23. September 2014 | Offener Brief an den deutschen Bun­des­mi­nis­te­r für wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit und Ent­wick­lung

Herrn
Dr. Gerd Müller
Bun­des­mi­nis­te­r für wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit und Ent­wick­lung
Post­fach 12 03 22
53045 Bonn

Bremen, den 27.10.2014

Illegale Landnahmen in Mali: Zur Situation in den beiden Dörfern Sanamadougou und Sahou im Office du Niger

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Gerd Müller,

wir – das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact (1) – möchten uns heute wegen zweier besonders gravierender Fälle illegaler Landnahmen in Mali an Sie wenden. Mit der dringenden Bitte, dass sich Ihr Ministerium im Rahmen der staatlichen Entwicklungspartnerschaft mit der Republik Mali für eine an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierte Lösung des Problems einsetzen möge. Denn die konkreten Vorgänge in den betroffenen Dörfern Sanamadougou und Sahou stehen im eklatanten Widerspruch zu den von der Bundesrepublik Deutschland verfolgten Zielsetzungen bei der staatlich finanzierten Entwicklungszusammenarbeit mit Mali: Sie führen erstens zur massiven Vertreibung kleinbäuerlicher Familien(betriebe) und konterkarieren somit die durch Bewässerungsprojekte explizit geförderte Ernährungssicherung von Kleinbauern und -bäuerinnen (unter anderem im Office du Niger). Sie sind zweitens Ausdruck schlechter Regierungsführung, denn die betroffenen Dörfer sind im Vorfeld in keiner Weise über die Verpachtung ihrer bzw. benachbarter Landflächen informiert worden – von Entschädigungszahlungen ganz zu schweigen. Sie stehen drittens für das auch in Mali regelmäßig auftretende Phänomen von Straflosigkeit, ist es doch in Sanamadougou und Sahou mehrfach zu massiven Übergriffen staatlicher Sicherheitsorgane gegenüber der Bevölkerung gekommen, ohne dass die dafür Verantwortlichen je zur Rechenschaft gezogen worden wären.

Begonnen hat es am 31. Mai 2010. Damals hat der malische Großinvestor Modibo Keita mit seiner Firma Société Moulins Modernes du Mali einen über 30 Jahre laufenden Pachtvertrag von 7.400 Hektar in der Region M'Bewani Séribabougou abgeschlossen – und zwar mit der Option, in einer zweiten Phase weitere 20.000 Hektar zu erhalten (Contrat de Bail Ordinaire N°001/PDG-ON). Doch die örtlichen Rahmenbedingungen behagten Modibo Keita nicht. Er unterbreitete daher verschiedenen 30 Kilometer weiter südlich gelegenen Dörfern das Angebot, ihr Land gegen winzige Geldbeträge, Geschenke oder Ersatzflächen abzugeben. Alle lehnten ab, lediglich ein Dorf tauschte 800 Hektar gegen eine kleine Fläche bewässertes Ackerland. Modibo Keita nutzte dies, um sich von dort aus weitere Flächen illegal anzueignen, so auch die von Sanamadougou und Sahou bereits seit vorkolonialer Zeit genutzten landwirtschaftlichen Nutzflächen. Folge ist, dass die BewohnerInnen zunehmend von Hunger betroffen sind und immer mehr Menschen abwandern müssen – allein aus Sanamadougou 23 Haushalte zwischen Mai und August 2014.

Die BewohnerInnen haben in den vergangenen 5 Jahren in zahlreichen Briefen, Petitionen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die drohenden Probleme hingewiesen – allerdings ohne Erfolg. Sie haben zudem mit Hilfe von CMAT („Convergence Malienne contre les Accaparements de Terres“) ein Gerichtsverfahren in Markala angestrengt, das zwar am 22. Februar 2012 eröffnet, bis heute aber nicht abgeschlossen wurde. Daran hat sich auch nichts geändert, als am 22. März 2013 der Minister für Raumplanung und Dezentralisierung den zuständigen Gouverneur von Segou in einem Brief ausdrücklich aufgefordert hat, dem menschenrechtswidrigen Treiben von Modibo Keita Einhalt zu gebieten.

Demgegenüber ist es immer wieder zu gewaltsamen Vorgehensweisen durch staatliche Sicherheitsorgane gekommen, erstmalig am 18. Juni 2010, als Modibo Keita ohne Vorankündigung zahlreiche für die Agroforstwirtschaft unentbehrliche Bäume fällen ließ. Über 40 Bauern und Bäuerinnen wurde festgenommen, weitere erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Auch danach haben sich brutale Übergriffe insbesondere durch Angehörige der Gendarmerie ereignet – einschließlich Vergewaltigungen.

