucht.

2010 schlugen die DorfbewohnerInnen endgültig Alarm und baten einige der in der Hauptstadt Bamako lebenden Mitglieder des im Jahr 2002 gegründeten Dorfvereins der Ehemaligen und FreundInnen der Gemeinde Falea (ARACF) um Unterstützung. Mittels einer simplen Google-Anfrage landeten diese auf der Webseite von Rockgate Capital und erfuhren so, dass in Falea nach Uran gesucht wird.

Doch das war nur der Anfang. Weitere Recherchen ergaben, dass bis auf das Bergbauministerium niemand innerhalb der Regierung Bescheid wusste. Weder die Strahlenschutzbehörde noch das für die obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfung zuständige Umweltministerium waren involviert. Kurzum: Es war einzig ihrer Eigeninitiative zu verdanken, dass die BewohnerInnen von Falea Kenntnis von dem tatsächlich drohenden Alptraumszenario erlangten: Ab 2016 soll auf einer Fläche von mindestens 150 Quadratkilometern die Erde bis auf dreihundert Meter Tiefe abgetragen und durch gigantische Mühlwerke staubfein zermahlen werden – ein Verfahren, dessen katastrophale Auswirkungen von den riesigen, seit über 40 Jahren von Areva betriebenen, Minen im Nachbarland Niger hinlänglich bekannt sind.

Zwar sind die Uranvorkommen in Falea allenfalls von mittlerer Größe und niemand weiß, ob und wann die Uranpreise wieder anziehen, so dass echte Profite winken. Dennoch spricht vieles dafür, dass die Konzerne sich Falea warm halten wollen, ganz im Interesse der französischen Atomindustrie. Denn die Qualität des dortigen Urans ist relativ gut, die Verkehrsanbindung an den Hafen in Dakar ebenfalls, die für die Aufarbeitung wichtigen Wasserquellen sind immens und die Sicherheitslage dürfte sich paradiesisch ausnehmen, jedenfalls gemessen am Niger, wo die Uranminen von einer Sondertruppe der französischen Armee vor bewaffneten Angriffen von IslamistInnen und anderen Rebellen-Gruppen geschützt werden müssen. Ende 2013 wurde indessen deutlich, wie ernst die Lage ist. Damals hat Rockgate Capital seine Konzessionsrechte an Denison Mines verkauft. Einem äußerst versierten Akteur im Urangeschäft, der unter anderem in Kanada Mitbetreiber einer großen Urananreicherungsanlage ist und somit Falea – anders als Rockgate Capital – nicht nur als bloße Geldanlage betrachten dürfte.

Zunehmender Gegenwind

Um so erfreulicher ist, dass der Widerstand gegen den in Falea geplanten Uranabbau seit 2010 erheblich an Schwung gewonnen hat – unter anderem durch die enge Kooperation zwischen dem ARACF und dem Europäischen BürgerInnenforum (EBF). Dank finanzieller Unterstützung – unter anderem durch die Stadt Genf – wurden radiologische Messungen durchgeführt, Trainings zur Sensibilisierung umgesetzt, eine Satellitenschüssel für Telefon und Internet installiert und seit Juli 2011 ein lokales Radio in Betrieb genommen, das über das malische Bodengesetz oder Mitspracherechte der BürgerInnen genauso wie aktuelle Ereignisse informiert. Im März 2012 organisierte der ARACF in Kooperation mit den ÄrztInnen gegen den Atomkrieg (IPPNW) und dem Uranium Network eine internationale Konferenz in Bamako zu „Uran, Gesundheit und Umwelt“. Ergebnis dieser und vieler weiterer Bemühungen war, dass die Regierung nicht nur ihre anfänglichen, gezielt in den Medien lancierten Diffamierungsversuche gegenüber dem ARACF eingestellt hat. Vielmehr kündigte sie auch an, eine öffentliche Straße samt Fähre nach Falea bauen zu wollen – zusätzlich zu den von den Bergbaufirmen erbauten Privatpisten. Denn bislang ist Falea während und nach der Regenzeit acht Monate lang durch einen regelmäßig über die Ufer tretenden Fluss abgeschnitten – als Fähre dient lediglich eine winzige Piroge mit Platz für ein Motorrad.