Im April 2014 schien Bewegung in die Situation zu kommen, als das Amt des Premierministers die Einsetzung einer Untersuchungskommission beschloss (N° 0011/PM-CAB, 4. April 2014). Umso enttäuschender ist, dass sich der erst jüngst veröffentlichte Abschlussbericht im Wesentlichen der Perspektive von Modibo Keita bzw. der offiziellen Stellen anschließt (2). Konkret wird zwar eingeräumt, dass die Behörden des Office du Niger im Vorfeld nicht auf eine hinreichende Information der BewohnerInnen der beiden Dörfer geachtet hätten. Zudem wird in den Schlussfolgerungen die Auszahlung von bislang noch nicht erfolgten Entschädigungen verlangt. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass die Zuteilung des Landes im Rahmen des Pachtvertrags einwandfrei erfolgt sei, dass bereits umfassende Entschädigungen realisiert worden seien und dass sich überdies zahlreiche BewohnerInnen zugunsten des Projekts ausgesprochen hätten. Dem haben die Dorfchefs von Sanamadougou und Sahou in einem Brief vom 21. Juli 2014 vehement widersprochen: Sie weisen darauf hin, dass bislang keinerlei Entschädigungen erfolgt seien – abgesehen davon, dass sie der Wegnahme ihres Landes auch nicht zustimmen könnten. Darüber hinaus seien 90 Prozent der BewohnerInnen gegen das Projekt eingestellt, stattdessen würde der Investor zu offiziellen Terminen stets BewohnerInnen des Nachbardorfes Diado mobilisieren, die sich als BewohnerInnen von Sanamadougou und Sahou ausgeben und das Projekt in den höchsten Tönen loben würden (3).

Konsequenz dieses Briefes sowie weiterer Proteste war, dass es am 16. September in Bamako zu einem einstündigen Gespräch zwischen dem malischen Premierminister Moussa Marra und Vertretern der beiden Dörfer gekommen ist. In diesem zeigte sich Moussa Marra von den Schilderungen der Betroffenen schockiert und sicherte zu, zeitnah eine weitere Evaluierung der Situation durch Mitarbeiter seiner Administration durchführen zu lassen.

Die Vorgänge in Sanamadougou und Sahou haben weit über Mali hinaus Bekanntheit erlangt: Konkret wird der Fall in einem Bericht des renommierten Oakland-Instituts aus den USA untersucht (4), zudem hat sich die in über 50 Ländern vertretene Menschenrechtsorganisation FIAN International am 19. Dezember 2013 in einem offenen Brief an den Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta gewandt (5). Schließlich sind zahlreiche JournalistInnen und VertreterInnen der malischen und internationalen Zivilgesellschaft in den beiden Dörfern gewesen, so auch AktivistInnen unseres Netzwerks, die Sanamadougou und Sahou im Februar, Mai, August und September 2014 besucht haben.

Insgesamt scheinen nicht nur die Übergriffe durch die Sicherheitskräfte bestens dokumentiert. Offensichtlich ist auch, dass das Projekt nicht seinen Erwartungen gerecht wird und insofern gegen Artikel 43 des malischen Bodenrechts verstößt. Denn im Zuge des Projekts haben zahlreiche Bauern und Bäuerinnen ihre Existenzgrundlagen verloren (was auch durch die geschaffenen Arbeitsplätze nicht aufgewogen wird), außerdem sind nunmehr Dörfer von Hunger betroffen, die dies bislang noch nicht gekannt haben.

Sehr geehrter Herr Minister, wir möchten zu unserer eingangs bereits formulierten Bitte zurückkommen, wonach wir uns seitens der deutschen Bundesregierung einen entschiedenen Beitrag zur Lösung der dramatischen Situation in Sanamadougou und Sahou wünschen – ein Anliegen, das wir im Übrigen auch unter Bezug auf die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken formulieren. Denn darin hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn am 27. August 2014 mitgeteilt, dass die Bundesregierung hinsichtlich Mali „die Sorge (teilt), dass illegale Landnahmen die nachhaltige Entwicklung und Ernährungssicherung negativ beeinflussen.“ Konkret wäre hierbei aus unserer Sicht insbesondere dreierlei zu beachten:

Erstens stellen illegale Landnahmen ein grundsätzliches Problem in Mali dar – auch jenseits von Sanamadougou und Sahou. Um so erfreulicher ist es, dass es seit der Wahl von Ibrahim Boubacar Keïta zum Präsidenten im August 2013 vermehrt zu diesbezüglich strafrechtlichen Ermittlungen oder zumindest Skandalisierungen in der Presse gekommen ist. Besonders betroffen ist bereits seit Jahrzehnten das Office du Niger, wie eine 30-köpfige Delegation unseres Netzwerks (darunter 10 VertreterInnen aus Europa) bereits im März 2012 anlässlich eines 5-tägigen Besuchs in der Region Niono erfahren musste. Entsprechend haben uns Bauern und Bäuerinnen aus N'Débougou erst jüngst berichtet, dass bei einem 2012 von der Kreditanstalt für Wiederaufbau durchgeführten bzw. begonnnen Bewässerungsprojekt in N'Débougou die ansässigen Kleinbauern und -bäuerinnen lediglich einen Teil des bewässerten Landes erhalten hätten (1 Hektar pro Familie), während sich höhere Beamte des Office du Niger sowie lokale Eliten einen beträchtlichen Teil des neu bewässerten Landes selber angeeignet hätten – meist, um die entsprechenden Flächen an lokale Kleinbauern und -bäuerinnen weiterzuverpachten (was die Angelegenheit für Außenstehende relativ schwer durchschaubar macht).

Zweitens sollte bei Landbewässerungsprojekten stets berücksichtigt werden, dass Trockenfeldbau keineswegs automatisch schlechter ist als Regenfeldbau. Dies betonen wir, weil in der malischen Öffentlichkeit im Zusammenhang mit den Investitionen von Modibo Keita bisweilen argumentiert wird, dass der in Dörfern wie Sanamadougou und Sahou praktizierte Anbau von Hirse rückständig sei. Just vor diesem Hintergrund möchten wir einmal mehr darauf hinweisen, dass Hunger in der jüngeren Geschichte der beiden Dörfer ein absolutes Ausnahmephänomen dargestellt hat – insbesondere dank agroforstwirtschaftlicher, schon seit langem fest verankerter Anbaumethoden. Mehr noch: Im Jahr 2009 haben Sanamadougou und Sahou zur Linderung einer landesweiten Ernährungskrise 40 Tonnen Hirse an die malische Regierung gespendet.

Drittens sollte durch die notwendige Kritik an illegalen Landnahmen in Mali nicht aus dem Blick geraten, dass der Konflikt in Sanamadougou keineswegs ein rein innermalisches Problem darstellt. Vielmehr ist es unter anderem die EU, die durch ihre gesetzlich verankerten Beimischungsquoten von so genanntem Biodiesel Großinvestitionen in Acker-, Wald- und Weideflächen fördert bzw. begünstigt – ablesbar nicht zuletzt daran, dass nach Schätzungen unterschiedlicher WissenschaftlerInnen auf ca. 40 Prozent der in Mali an Großinvestoren verkauften bzw. verpachteten Flächen der Anbau von Agrospritpflanzen vorgesehen ist. Wir möchten insofern auch an die deutsche Bundesregierung appellieren (genauso wie an die Regierungen der anderen EU-Länder), auf eine Energiepolitik zu verzichten, die indirekt zur Schwächung der Ernährungssicherheit unter anderem der malischen Bevölkerung beiträgt.

Schließlich: Mehrere Mitglieder von Afrique-Europe-Interact leben als Kleinbauern und -bäuerinnen im Office du Niger. Insofern sind wir gerne bereit, konkrete Kontakte herzustellen – nicht nur nach Sanamadougou und Sahou, sondern auch zu einem bäuerlichen Basisgewerkschafter, der im regelmäßigen Austausch mit den BewohnerInnen von N'Débougou steht.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen

Franzis Binder

(1) Afrique-Europe-Interact ist ein Netzwerk aus Basisinitiativen in Mali, Togo, Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Unsere Arbeit ist beiden Kontinenten rein ehrenamtlich, wir finanzieren uns ausschließlich aus kleinen Spenden. Mitglieder unseres Netzwerks sind 2014 mehrfach in Sanamadougou und Sahou gewesen. Im August 2014 haben wir Sanamadougou und Sahou mit zwei Tonnen Hirse zur Überbrückung des damals wie heute bestehenden Ernährungsengpasses unterstützt, außerdem haben wir am 21. August eine Doppelkundgebung zunächst vor der malischen Botschaft und im Anschluss vorm Bundesministerium für wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (beide in Berlin) durchgeführt.

(2) Dieser Bericht findet sich auf Französisch im Anhang dieses Briefes.

(3) Dieser Brief findet sich auf Französisch ebenfalls im Anhang dieses Briefes.

(4) Comprendre les Investissements Fonciers en Afrique: Rapport Mali (2011): http://www.oaklandinstitute.org/comprendre-les-investissements-fonciers-en-afrique-rapport-mali

(5) http://www.fian.org/fileadmin/media/publications/OpenLetter_Mali_Dec2013.pdf