Ebenfalls bedeutsam ist die zunehmend lokale Verankerung des Widerstands. Unter anderem haben sich 2012 alle zwölf Bürgermeister in der Region schriftlich gegen den Uranabbau ausgesprochen. Die Menschen wissen mittlerweile um dessen ökologische, soziale und gesundheitliche Gefahren. Schon jetzt sind dramatische Auswirkungen spürbar: So berichteten die VertreterInnen eines Frauenkomitees in Falea bei einem Treffen von gehäuft auftretenden Missbildungen bei Neugeborenen. Außerdem sei es zu einem massiven Ernterückgang gekommen, mit der Konsequenz, dass Falea mittlerweile auf den Zukauf von Nahrungsmitteln angewiesen ist, anstatt – wie noch vor einigen Jahren – selber mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen Geld verdienen zu können. Wie dies mit den Probebohrungen bzw. den unterirdischen Wasserläufen zusammenhängt, vermag derzeit niemand genau zu sagen. Umso wichtiger sind unabhängige wissenschaftliche Studien, betont der ARACF.

Und doch: Die Situation in einer Region wie Falea bleibt ohne Bezug auf die extreme Armut weitgehend unverständlich. Orte wie Sitadina oder Kabaya haben keine Schulen, keinen Strom, keine Brunnen und vor allem keine befestigten Wege. So beträgt die Fahrtzeit zwischen einzelnen Dörfern selbst mit einem der wenigen Geländewagen bis zu zwölf Stunden. Konsequenz ist, dass immer wieder BewohnerInnen bei ernsthaften Erkrankungen auf dem Weg ins rund 80 Kilometer entfernt gelegene Krankenhaus versterben. Die Armut ist also dramatisch, und sie schwächt auch den Widerstand gegen den Uranabbau. Zum einen, weil den Menschen die hierfür erforderlichen Kräfte fehlen. Zum anderen, weil mit der drastischen Armut die Gefahr gesellschaftlicher Spaltung steigt. Insbesondere junge Männer ohne Zukunftsperspektive ziehen es vor, in den Minen zu arbeiten, wo zumindest ein regelmäßiges – wenn auch schäbiges – Einkommen winkt. Und auch ist es schwer, die Kommunikation unter den Dörfern ohne entsprechende Infrastruktur aufrecht zu erhalten. So hat es der ARACF mangels Motorrädern bis heute nicht geschafft, in sämtlichen Dörfern der Region Informationstreffen durchzuführen. Entsprechend meinte ein Dorfchef anlässlich einer improvisierten Versammlung am Rande eines Wochenmarktes gegenüber Afrique-Europe-Interact: „Wenn ihr sagt, dass Uran gut für uns sei, glauben wir das. Wenn ihr das Gegenteil sagt, glauben wir das ebenfalls.“

Der ARACF kennt dieses Dilemma genau und ist bemüht, durch selbstbestimmte Entwicklungsprojekte den sozialen Zusammenhalt unter den insgesamt 17.000 FaleanerInnen zu stärken. Doch das alleine reicht nicht. Eine große Herausforderung besteht darin, die schwache Vernetzung unter den AkteurInnen der malischen Zivilgesellschaft zu überwinden. Erste Brückenschläge zu den Kämpfen gegen Landgrabbing gehen in diese Richtung, etwa die Beteiligung von drei lokalen Vertretern der ARACF an einer Versammlung, die Afrique-Europe-Interact zusammen mit 100 Bauern und Bäuerinnen aus dem 700 Kilometer entfernten Office du Niger Ende Mai in der Hauptstadt Bamako organisiert hat.

Schließlich wäre offensiv zu thematisieren, dass in Mali ein grundlegender Antagonismus zwischen der breiten Masse der Bevölkerung und den zutiefst kleptokratisch-klientelistischen Eliten existiert – und eben nicht ein Nord-Süd-Konflikt, wie mit Blick auf den Aufstand einer einzelnen Tuareg-Fraktion immer wieder in den europäischen Mainstreammedien der Eindruck erweckt wird. (1) Eine von der ARACF für das kommende Jahre geplante Volksbefragung in Falea möchte insofern nicht nur die Regierung in Sachen Uranabbau weiterhin unter Druck setzen, unabhängig davon, dass das Ergebnis rechtlich nicht bindend ist. Vielmehr soll auch in Erinnerung gerufen werden, dass echte Demokratie ohne Partizipation von unten zum Scheitern verurteilt ist.

Olaf Bernau (NoLager Bremen) ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact und nahm an der Delegationsreise in Falea im Mai 2014 teil.

(1) Vgl. hierzu stellvertretend den auf www.afrique-europe-interact.net dokumentierten Text von Charlotte Wiedemann: Der Nord-Süd-Mythos. Mali lässt sich mit eurozentrisch inspirierter Erdkunde nicht verstehen. In: inamo, September 2013